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Im Horizont des Unendlichen. — Wir haben das Land verlassen und sind zu Schiff gegangen! Wir haben die Brücke hinter uns, — mehr noch, wir haben das Land hinter uns abgebrochen! Nun, Schifflein! sieh' dich vor! Neben dir liegt der Ocean, es ist wahr, er brüllt nicht immer, und mitunter liegt er da, wie Seide und Gold und Träumerei der Güte. Aber es kommen Stunden, wo du erkennen wirst, dass er unendlich ist und dass es nichts Furchtbareres giebt, als Unendlichkeit. Oh des armen Vogels, der sich frei gefühlt hat und nun an die Wände dieses Käfigs stösst! Wehe, wenn das Land-Heimweh dich befällt, als ob dort mehr Freiheit gewesen wäre, — und es giebt kein» Land «mehr!

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Der tolle Mensch. — Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittage eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie:»ich suche Gott! Ich suche Gott!«— Da dort gerade Viele von Denen zusammen standen, welche nicht an Gott glaubten, so erregte er ein grosses Gelächter. Ist er denn verloren gegangen? sagte der Eine. Hat er sich verlaufen wie ein Kind? sagte der Andere. Oder hält er sich versteckt? Fürchtet er sich vor uns? Ist er zu Schiff gegangen? ausgewandert? — so schrieen und lachten sie durcheinander. Der tolle Mensch sprang mitten unter sie und durchbohrte sie mit seinen Blicken.»Wohin ist Gott? rief er, ich will es euch sagen! Wir haben ihn getödtet, — ihr und ich! Wir Alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir diess gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was thaten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Giebt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittage angezündet werden? Hören wir noch Nichts von dem Lärm der Todtengräber, welche Gott begraben? Riechen wir noch Nichts von der göttlichen Verwesung? — auch Götter verwesen! Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getödtet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besass, es ist unter unseren Messern verblutet, — wer wischt diess Blut von uns ab? Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen? Welche Sühnfeiern, welche heiligen Spiele werden wir erfinden müssen? Ist nicht die Grösse dieser That zu gross für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen? Es gab nie eine grössere That, — und wer nur immer nach uns geboren wird, gehört um dieser That willen in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war!«— Hier schwieg der tolle Mensch und sah wieder seine Zuhörer an: auch sie schwiegen und blickten befremdet auf ihn. Endlich warf er seine Laterne auf den Boden, dass sie in Stücke sprang und erlosch.»Ich komme zu früh, sagte er dann, ich bin noch nicht an der Zeit. Diess ungeheure Ereigniss ist noch unterwegs und wandert, — es ist noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen. Blitz und Donner brauchen Zeit, das Licht der Gestirne braucht Zeit, Thaten brauchen Zeit, auch nachdem sie gethan sind, um gesehen und gehört zu werden. Diese That ist ihnen immer noch ferner, als die fernsten Gestirne, — und doch haben sie dieselbe gethan!«— Man erzählt noch, dass der tolle Mensch des selbigen Tages in verschiedene Kirchen eingedrungen sei und darin sein Requiem aeternam deo angestimmt habe. Hinausgeführt und zur Rede gesetzt, habe er immer nur diess entgegnet:»Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?»—

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Mystische Erklärungen. — Die mystischen Erklärungen gelten für tief; die Wahrheit ist, dass sie noch nicht einmal oberflächlich sind.

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Nachwirkung der ältesten Religiosität. — Jeder Gedankenlose meint, der Wille sei das allein Wirkende; Wollen sei etwas Einfaches, schlechthin Gegebenes, Unableitbares, An-sich-Verständliches. Er ist überzeugt, wenn er Etwas thut, zum Beispiel einen Schlag ausführt, er sei es, der da schlage, und er habe geschlagen, weil er schlagen wollte. Er merkt gar Nichts von einem Problem daran, sondern das Gefühl des Willens genügt ihm, nicht nur zur Annahme von Ursache und Wirkung, sondern auch zum Glauben, ihr Verhältniss zu verstehen. Von dem Mechanismus des Geschehens und der hundertfältigen feinen Arbeit, die abgethan werden muss, damit es zu dem Schlage komme, ebenso von der Unfähigkeit des Willens an sich, auch nur den geringsten Theil dieser Arbeit zu thun, weiss er Nichts. Der Wille ist ihm eine magisch wirkende Kraft: der Glaube an den Willen, als an die Ursache von Wirkungen, ist der Glaube an magisch wirkende Kräfte. Nun hat ursprünglich der Mensch überall, wo er ein Geschehen sah, einen Willen als Ursache und persönlich wollende Wesen im Hintergrunde wirkend geglaubt, — der Begriff der Mechanik lag ihm ganz ferne. Weil aber der Mensch ungeheure Zeiten lang nur an Personen geglaubt hat (und nicht an Stoffe, Kräfte, Sachen und so weiter), ist ihm der Glaube an Ursache und Wirkung zum Grundglauben geworden, den er überall, wo Etwas geschieht, verwendet, — auch jetzt noch instinctiv und als ein Stück Atavismus ältester Abkunft. Die Sätze» keine Wirkung ohne Ursache«,»jede Wirkung wieder Ursache «erscheinen als Verallgemeinerungen viel engerer Sätze:»wo gewirkt wird, da ist gewollt worden«,»es kann nur auf wollende Wesen gewirkt werden«,»es giebt nie ein reines, folgenloses Erleiden einer Wirkung, sondern alles Erleiden ist eine Erregung des Willens«(zur That, Abwehr, Rache, Vergeltung), — aber in den Urzeiten der Menschheit waren diese und jene Sätze identisch, die ersten nicht Verallgemeinerungen der zweiten, sondern die zweiten Erläuterungen der ersten. — Schopenhauer, mit seiner Annahme, dass Alles, was da sei, nur etwas Wollendes sei, hat eine uralte Mythologie auf den Thron gehoben; er scheint nie eine Analyse des Willens versucht zu haben, weil er an die Einfachheit und Unmittelbarkeit alles Wollens glaubte, gleich Jedermann: — während Wollen nur ein so gut eingespielter Mechanismus ist dass er dem beobachtenden Auge fast entläuft. Ihm gegenüber stelle ich diese Sätze auf. erstens, damit Wille entstehe, ist eine Vorstellung von Lust und Unlust nöthig. Zweitens: dass ein heftiger Reiz als Lust oder Unlust empfunden werde, das ist die Sache des interpretirenden Intellects, der freilich zumeist dabei uns unbewusst arbeitet; und ein und derselbe Reiz kann als Lust oder Unlust interpretirt werden. Drittens: nur bei den intellectuellen Wesen giebt es Lust, Unlust und Wille; die ungeheure Mehrzahl der Organismen hat Nichts davon.

