Er erinnerte Burton an einige Hütten, die Fremde eingerissen hatten, während ihre rechtmäßigen Besitzer sich anderswo aufhielten. Auch das unterhalb des Wasserfalls befindliche Becken stank mittlerweile zum Himmel. Manchen Leuten war einfach nicht beizubringen, daß sie ihre Notdurft an den dafür aufgestellten Waldtoiletten verrichteten.
»Wir bauen neue Häuser und einen Unterstand für das Boot«, erklärte Burton.
»Und zwar so nahe wie möglich am Waldrand. Dann fällen wir jeden Baum, der uns im Wege steht, und bahnen uns einen Weg an jedem vorbei, der uns das Recht, zum Fluß hinunterzugehen, streitig machen möchte.«
Es war Alice, die zu einigen Leuten, die ihre Hütten hart an der Grenze zwischen der Ebene und den Hügeln aufgestellt hatten, hinunterging und ihnen einen Handel anbot, ohne darüber zu reden, welche Ziele man wirklich verfolgte. Da sie drei Paare kennen gelernt hatte, die wenig glücklich darüber waren, daß sie ihre Unterkünfte mit einer Reihe anderer Leute zu teilen hatten, schlug sie ihnen einfach vor, zu Burtons Gruppe überzuwechseln, was sie am Donnerstag, dem zwölften Tag nach der Erweckung, dann auch taten. Man hatte sich inzwischen allgemein darauf geeinigt, den Erweckungstag als Sonntag anzuerkennen und mit dem Datum des Ersten zu versehen. Ruach hatte zwar vorgeschlagen, den ersten Tag entweder Samstag — oder noch besser — den Ersten Tag zu nennen, stieß damit aber in seiner vorwiegend christlichen Umgebung auf wenig Gegenliebe und gab schließlich auf. Er hatte einen Bambusstab organisiert, den er neben seiner Hütte in den Boden rammte. Jeden Morgen ritzte er in ihn eine Kerbe ein.
Allein der Transport des Bauholzes für das Schiff kostete sie vier volle Tage harter Arbeit. Danach behaupteten die italienischen Paare, genug Knochenarbeit geleistet zu haben. Warum sollten sie überhaupt an Bord eines Schiffes gehen und irgendwohin fahren, wenn es anderswo möglicherweise ebenso aussah wie hier? Sie gelangten zu der Ansicht, daß man sie deswegen wieder zum Leben erweckt hatte, damit sie es endlich genießen konnten. Und dafür schienen ihnen der Alkohol, die Zigaretten, das Marihuana, das Traumgummi und die Nacktheit zu genügen.
Sie verließen die Gruppe, ohne daß es deswegen zu Streitigkeiten gekommen wäre. Ganz im Gegenteil — man veranstaltete ihnen zu Ehren sogar eine Abschiedsparty. Am nächsten Tag, dem zwanzigsten des Jahres 1, geschahen zwei Dinge. Eins davon verursachte einige Verwirrung, und das andere fügte — auch wenn es nicht von Wichtigkeit war — noch weitere Konfusion hinzu.
Im Morgengrauen begab sich die Gruppe über die Ebene zu einem der Gralsteine hinab. In der Nähe des Felsens stießen sie auf zwei unbekannte Leute, die beide schliefen, jedoch schnell erwachten und einen gleichzeitig verstörten und gereizten Eindruck machten. Einer der beiden — ein großer, braunhäutiger Mann — benutzte eine unbekannte Sprache. Der andere war ebenfalls hochgewachsen, sah ziemlich gut aus, besaß starke Muskeln, graue Augen und schwarzes Haar. Die Sprache, derer er sich bediente, war zunächst allen unverständlich, bis Burton auffiel, daß es Englisch war — und zwar ein Dialekt, den man zur Zeit der Herrschaft König Edwards I. in Cumberland gesprochen hatte. Nachdem Burton und Frigate dies wußten und sich den Rest zusammenreimten, kam es endlich zu einer halbwegs verständlichen Konversation. Obwohl Frigate einige Leseerfahrung in frühem Mittelenglisch hatte, waren doch viele der Worte, die der Mann von sich gab, neu für ihn.
John de Greystock war in einem Landhaus seiner Familie in Cumberland County zur Welt gekommen. Er hatte König Edward bei seiner Invasion der Gascogne nach Frankreich begleitet und war dort, wenn man seinen Worten Glauben schenken konnte, zu Ruhm und Ehren gekommen. Nach seiner Rückkehr wurde er ins Parlament berufen. Später unternahm er einen weiteren Feldzug nach Frankreich, diesmal im Gefolge von Bischof Anthony Bec, dem Patriarchen von Jerusalem. Im achtundzwanzigsten und neunundzwanzigsten Jahr von Edwards Herrschaft hatte er gegen die Schotten gekämpft und war 1305 kinderlos gestorben. Sein Baronat hatte er auf seinen Vetter Ralph, einen Sohn des Lords Grimthorpe von Yorkshire, übertragen.
