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Rückblick. — Wir werden uns des eigentlichen Pathos jeder Lebensperiode selten als eines solchen bewusst, so lange wir in ihr stehen, sondern meinen immer, es sei der einzig uns nunmehr mögliche und vernünftige Zustand und durchaus Ethos, nicht Pathos — mit den Griechen zu reden und zu trennen. Ein paar Töne von Musik riefen mir heute einen Winter und ein Haus und ein höchst einsiedlerisches Leben in's Gedächtniss zurück und zugleich das Gefühl, in dem ich damals lebte: — ich meinte ewig so fortleben zu können. Aber jetzt begreife ich, dass es ganz und gar Pathos und Leidenschaft war, ein Ding, vergleichbar dieser schmerzhaft-muthigen und trost-sichern Musik, — dergleichen darf man nicht auf Jahre oder gar auf Ewigkeiten haben: man würde für diesen Planeten damit zu»überirdisch».

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Weisheit im Schmerz. — Im Schmerz ist soviel Weisheit wie in der Lust: er gehört gleich dieser zu den arterhaltenden Kräften ersten Ranges. Wäre er diess nicht, so würde er längst zu Grunde gegangen sein; dass er weh thut, ist kein Argument gegen ihn, es ist sein Wesen. Ich höre im Schmerze den Commandoruf des Schiffscapitains:»zieht die Segel ein!«Auf tausend Arten die Segel zu stellen, muss der kühne Schifffahrer» Mensch «sich eingeübt haben, sonst wäre es gar zu schnell mit ihm vorbei, und der Ozean schlürfte ihn zu bald hinunter. Wir müssen auch mit verminderter Energie zu leben wissen: sobald der Schmerz sein Sicherheitssignal giebt, ist es an der Zeit, sie zu vermindern, — irgend eine grosse Gefahr, ein Sturm ist im Anzuge, und wir thun gut, uns so wenig als möglich aufzubauschen'«. — Es ist wahr, dass es Menschen giebt, welche beim Herannahen des grossen Schmerzes gerade den entgegengesetzten Commandoruf hören, und welche nie stolzer, kriegerischer und glücklicher dreinschauen, als wenn der Sturm heraufzieht; ja, der Schmerz selber giebt ihnen ihre grössten Augenblicke! Das sind die heroischen Menschen, die grossen Schmerzbringer der Menschheit: jene Wenigen oder Seltenen, die eben die selbe Apologie nöthig haben, wie der Schmerz überhaupt, — und wahrlich! man soll sie ihnen nicht versagen! Es sind arterhaltende, artfördernde Kräfte ersten Ranges: und wäre es auch nur dadurch, dass sie der Behaglichkeit widerstreben und vor dieser Art Glück ihren Ekel nicht verbergen.

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Als Interpreten unserer Erlebnisse. — Eine Art von Redlichkeit ist allen Religionsstiftern und Ihresgleichen fremd gewesen: — sie haben nie sich aus ihren Erlebnissen eine Gewissenssache der Erkenntniss gemacht.»Was habe ich eigentlich erlebt? Was gierig damals in mir und um mich vor? War meine Vernunft hell genug? War mein Wille gegen alle Betrügereien der Sinne gewendet und tapfer in seiner Abwehr des Phantastischen?«— so hat Keiner von ihnen gefragt, so fragen alle die lieben Religiösen auch jetzt noch nicht: sie haben vielmehr einen Durst nach Dingen, welche wider die Vernunft sind, und wollen es sich nicht zu schwer machen, ihn zu befriedigen, — so erleben sie denn» Wunder «und» Wiedergeburten «und hören die Stimmen der Englein! Aber wir, wir Anderen, Vernunft-Durstigen, wollen unseren Erlebnissen so streng in's Auge sehen, wie einem wissenschaftlichen Versuche, Stunde für Stunde, Tag um Tag! Wir selber wollen unsere Experimente und Versuchs-Thiere sein.