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Der Werth des Gebetes. — Das Gebet ist für solche Menschen erfunden, welche eigentlich nie von sich aus Gedanken haben und denen eine Erhebung der Seele unbekannt ist oder unbemerkt verläuft: was sollen Diese an heiligen Stätten und in allen wichtigen Lagen des Lebens, welche Ruhe und eine Art Würde erfordern? Damit sie wenigstens nicht stören, hat die Weisheit aller Religionsstifter, der kleinen wie der grossen, ihnen die Formel des Gebetes anbefohlen, als eine lange mechanische Arbeit der Lippen, verbunden mit Anstrengung des Gedächtnisses und mit einer gleichen festgesetzten Haltung von Händen und Füssen und Augen! Da mögen sie nun gleich den Tibetanern ihr» om mane padme hum «unzählige Male wiederkäuen, oder, wie in Benares, den Namen des Gottes Ram-Ram-Ram (und so weiter mit oder ohne Grazie) an den Fingern abzählen: oder den Wischnu mit seinen tausend, den Allah mit seinen neunundneunzig Anrufnamen ehren: oder sie mögen sich der Gebetmühlen und der Rosenkränze bedienen, — die Hauptsache ist, dass sie mit dieser Arbeit für eine Zeit festgemacht sind und einen erträglichen Anblick gewähren: ihre Art Gebet ist zum Vortheil der Frommen erfunden, welche Gedanken und Erhebungen von sich aus kennen. Und selbst Diese haben ihre müden Stunden, wo ihnen eine Reihe ehrwürdiger Worte und Klänge und eine fromme Mechanik wohlthut. Aber angenommen, dass diese seltenen Menschen — in jeder Religion ist der religiöse Mensch eine Ausnahme — sich zu helfen wissen: jene Armen im Geiste wissen sich nicht zu helfen, und ihnen das Gebets-Geklapper verbieten heisst ihnen ihre Religion nehmen: wie es der Protestantismus mehr und mehr an den Tag bringt. Die Religion will von Solchen eben nicht mehr, als dass sie Ruhehalten, mit Augen, Händen, Beinen und Organen aller Art: dadurch werden sie zeitweilig verschönert und — menschenähnlicher!

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Die Bedingungen Gottes.»Gott selber kann nicht ohne weise Menschen bestehen«— hat Luther gesagt und mit gutem Rechte; aber» Gott kann noch weniger ohne unweise Menschen bestehen«— das hat der gute Luther nicht gesagt!

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Ein gefährlicher Entschluss. — Der christliche Entschluss, die Welt hässlich und schlecht zu finden, hat die Welt hässlich und schlecht gemacht.

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Christenthum und Selbstmord. — Das Christenthum hat das zur Zeit seiner Entstehung ungeheure Verlangen nach dem Selbstmorde zu einem Hebel seiner Macht gemacht: es liess nur zwei Formen des Selbstmordes übrig, umkleidete sie mit der höchsten Würde und den höchsten Hoffnungen und verbot alle anderen auf eine furchtbare Weise. Aber das Martyrium und die langsame Selbstentleibung des Asketen waren erlaubt.

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Gegen das Christenthum. — Jetzt entscheidet unser Geschmack gegen das Christenthum, nicht mehr unsere Gründe.

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Grundsatz. — Eine unvermeidliche Hypothese, auf welche die Menschheit immer wieder verfallen muss, ist auf die Dauer doch mächtiger, als der bestgeglaubte Glaube an etwas Unwahres (gleich dem christlichen Glauben). Auf die Dauer: das heisst hier auf hunderttausend Jahre hin.

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Die Pessimisten als Opfer. — Wo eine tiefe Unlust am Dasein überhand nimmt, kommen die Nachwirkungen eines grossen Diätfehlers, dessen sich ein Volk lange schuldig gemacht hat, an's Licht. So ist die Verbreitung des Buddhismus (nicht seine Entstehung) zu einem guten Theile abhängig von der übermässigen und fast ausschliesslichen Reiskost der Inder und der dadurch bedingten allgemeinen Erschlaffung. Vielleicht ist die europäische Unzufriedenheit der neuen Zeit daraufhin anzusehen, dass unsere Vorwelt, das ganze Mittelalter, Dank den Einwirkungen der germanischen Neigungen auf Europa, dem Trunk ergeben war: Mittelalter, das heisst die Alkoholvergiftung Europa's. — Die deutsche Unlust am Leben ist wesentlich Wintersiechthum, eingerechnet die Wirkungen der Kellerluft und des Ofengiftes in deutschen Wohnräumen.