Rechts von ihnen — etwa siebenhundert Meter vom Ausgang des Canyons entfernt — entdeckten sie ein aus Palisaden errichtetes Fort. Davor standen zehn massive, aus dem gleichen Material hergestellte Docks, die große und kleine Boote verschiedenster Bauweise enthielten. Wenige Minuten nach dem Auftauchen der Hadji war dröhnender Trommelwirbel zu vernehmen. Vor dem Fort hatte sich bereits eine größere Menschenmenge versammelt, aber immer noch strömten aus den dahinterliegenden Hütten mehr zusammen, die sich in die bereitliegenden Boote stürzten und losruderten.
Auf der linken Seite des Ufers wurden ebenfalls Boote zu Wasser gebracht.
Die dunklen Gestalten schoben Flöße, Auslegerboote und Kanus in die Fluten.
Es sah ganz so aus, als fände hier ein Wettstreit darüber statt, wer die Hadji als erster erreichte.
Burton steuerte einen waghalsigen Zickzackkurs, der ihn mehrmals bis in die Nähe der sie umschwärmenden Boote brachte. Die Männer von der rechten Uferseite kamen immer näher. Sie waren Weiße und gut bewaffnet, aber sie machten dennoch keine Anstalten, ihre Bogen einzusetzen. Ein Mann, der sich jetzt am Bug eines von dreißig Ruderern vorwärtsgejagten Kriegskanus erhob, bedeutete ihnen anzuhalten und schrie auf Deutsch: »Euch wird nichts geschehen!«
»Wir kommen in Frieden!« brüllte Frigate zurück.
»Als ob er das nicht selber wüßte«, knurrte Burton wütend. »Es ist doch wohl offensichtlich, daß wir viel zu wenige sind, um sie anzugreifen!«
Jetzt erklangen auf beiden Seiten des Flusses die Trommeln. Es hörte sich an, als säßen die Trommler überall am Seeufer verstreut. Es wimmelte nur so von bewaffneten Menschen. Man brachte weitere Boote zu Wasser, um der Hadji den Weg abzuschneiden. Hinter ihnen verloren die ersten Verfolger den Anschluß. Zwar setzten sie ihren Weg fort, verloren jedoch an Geschwindigkeit.
Burton zögerte. Sollte er die Hadji wenden, durch den engen Kanal zurückfahren und im Schutz der Dunkelheit einen erneuten Vorstoß wagen? Es würde nicht ungefährlich sein, da die hohen Felswände mit Sicherheit das Licht der Sterne verdunkelten. Ebenso gut konnte er das Steuer einem Blinden überlassen.
Davon abgesehen schien die Hadji wirklich schneller zu sein als jedes Boot, über das ihre Gegner verfügten. So weit, so gut. Aber in weiter Ferne tauchten plötzlich Segel auf, die sich genau auf sie zubewegten. Immerhin hatte die Hadji wohl den Wind im Rücken als auch die Strömung überwunden — aber konnte sie den neu auftauchenden Gegner auch dann noch ungefährdet entkommen, wenn sie an ihnen vorbeikam und die anderen ihr nachsetzten?
Alle Schiffe, die er bisher gesehen hatte, waren mit Bewaffneten überladen.
Deshalb waren sie zu langsam. Nicht einmal ein Schiff, das über die gleiche Schnelligkeit wie die Hadji verfügt hätte, konnte ihnen mit einer solchen schweren Ladung gefährlich werden.
Er entschied sich deshalb, weiter flußaufwärts zu fahren.
Zehn Minuten später kreuzte ein weiteres Kriegskanu ihren Kurs. Es wurde von zweiunddreißig Ruderern bewegt und verfügte an Bug und Heck über kleine Decks, auf denen sich jeweils zwei Männer hinter aus Holz gefertigten Katapulten aufhielten. Einer der Männer am Bug lud die Waffe mit einem rauchenden Gegenstand, während der andere sie spannte. Plötzlich sauste das Geschoß durch die Luft. Die Ruderer stellten ihre Arbeit ein. Das rauchende Objekt flog in hohem Bogen auf die Hadji zu und explodierte dann mit einem lauten Krach in einer Entfernung von etwa acht Metern. Dicker Rauch quoll auf und wurde schnell von der Brise auseinandergetrieben.
Die Frauen kreischten; ein Mann schrie auf. Sie haben in diesem Gebiet also Sulfat entdeckt, dachte Burton, sonst wären sie nicht in der Lage, Schießpulver herzustellen.
Er rief nach Loghu und Esther, damit sie die Ruderpinne übernahmen. Beide Frauen waren bleich, aber sie waren ungeachtet der Tatsache, daß keine von beiden je eine Explosion miterlebt hatte, gefaßt genug, seinem Befehl sofort Folge zu leisten.