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Beim Wiedersehen. — A.: Verstehe ich dich noch ganz? Du suchst? Wo ist inmitten der jetzt wirklichen Welt dein Winkel und Stern? Wo kannst du dich in die Sonne legen, sodass auch dir ein Ueberschuss von Wohl kommt und dein Dasein sich rechtfertigt? Möge das jeder für sich selber thun — scheinst du mir zu sagen — und das Reden in's Allgemeine, das Sorgen für den Anderen und die Gesellschaft sich aus dem Sinne schlagen! — B.: Ich will mehr, ich bin kein Suchender. Ich will für mich eine eigene Sonne schaffen.

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Neue Vorsicht. — Lasst uns nicht mehr so viel an Strafen, Tadeln und Bessern denken! Einen Einzelnen werden wir selten verändern; und wenn es uns gelingen sollte, so ist vielleicht unbesehens auch Etwas mitgelungen: wir sind durch ihn verändert worden! Sehen wir vielmehr zu, dass unser eigener Einfluss auf alles Kommende seinen Einfluss aufwiegt und überwiegt! Ringen wir nicht im directen Kampfe! — und das ist auch alles Tadeln, Strafen und Bessernwollen. Sondern erheben wir uns selber um so höher! Geben wir unserm Vorbilde immer leuchtendere Farben! Verdunkeln wir den Andern durch unser Licht! Nein! Wir wollen nicht um seinetwillen selber dunkler werden, gleich allen Strafenden und Unzufriedenen! Gehen wir lieber bei Seite! Sehen wir weg!

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Gleichniss. — Jene Denker, in denen alle Sterne sich in kyklischen Bahnen bewegen, sind nicht die tiefsten; wer in sich wie in einen ungeheuren Weltraum hineinsieht und Milchstrassen in sich trägt, der weiss auch, wie unregelmässig alle Milchstrassen sind; sie führen bis in's Chaos und Labyrinth des Daseins hinein.

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Glück im Schicksal. — Die grösste Auszeichnung erweist uns das Schicksal, wenn es uns eine Zeit lang auf der Seite unserer Gegner hat kämpfen lassen. Damit sind wir vorher bestimmt zu einem grossen Siege.

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In media vita. — Nein! Das Leben hat mich nicht enttäuscht! Von Jahr zu Jahr finde ich es vielmehr wahrer, begehrenswerther und geheimnissvoller, — von jenem Tage an, wo der grosse Befreier über mich kam, jener Gedanke, dass das Leben ein Experiment des Erkennenden sein dürfe — und nicht eine Pflicht, nicht ein Verhängniss, nicht eine Betrügerei! — Und die Erkenntniss selber: mag sie für Andere etwas Anderes sein, zum Beispiel ein Ruhebett oder der Weg zu einem Ruhebett, oder eine Unterhaltung, oder ein Müssiggang, — für mich ist sie eine Welt der Gefahren und Siege, in der auch die heroischen Gefühle ihre Tanz- und Tummelplätze haben.»Das Leben ein Mittel der Erkenntniss«— mit diesem Grundsatze im Herzen kann man nicht nur tapfer, sondern sogar fröhlich leben und fröhlich lachen! Und wer verstünde überhaupt gut zu lachen und zu leben, der sich nicht vorerst auf Krieg und Sieg gut verstünde?

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Was zur Grösse gehört. — Wer wird etwas Grosses erreichen, wenn er nicht die Kraft und den Willen in sich fühlt, grosse Schmerzen zuzufügen? Das Leidenkönnen ist das Wenigste: darin bringen es schwache Frauen und selbst Sclaven oft zur Meisterschaft. Aber nicht an innerer Noth und Unsicherheit zu Grunde gehn, wenn man grosses Leid zufügt und den Schrei dieses Leides hört — das ist gross, das gehört zur Grösse.

