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»Paß auf, mein Freund«, sagte Frigate. »An den Ufern dieses Flusses leben Milliarden von Nichtjuden, die nie im Leben etwas von einem Juden gehört haben. Die können dich nicht beleidigen. Du solltest da wirklich mal dein Glück versuchen.«

»Ich bin nun mal vernarrt in die Gemeinheiten, die ich kenne.«

»Du willst sagen, du bist geradezu erpicht drauf«, erwiderte Frigate.

Manchmal fragte sich Burton, warum Ruach überhaupt bei ihnen auf dem Boot blieb. Er hatte nie wieder eine Anspielung auf sein Buch Der Jude, der Zigeuner und der Islam gemacht, obwohl er Burton ein paar Mal nach gewissen anderen Aspekten seiner Vergangenheit fragte. Er war nicht übertrieben freundlich, aber auch nicht direkt reserviert. Trotz seiner kleinen Gestalt war Ruach ein wertvoller Mitstreiter, besonders in Kampftechniken wie Judo, Karate und Jukado, wovon er auch Burton ein paar Tricks beibringen konnte.

Seine Traurigkeit, die ihn umgab wie eine Nebelwolke und nicht einmal von ihm wich, wenn er lachte oder liebte — wie Tanya behauptet hatte —, rührte von Narben her, die tief in seinen Geist eingeprägt waren. Und diese waren Erinnerungen an die Konzentrationslager der Faschisten. Tanya hatte einmal behauptet, Lev sei bereits traurig geboren worden; in ihm vereinigten sich alle Sorgen seiner babylonischen Vorfahren.

Monat war ein anderer trauriger Fall, auch wenn er seinen Gemütszustand dann und wann überspielen konnte. Ihn beschäftigte in der Hauptsache die Frage nach dem Verbleiben der dreißig anderen männlichen und weiblichen Besatzungsmitglieder seines Raumschiffes, die der Mob gelyncht hatte. Er rechnete sich keine große Chance aus, einen von ihnen zu finden. An diesem Fluß lebten schätzungsweise fünfunddreißig oder sechsunddreißig Milliarden Menschen — und aus ihren Reihen dreißig bestimmte Gestalten herauszufinden, war nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Dennoch gab er die Hoffnung nicht auf.

Alice Hargreaves saß ebenfalls auf dem Vordeck. Sie tauchte nur gelegentlich auf, und zwar immer dann, wenn das Boot dem Ufer nahe genug kam, daß man an Land individuelle Gesichter ausmachen konnte. Sie suchte nach Reginald, ihrem Ehemann, ihren drei Söhnen und nach ihren Eltern und Geschwistern. Für Burton war es klar, daß sie, sobald sie auf einen der Gesuchten stieß, das Boot verlassen würde. Zwar hatte er sie deswegen noch nicht angesprochen, aber allein der Gedanke daran erzeugte Schmerzen in seiner Brust. Einerseits wünschte er sich, daß sie ging. Andererseits aber wieder auch nicht.

Möglicherweise würde Alice — befand sie sich erst einmal außerhalb seines Blickfeldes — auch aus seinem Bewußtsein verschwinden. Burton wußte, daß dies unvermeidlich war, aber er wollte es nicht darauf ankommen lassen. Die Gefühle, die er Alice gegenüber hegte, waren die gleichen, die er einst seiner persischen Geliebten entgegengebracht hatte. Sie zu verlieren, bedeutete den Neubeginn einer lebenslangen Folter seines Gemüts.

Trotzdem hatte er Alice bisher nicht gesagt, was er für sie empfand. Sicher, sie hatten miteinander geredet und gescherzt. Die Beziehung zwischen ihnen hatte sich zu einem gewissen Grad sogar gelockert, aber das galt nur solange, wie sie sich in der Gesellschaft der anderen befanden. Sobald sie allein waren, versteifte sich ihre Haltung mit Regelmäßigkeit.

Seit jener ersten Nacht hatte sie sich geweigert, jemals wieder von dem Traumgummi zu kosten. Burton selbst hatte es in dieser Zeit dreimal genommen, später dann damit aufgehört, seinen Anteil gehortet und gegen andere Dinge eingetauscht. Beim letzten Mal, als er es genommen hatte — vor einer erhofften, ekstatischen Liebesnacht mit Wilfreda —, war er in einem irren Alptraum gelandet, der große Ähnlichkeit mit den Fiebervisionen aufwies, denen er während seiner Expedition zum Tanganjikasee erlegen war.

Speke war in diesem Alptraum aufgetaucht, und Burton hatte ihn getötet. Aber Speke war während einer Jagd umgekommen. Jedermann hätte seinen Tod — wäre er nicht als Unfall deklariert worden — für einen Selbstmord gehalten. Das Gewissen hatte Speke keine Ruhe gelassen. Der Betrug an Burton hatte dazu geführt, daß er sich selbst nicht mehr ins Gesicht sehen konnte. Aber in seinem Alptraum hatte Burton Speke in dem Moment erwürgt, als dieser sich über ihn beugte und fragte, wie er sich fühle. Im gleichen Moment, in dem die Vision verschwand, hatte er Spekes tote Lippen geküßt.