Man hatte Gwenafra in die kleine Kajüte gebracht. Alice bewaffnete sich mit ihrem Eibenholzbogen und griff nach den Pfeilen. Ihre weiße Haut kontrastierte stark mit dem blutroten Lippenstift und dem grünen Augenmake-up, das sie aufgelegt hatte. Sie hatte bisher mehr als zehn solcher Angriffe mitgemacht, ohne die Nerven verloren zu haben. Außerdem war sie der beste Bogenschütze der gesamten Mannschaft. Burton war Zeit seines Lebens ein guter Schütze gewesen, aber im Bogenschießen ging ihm einiges ab.
Und Kazz war zwar fähig, den Bogen aus dem Knochen des Drachenfisches stärker als Burton zu spannen, aber seine Zielkünste waren einfach schrecklich. Frigate behauptete, daß aus ihm wahrscheinlich niemals ein guter Bogenschütze werden würde: Wie allen Analphabeten fehlte ihm der Sinn für die richtige Perspektive.
Die Katapultschützen verzichteten darauf, eine weitere ihrer Bomben abzufeuern. Mit ziemlicher Sicherheit hatte man also nur einen Warnschuß abgegeben. Also verzichtete Burton erst recht darauf, das Boot zu stoppen.
Die Bogenschützen des Gegners hätten bereits mehr als einmal die Möglichkeit gehabt, die Hadji mit einem Pfeilhagel einzudecken. Daß sie es nicht taten, bewies eindeutig, daß sie die Mannschaft lebend wollten.
Das Kanu zerteilte das Wasser. Die Ruderer legten sich ins Zeug und brachten ihr Boot dem Heck der Hadji näher. Die beiden am Bug stehenden Männer sprangen plötzlich ab. Einer von ihnen fiel ins Wasser. Seine Fingerspitzen hatten lediglich den äußersten Decksvorsprung der Hadji erreichen können.
Der andere landete auf den Knien an Deck. Er hielt ein Bambusmesser zwischen den Zähnen, und an seinem Gürtel hatte er eine kleine Steinaxt und ein Hornfisch-Stilett. Einen Moment lang blickte er Burton in die Augen. Das Haar des Fremden war strohblond, seine Augen waren von einem blassen Blau, und sein Gesicht war von geradezu klassischer Schönheit. Sicher beabsichtigte er, ein paar Männer der Hadji zu verwunden und sich einer der Frauen zu bemächtigen, damit die Mannschaft beschäftigt war, während seine Kollegen mit dem Entern des Schiffes begannen. Es wäre ein leichtes Spiel gewesen. Aber die Chance, seinen Plan jetzt noch auszuführen, war nicht groß, und möglicherweise wußte er das auch. Aber das schien ihn wenig zu kümmern. Die meisten Menschen fürchten den Tod, weil die Angst sich der Zellen ihres Körpers bemächtigt, und reagieren rein instinktiv. Einigen wenigen gelingt es, diese Angst zu überwinden, während andere sie niemals verspüren.
Burton sprang auf ihn zu und versetzte ihm einen Schlag mit der Axt auf den Kopf. Der Angreifer öffnete den Mund, verlor das Bambusmesser und fiel aufs Gesicht. Burton nahm das Messer an sich, löste den Gurt des Mannes und stieß den Bewußtlosen mit dem Fuß ins Wasser. Die Männer in dem Kriegskanu brüllten auf und änderten ihren Kurs. Burton stellte fest, daß sie sich rasch dem Ufer näherten und gab den Befehl, die Hadji zu wenden. Das Schiff schwang herum, und ein Teil der Verfolger raste an ihnen vorbei. Immer mehr Boote tauchten auf. In ihrer unmittelbaren Nähe befanden sich drei kleinere, jeweils mit vier Mann besetzte Paddelboote, vier große Kriegskanus und fünf Zweimastschoner, die über eine ganze Reihe schußbereiter Katapulte verfügten und auf deren Decks es von Kriegern nur so wimmelte.
In der Mitte des Flusses befahl Burton, die Hadji erneut herumzuschwenken.
Dieses Manöver erlaubte es den Segelschiffen zwar näherzukommen, aber damit hatte er durchaus gerechnet. Die Hadji durchpflügte das Wasser zwischen zweien der Verfolger und kam ihnen dabei so nahe, daß er die Gesichter der Leute, die sich an Bord der gegnerischen Schiffe befanden, genau erkennen konnte. Die meisten wiesen kaukasische Züge auf, und ihre Hautfarbe differierte von dunkel bis hell. Der Kapitän eines der Verfolgerschiffe schrie Burton auf deutsch zu, daß er sich ergeben solle.