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Die Seelen-Aerzte und der Schmerz. — Alle Moralprediger, wie auch alle Theologen, haben eine gemeinsame Unart: alle suchen den Menschen aufzureden, sie befänden sich sehr schlecht und es thue eine harte letzte radicale Cur noth. Und weil die Menschen insgesammt jenen Lehren ihr Ohr zu eifrig und ganze Jahrhunderte lang hingehalten haben, ist zuletzt wirklich Etwas von jenem Aberglauben, dass es ihnen sehr schlecht gehe, auf sie übergegangen: sodass sie jetzt gar zu gerne einmal bereit sind, zu seufzen und Nichts mehr am Leben zu finden und miteinander betrübte Mienen zu machen, wie als ob es doch gar schwer auszuhalten sei. In Wahrheit sind sie unbändig ihres Lebens sicher und in dasselbe verliebt und voller unsäglicher Listen und Feinheiten, um das Unangenehme zu brechen und dem Schmerze und Unglücke seinen Dorn auszuziehen. Es will mir scheinen, dass vom Schmerze und Unglücke immer übertrieben geredet werde, wie als ob es eine Sache der guten Lebensart sei, hier zu übertreiben: man schweigt dagegen geflissentlich davon, dass es gegen den Schmerz eine Unzahl Linderungsmittel giebt, wie Betäubungen, oder die fieberhafte Hast der Gedanken, oder eine ruhige Lage, oder gute und schlimme Erinnerungen, Absichten, Hoffnungen, und viele Arten von Stolz und Mitgefühl, die beinahe die Wirkung von Anästheticis haben: während bei den höchsten Graden des Schmerzes schon von selber Ohnmachten eintreten. Wir verstehen uns ganz gut darauf, Süssigkeiten auf unsere Bitternisse zu träufeln, namentlich auf die Bitternisse der Seele; wir haben Hülfsmittel in unserer Tapferkeit und Erhabenheit, sowie in den edleren Delirien der Unterwerfung und der Resignation. Ein Verlust ist kaum eine Stunde ein Verlust: irgendwie ist uns damit auch ein Geschenk vom Himmel gefallen — eine neue Kraft zum Beispieclass="underline" und sei es auch nur eine neue Gelegenheit zur Kraft! Was haben die Moralprediger vom inneren» Elend «der bösen Menschen phantasirt! Was haben sie gar vom Unglücke der leidenschaftlichen Menschen uns vorgelogen! — ja, lügen ist hier das rechte Wort: sie haben um das überreiche Glück dieser Art von Menschen recht wohl gewusst, aber es todtgeschwiegen, weil es eine Widerlegung ihrer Theorie war, nach der alles Glück erst mit der Vernichtung der Leidenschaft und dem Schweigen des Willens entsteht! Und was zuletzt das Recept aller dieser Seelen-Aerzte betrifft und ihre Anpreisung einer harten radicalen Cur: so ist es erlaubt, zu fragen: ist dieses unser Leben wirklich schmerzhaft und lästig genug, um mit Vortheil eine stoische Lebensweise und Versteinerung dagegen einzutauschen? Wir befinden uns nicht schlecht genug, um uns auf stoische Art schlecht befinden zu müssen!

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Ernst nehmen. — Der Intellect ist bei den Allermeisten eine schwerfällige, finstere und knarrende Maschine, welche übel in Gang zu bringen ist: sie nennen es» die Sache ernst nehmen«, wenn sie mit dieser Maschine arbeiten und gut denken wollen — oh wie lästig muss ihnen das Gut-Denken sein! Die liebliche Bestie Mensch verliert jedesmal, wie es scheint, die gute Laune, wenn sie gut denkt; sie wird» ernst«! Und» wo Lachen und Fröhlichkeit ist, da taugt das Denken Nichts«: — so lautet das Vorurtheil dieser ernsten Bestie gegen alle» fröhliche Wissenschaft«. — Wohlan! Zeigen wir, dass es ein Vorurtheil ist!