211
Geheime Feinde. — Einen geheimen Feind sich halten können — das ist ein Luxus, für den die Moralität selbst hochgesinnter Geister nicht reich genug zu sein pflegt.
212
Sich nicht täuschen lassen. — Sein Geist hat schlechte Manieren, er ist hastig und stottert immer vor Ungeduld: so ahnt man kaum, in welcher langathmigen und breitbrüstigen Seele er zu Hause ist.
213
Der Weg zum Glücke. — Ein Weiser fragte einen Narren, welches der Weg zum Glücke sei. Dieser antwortete ohne Verzug, wie Einer, der nach dem Wege zur nächsten Stadt gefragt wird:»Bewundere dich selbst und lebe auf der Gasse!«.»Halt, rief der Weise, du verlangst zu viel, es genügt schon sich selber zu bewundern!«Der Narr entgegnete:»Aber wie kann man beständig bewundern, ohne beständig zu verachten?»
214
Der Glaube macht selig. Die Tugend giebt nur Denen Glück und eine Art Seligkeit, welche den guten Glauben an ihre Tugend haben: — nicht aber jenen feineren Seelen, deren Tugend im tiefen Misstrauen gegen sich und alle Tugend besteht. Zuletzt macht also auch hier» der Glaube selig!«— und wohlgemerkt, nicht die Tugend!
215
Ideal und Stoff. — Du hast da ein vornehmes Ideal vor Augen: aber bist du auch ein so vornehmer Stein, dass aus dir solch ein Götterbild gebildet werden dürfte? Und ohne diess — ist all deine Arbeit nicht eine barbarische Bildhauerei? Eine Lästerung deines Ideals?
216
Gefahr in der Stimme. — Mit einer sehr lauten Stimme im Halse, ist man fast ausser Stande, feine Sachen zu denken.
217
Ursache und Wirkung. — Vor der Wirkung glaubt man an andere Ursachen, als nach der Wirkung.
218
Meine Antipathie. — Ich liebe die Menschen nicht, welche, um überhaupt Wirkung zu thun, zerplatzen müssen, gleich Bomben, und in deren Nähe man immer in Gefahr ist, plötzlich das Gehör — oder noch mehr zu verlieren.
219
Zweck der Strafe. — Die Strafe hat den Zweck, Den zu bessern, welcher straft, — das ist die letzte Zuflucht für die Vertheidiger der Strafe.
220
Opfer. — Ueber Opfer und Aufopferung denken die Opferthiere anders, als die Zuschauer: aber man hat sie von jeher nicht zu Worte kommen lassen.
221
Schonung. — Väter und Söhne schonen sich viel mehr unter einander, als Mütter und Töchter.
222
Dichter und Lügner. — Der Dichter sieht in dem Lügner seinen Milchbruder, dem er die Milch weggetrunken hat; so ist Jener elend geblieben und hat es nicht einmal bis zum guten Gewissen gebracht.
223
Vicariat der Sinne. — »Man hat auch die Augen um zu hören — sagte ein alter Beichtvater, der taub wurde; und unter den Blinden ist Der König, wer die längsten Ohren hat.»
224
Kritik der Thiere. — Ich fürchte, die Thiere betrachten den Menschen als ein Wesen Ihresgleichen, das in höchst gefährlicher Weise den gesunden Thierverstand verloren hat, — als das wahnwitzige Thier, als das lachende Thier, als das weinende Thier, als das unglückselige Thier.
225
Die Natürlichen. — »Das Böse hat immer den grossen Effect für sich gehabt! Und die Natur ist böse! Seien wir also natürlich!«— so schliessen im Geheimen die grossen Effecthascher der Menschheit, welche man gar zu oft unter die grossen Menschen gerechnet hat.
226
Die Misstrauischen und der Stil. — Wir sagen die stärksten Dinge schlicht, vorausgesetzt, dass Menschen um uns sind, die an unsere Stärke glauben: — eine solche Umgebung erzieht zur» Einfachheit des Stils«. Die Misstrauischen reden emphatisch; die Misstrauischen machen emphatisch.
227
Fehlschluss, Fehlschuss. — Er kann sich nicht beherrschen: und daraus schliesst jene Frau, es werde leicht sein, ihn zu beherrschen und wirft ihre Fangseile nach ihm aus; — die Arme, die in Kürze seine Sclavin sein wird.
228
Gegen die Vermittelnden. — Wer zwischen zwei entschlossenen Denkern vermitteln will, ist gezeichnet als mittelmässig: er hat das Auge nicht dafür, das Einmalige zu sehen; die Aehnlichseherei und Gleichmacherei ist das Merkmal schwacher Augen.
229
Trotz und Treue. — Er hält aus Trotz an einer Sache fest, die ihm durchsichtig geworden ist, — er nennt es aber» Treue».
230
Mangel an Schweigsamkeit. — Sein ganzes Wesen überredet nicht — das kommt daher, dass er nie eine gute Handlung, die er that, verschwiegen hat.
231
Die» Gründlichen«. — Die Langsamen der Erkenntniss meinen, die Langsamkeit gehöre zur Erkenntniss.
232
Träumen. — Man träumt gar nicht, oder interessant. — Man muss lernen, ebenso zu wachen: — gar nicht, oder interessant.
233
Gefährlichster Gesichtspunct. — Was ich jetzt thue oder lasse, ist für alles Kommende so wichtig, als das grösste Ereigniss der Vergangenheit: in dieser ungeheuren Perspective der Wirkung sind alle Handlungen gleich gross und klein.
234
Trostrede eines Musicanten. — »Dein Leben klingt den Menschen nicht in die Ohren: für sie lebst du ein stummes Leben, und alle Feinheit der Melodie, alle zarte Entschliessung im Folgen oder Vorangehen, bleibt ihnen verborgen. Es ist wahr: du kommst nicht auf breiter Strasse mit Regimentsmusik daher, — aber desshalb haben diese Guten doch kein Recht, zu sagen, es fehle deinem Lebenswandel an Musik. Wer Ohren hat, der höre.»
235
Geist und Charakter. — Mancher erreicht seinen Gipfel als Charakter, aber sein Geist ist gerade dieser Höhe nicht angemessen — und Mancher umgekehrt.
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Um die Menge zu bewegen. — Muss nicht Der, welcher die Menge bewegen will, der Schauspieler seiner selber sein? Muss er nicht sich selber erst in's Grotesk-Deutliche übersetzen und seine ganze Person und Sache in dieser Vergröberung und Vereinfachung vortragen?
237
Der Höfliche. — »Er ist so höflich!«— Ja, er hat immer einen Kuchen für den Cerberus bei sich und ist so furchtsam, dass er Jedermann für den Cerberus hält, auch dich und mich, — das ist seine Höflichkeit.