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Das Boot glitt über das Wasser, der Wind bauschte die Segel. Burton brüllte Befehle. Die kämpfte gegen die Strömung an, die Segel flappten unschlüssig.

Burton bediente die Ruderpinne, das Boot schwang die Nase herum, dann lagen sie richtig. Die hob und senkte sich, fuhr gegen die Wellen an, während der Bug das Wasser zischend zerteilte. Die Sonne schien, und es war warm, eine leichte Brise kühlte die heißen Gesichter. Alle an Bord fühlten sich glücklich und gleichzeitig ein wenig betrübt, als das heimatliche Gestade sich immer weiter von ihnen entfernte und die Gesichter der Menschen allmählich zu unkenntlichen Flecken wurden. Sie besaßen weder Karten noch andere Unterlagen, die in der Lage gewesen wären, ihnen ihren Kurs zu weisen; es war, als würde die Welt mit jedem Kilometer, den sie zurücklegten, von neuem erschaffen.

An diesem Abend, kurz nachdem sie zum ersten Mal wieder angelegt hatten, geschah etwas, das Burton einigermaßen verwunderte. Kazz hatte gerade das Boot verlassen, um sich unter eine Gruppe neugieriger Menschen zu mischen, als er von größter Aufregung erfaßt wurde. Er begann in seiner Sprache unverständliche Töne auszustoßen und sich eines Mannes, der in der Nähe stand, zu bemächtigen. Der Mann entwischte ihm und tauchte blitzschnell in der Menge unter.

Als Burton Kazz fragte, was der Grund seines rätselhaften Verhaltens sei, erwiderte dieser: »Er hatte kein… äh… Wie heißt es? Kein… kein…« Er deutete auf seine Stirn und zeichnete eine Reihe von unverständlichen Symbolen in die Luft. Burton, der damit beschäftigt war, seinem seltsamen Gebaren zu folgen, wurde plötzlich durch Alice abgelenkt, die einen klagenden Ruf ausstieß und auf einen Mann zurannte. Wie sich herausstellte, glaubte sie einen ihrer im Ersten Weltkrieg gefallenen Söhne wiedererkannt zu haben. Es kam zu einigen Verwicklungen. Alice stellte schließlich fest, daß ihr ein Irrtum unterlaufen war, aber bis dahin war Burton bereits mit anderen Dingen beschäftigt und hatte Kazz aus den Augen verloren. Der Frühmensch kam nicht wieder auf das ihn beschäftigende Thema zu sprechen, und so vergaß Burton es. Aber er würde sich daran erinnern.

Genau vierhundertfünfzehn Tage später hatten sie eine Strecke zurückgelegt, die einer Anzahl von 24.900 Gralsteinen entsprach. Mithin hatten sie während dieser Zeit — die gelegentlich dadurch unterbrochen worden war, daß man zu den Essenszeiten anlegte und die Grale in die dafür vorgesehenen Vertiefungen steckte, die Nächte vor Anker liegend verbrachte oder auch ganze Tage damit verbummelte, mit Leuten zu reden, die einem unterwegs begegneten — siebenundsechzigtausend Kilometer zurückgelegt. Auf die Erde bezogen bedeutete das, daß man eine Strecke hinter sich gebracht hatte, die länger war als der anderthalbfache Erdumfang. Nicht einmal der Mississippi-Missouri-Komplex mit dem Nil, dem Kongo, dem Amazonas, dem Jangtse, der Wolga, dem Amur, dem Hwang, der Lena und dem Sambesi zusammen wies die Strecke auf, die man auf diesem Fluß bewältigt hatte. Und immer noch führte er weiter und weiter, machte hie und da einen Knick, nur um sich noch in weitere Fernen dahinzuziehen. Und zu beiden Seiten erstreckte sich die bekannte Ebene, an die sich das baumbestandene Hügelgebiet anschloß, das am Fuße mächtiger, sich auftürmender Berge, die weder passierbar noch durchquerbar waren, endete.

Ab und zu verengte sich die Ebene sosehr, daß die Berge bis an das Wasser heranreichten. Dann verbreiterte sich der Fluß wieder und wurde zu einem See, der manchmal sieben, neun oder gar zehn Kilometer breit war. Es kam auch vor, daß die Berge zu beiden Seiten ihn dermaßen einengten, daß die sich durch einen felsigen Canyon kämpfte, während gefährliche Wirbel und Strömungen der Besatzung allerhand zu schaffen machte und sich über ihnen das Blau des Himmels verfinsterte und die zu beiden Seiten aufragenden schwarzen Wälle sie zu erdrücken schienen.

Und überall stießen sie auf Menschen. Ob bei Tag oder bei Nacht, überall wimmelte es an den Uferzonen von Männern, Frauen und Kindern, die die Ebene bevölkerten oder sich in die Hügel zurückgezogen hatten.