Dann war er irgendwo am Fluß aufgewacht — und zwar innerhalb einer Gruppe von Menschen, von denen neunzig Prozent sich in einem Englisch des vierzehnten Jahrhunderts oder Schottisch unterhalten hatten, während der Rest vorsintflutlichen Tischsitten huldigte. Die Leute auf der anderen Seite des Flusses waren eine Mischung aus Mongolen der Ära Kublai Khans und einer Ansammlung von Dunkelhäutigen, deren genaue Identität Greystock nicht herausfand. Seiner Beschreibung nach konnten es allerdings nordamerikanische Indianer sein.
Am neunten Tag des allgemeinen Erwachens waren die Barbaren von der anderen Flußseite zu ihnen herübergekommen und hatten sie angegriffen. Der Grund?
Greystock wußte keinen, außer daß sie vielleicht Lust auf einen guten Kampf hatten, den man ihnen dann auch liefern konnte. Da sich in der Umgebung der Schotten und Engländer so gut wie keine Steine befanden, mußte man sich mit Gralen und Knüppeln zur Wehr setzen. Zehn der Mongolen hatten den Kampf mit ihm nicht überstanden, dann war ein Gral von hinten gegen De Greystocks Schädel geprallt, und er war zu Boden gegangen. Jemand hatte ihn mit einer feuergehärteten Speerspitze durchbohrt. Er war ohnmächtig geworden, gestorben — und neben diesem Gralstein wieder zu sich gekommen.
Dem anderen Mann blieb nichts anderes übrig, als seine Erlebnisse mittels Zeichensprache und einer Art Pantomine zu verdeutlichen. Irgendein großer Fisch hatte ihn beim Angeln ins Wasser gerissen. Er war untergetaucht und auf dem Weg nach oben mit dem Kopf gegen die Unterseite seines Bootes geprallt. Dabei hatte er das Bewußtsein verloren und war ertrunken.
Damit schien die Frage, was mit den Menschen geschah, die in dieser Welt starben, gelöst zu sein. Aber aus der Erklärung erwuchs nun prompt eine neue Frage: Warum kamen sie beim zweiten Erwachen in einer völlig neuen Umgebung zu sich?
Das zweite seltsame Ereignis dieses Tages war, daß die Grale sich offensichtlich weigerten, ihnen eine Mittagsmahlzeit zu liefern. Statt dessen fanden sie in ihren Behältern sechs verschiedene Kleidungsstücke in unterschiedlichen Farbtönen, Größen und Mustern. Vier davon schienen dazu bestimmt zu sein, als Kilts getragen zu werden, und waren mit magnetischen Verschlüssen versehen. Die anderen beiden waren aus dünnerem Material und stellten wohl Büstenhalter dar, obwohl man sie auch für andere Zwecke verwenden konnte. Die Stoffe, aus denen die Kleidungsstücke bestanden, fühlten sich weich und bequem an, dennoch gelang es keinem, sie zu zerreißen oder zu zerschneiden.
Die Menschheit stieß über die Lieferung dieser Textilien einen kollektiven Jubelschrei aus. Auch wenn sie sich in der Zwischenzeit an die Nacktheit gewöhnt hatten — manche auch mit einem Seufzer der Ergebenheit —, schien ihnen dennoch diese Kompromißlösung in bezug auf Kleidung nicht unwillkommen zu sein. Jetzt besaßen sie Kilts, Büstenhalter und Turbane. Mit letzteren war es möglich, die Köpfe zumindest solange zu bedecken, bis das Haar wieder nachgewachsen war. Später würden die Turbane möglicherweise zu einem allgemein getragenen Kopfschmuck werden.
Und das Haar wuchs bereits — außer in ihren Gesichtern.
Burton war darüber ein bißchen frustriert. Er hatte zeit seines Lebens einen prächtigen Schnauzer und einen Kinnbart getragen, auf den er nicht wenig stolz gewesen war. Ohne Bart kam er sich jedenfalls nackter vor als ohne Hosen.
Aber Wilfreda lachte nur und sagte: »Ich bin froh, daß das Zeug nicht mehr wächst. Männer mit haarigen Gesichtern habe ich noch nie leiden können.
Jedes Mal wenn ich einen bärtigen Mann küßte, kam ich mir vor, als würde ich mein Gesicht in ein Gewirr zerbrochener Sprungfedern stecken.«
13
Sechzig Tage waren vergangen. Man hatte das Boot auf dicken Bambusrollen über die Ebene transportiert. Der Tag des Stapellaufs brach an. Die war etwa dreizehn Meter lang. Sie lief am Bug spitz zu und war mit einer großen Plattform ausgerüstet, die als Deck diente. Sie besaß ein Bugspriet mit einem Ballonsegel, einen einzelnen Mast mit Segeln aus gewebten Bambusblättern und wurde mit einer Ruderfinne gesteuert, da es sich erwiesen hatte, daß der Bau eines Steuerrades mit ihrem begrenzten Wissen und dem Mangel an geeignetem Material unmöglich war. Das einzige, aus dem sie hatten Seile herstellen können, war das Gras gewesen, aber es war jetzt schon absehbar, daß sie in Kürze durch gegerbtes Leder, das man aus der Haut größerer Fische gewinnen konnte, ersetzt werden würden. Ein Einbaum, den Kazz aus einem Baumstamm herausgearbeitet hatte, war auf dem Vordeck befestigt.