14

Nun, er war sich stets darüber im klaren gewesen, daß er Speke gleichzeitig geliebt und gehaßt hatte. Aber das Wissen um seine Liebe war nur unregelmäßig und schwach ausgeprägt in seinem Bewußtsein aufgeschienen und hatte Burton nicht sonderlich berührt. Während des Alptraums war die Erkenntnis, daß seine Liebe den Haß so stark überdeckte, so offensichtlich geworden, daß er laut aufgeschrieen hatte. Er erwachte in Wilfredas Armen.

Sie schüttelte ihn, verlangte zu wissen, was geschehen sei. Obwohl sie es in ihrem Leben auf der Erde gewöhnt gewesen war, Opium zu rauchen oder es im Bier zu trinken, hatte in der neuen Welt ein einziger Versuch mit Traumgummi ausgereicht, sich fortan vor der Droge zu fürchten. Das Wiedererleben des Todes ihrer Schwester, die an Tuberkulose gestorben war, erweckte in ihr die schrecklichen Stunden ihrer ersten Versuche, mit dem Körper Geld zu verdienen.

»Es ist eine psychedelische Droge«, hatte Ruach Burton erklärt. Er informierte ihn, was das Wort bedeutete. »Sie scheint traumatische Zwischenfälle in einer Mischung aus Realität und Symbolismus ins Gedächtnis zurückzurufen. Natürlich nicht immer. Manchmal funktioniert sie auch wie ein Aphrodisiakum. Gelegentlich nimmt sie einen mit auf einen wundervollen Trip.

Ich würde annehmen, daß man uns den Traumgummi aus therapeutischen, wenn nicht gar aus kathartischen Gründen gibt. Es liegt lediglich an uns herauszufinden, wie wir es am besten verwenden.«

»Warum nimmst du es nicht öfter mal?« hatte Frigate ihn gefragt.

»Aus den gleichen Gründen, aus denen sich Leute weigern, sich in psychotherapeutische Behandlung zu begeben oder sie wieder verlassen, bevor sie damit fertig sind. Ich fürchte mich davor.«

»Yeah«, sagte Frigate gedehnt. »Genauso ist das mit mir. Aber eines Tages, wenn wir uns dafür entschieden haben sollten, irgendwo länger zu bleiben, werde ich es jede Nacht tun. Selbst wenn es dazu führt, daß ich alle meine Gefühle offen zeige. Es ist natürlich leicht, jetzt so etwas zu sagen.«

Peter Jairus Frigate war nur achtundzwanzig Jahre nach Burtons Tod geboren worden, aber dennoch existierte zwischen den beiden Welten, denen sie entstammten, eine tiefe Kluft. Sie sahen sehr viele Dinge unterschiedlich, und es war nur Frigates Charakter zu verdanken, daß er und Burton sich bei der Diskussion ihrer Ansichten nicht in die Haare gerieten. Nicht daß ihre Ansichten über die Disziplin der Gruppe oder die Instandhaltung der Steuerung des Bootes besonders differiert hätten. Was sie wirklich trennte, war ihr gegensätzliches Weltbild. Dennoch ähnelte Frigate Burton in mancher Hinsicht stark, und dies schien auch der Grund dafür zu sein, weshalb der irdische Burton ihn so fasziniert hatte. Im Jahre 1938 war Frigate auf die Taschenbuchausgabe von Fairfax Downeys Buch, Burton, Abenteuer aus Tausendundeiner Nacht, gestoßen. Die Titelillustration zeigte Burton im Alter von fünfzig Jahren. Das urwüchsig anmutende Gesicht, die hohen Augenbrauen, die langen, schwarzen Wimpern, die streng wirkende Nase, die lange Narbe auf der Wange und die vollen, genießerischen Lippen, der schwere, nach unten hängende Schnauzbart, der in mehreren Spitzen endende Kinnbart und die ganze Aggressivität und Unnachgiebigkeit seiner Gesichtszüge hatten ihn regelrecht dazu gezwungen, das Buch zu kaufen.

»Ich hatte vorher nie von dir gehört, Dick«, gestand Frigate. »Aber ich las das Buch in einem Zug aus und war davon gepackt. Irgend etwas faszinierte mich an dir, und das hatte gar nichts mit deinen ungeheuerlichen Erlebnissen zu tun. Egal, ob du nun ein fähiger Schwertfechter warst, viele Sprachen beherrschtest, dich als eingeborener Arzt verkleidetest oder als Kaufmann, ob du als Pilger maskiert nach Mekka gingst oder als der erste Europäer galtst, der mit heiler Haut aus der heiligen Stadt Harrar zurückkehrte, ob du den Tanganjikasee entdecktest und beinahe auch die Quellen des Nil, ob du Mitbegründer der Königlichen Anthropologischen Gesellschaft warst oder Erfinder des Ausdrucks ESP, Übersetzer von Tausendundeiner Nacht, die Sexualpraktiken des Ostens erforschtest, und so weiter…