Schließlich fanden sie heraus, daß immer wieder eine Regelmäßigkeit auftauchte. Die Menschheit waren in der Umgebung des Flusses nach einem groben Muster — was die Chronologie ihrer Existenz auf der Erde sowie ihre nationale Abstammung anging — wiedererweckt worden. Nachdem das Boot ein Gebiet passiert hatte, in dem sich vorzugsweise im letzten Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts gestorbene Slowenen, Italiener und Österreicher aufhielten, waren sie in Zonen vorgerückt, die von Ungarn, Norwegern, Finnen, Griechen, Albanern und Iren bevölkert waren. Ab und zu war man auch auf Gebiete gestoßen, in denen Menschen aus anderen Zeiten und Landschaften lebten. Eins davon — es war etwa dreißig Kilometer lang gewesen — befand sich im Besitz australischer Ureinwohner, die zu ihren Lebzeiten auf der Erde noch nie einen Europäer zu Gesicht bekommen hatten. Eine andere — etwa hundertfünfzig Kilometer lange — Zone war von Tochariern besiedelt worden, einem Volksstamm, dem auch Loghu angehörte und der sich zu Beginn der Zeitrechnung in einem Gebiet aufgehalten hatte, das man später Chinesisch-Turkestan nannte. Dieses Volk stellte die am weitesten östlich lebende, auf indo-europäischen Wurzeln fußende Gemeinschaft einer frühzeitlichen Epoche dar. Ihre Kultur hatte eine Weile geblüht und war dann unter dem Ansturm von Barbaren und den Schwierigkeiten, die aus der wüstenhaften Umwelt erwuchsen, zusammengebrochen.

Obwohl die Forschungsergebnisse Burtons natürlich nur sporadisch erfolgten, hatte er doch herausgefunden, daß jedes Gebiet in der Regel eine zu sechzig Prozent homogene Bevölkerungsstruktur aufwies, was Nationalität und Herkunft aus einer bestimmten Zeitepoche anbetraf. Dreißig Prozent der jeweiligen Zonenbewohner gehörten entweder anderen Völkern an oder stammten aus einer unterschiedlichen Zeit. Der Rest war ein buntes Gemisch aus Angehörigen verschiedener Nationalitäten oder Epochen.

Während die Männer alle beschnitten wiedergeboren worden waren, wiesen die Frauen ausnahmslos den Zustand der Jungfräulichkeit auf, der sich allerdings beim größten Teil nicht über die erste Nacht hinaus erhalten hatte.

Allerdings hatte man bisher weder eine schwangere Frau gesehen noch von einer gehört. Wer immer für ihr Hiersein verantwortlich war, mußte sie sterilisiert haben, und das mit gutem Grund. Wäre die Menschheit in der Lage gewesen, sich zu vermehren, das Flußtal wäre innerhalb eines einzigen Jahrhunderts übervölkert gewesen.

Zunächst hatte man angenommen, daß es außer den Menschen keinerlei tierisches Leben auf diesem Planeten gab. Doch bald war allgemein bekannt, daß es viele verschiedene Arten von Würmern gab, die bei Nacht aus dem Erdreich gekrochen kamen. Und was den Fluß anbetraf: Er enthielt mindestens Hunderte verschiedene Arten Fisch, angefangen von Geschöpfen, die nicht länger waren als zwölf Zentimeter, bis hinauf zu dem als »Flußdrachen« bekannten, walähnlichen Monstrum, das auf dem Grund des Flusses, dreihundert Meter unter dem Wasserspiegel, hauste. Frigate war der Ansicht, daß die Fische den Fluß aus gutem Grund bevölkerten: Sie seien dafür da, ihn sauberzuhalten. Einige der Würmer schienen ähnliche Aufgaben zu haben: Sie fraßen Abfälle, Kot und die Leichen. Andere hingegen nahmen die gleiche Funktion wahr wie ihre Vettern auf der Erde.

Gwenafra begann größer zu werden. Wie alle anderen Kinder wuchs auch sie heran. Innerhalb von zwölf Jahren würde es im Flußtal kein Kind und keinen Halbwüchsigen mehr geben, wenn die Bedingungen die gleichen blieben.

Burton, der über diesen Punkt nachdachte, fragte plötzlich Alice: »Dieser Reverend Dodgson, Ihr Freund von damals, der nur kleine Mädchen liebte — für ihn wird das über kurz oder lang bestimmt zu einer frustrierenden Situation werden, nicht wahr?«

»Dodgson war keiner von diesen Perversen«, erwiderte Frigate. »Aber ich frage mich dennoch, was mit all denen geschehen wird, die ihre sexuelle Erfüllung wirklich nur an Kindern finden. Was werden sie tun, wenn einfach keine mehr da sind? Und was tun jene, die sich vorzugsweise mit Tieren abgeben? Ich bedauere übrigens auch, daß es hier keine Tiere gibt, wissen Sie? Ich habe Katzen und Hunde immer gern gehabt, sogar Bären und Elefanten; na, eben die meisten Tiere außer den Affen, die mir zu menschenähnlich sind.