Sie dachte darüber nach, und ihre Miene hellte sich auf. »Wenn wir gemeinsam daran arbeiten, könnte es funktionieren. Angenommen, Ihr sagt mir, was ein Satz bedeutet, dann wäre ich in der Lage, auf die Bedeutung von Worten zu schließen, die ich nicht kenne. Vielleicht können wir es schaffen.«
Richard schloß behutsam das Tagebuch. »Haltet es fest, als hinge Euer Leben davon ab. Ich werde das Licht halten. Machen wir, daß wir von hier verschwinden. Wir haben gefunden, weshalb wir hergekommen sind.«
Als er und Berdine den Durchgang passierten, waren Cara und Raina vor Erleichterung fast völlig aus dem Häuschen. Richard sah sogar, wie Egan und Ulic seufzten und den Seelen mit einem stummen Gebet dafür dankten, daß man sie erhört hatte.
»Es sind Mriswiths in der Burg«, erzählte Berdine den anderen, die sie mit Fragen überhäuften.
Cara stockte der Atem. »Wie viele mußtet Ihr töten, Lord Rahl?«
»Keinen. Sie haben uns nicht angegriffen. Von ihnen drohte uns keine Gefahr. Aber es gab genug andere Gefahren.« Er wehrte ihre hektischen Fragen mit einer Handbewegung ab. »Wir werden später darüber reden. Mit Berdines Hilfe habe ich gefunden, was ich gesucht habe.« Er tippte auf das Tagebuch in Berdines Händen. »Wir müssen zurück und es übersetzen.« Er nahm das Buch vom Tisch und reichte es Berdine.
Er wollte schon zur Tür, die nach draußen führte, als er sich noch einmal zu Cara und Raina umdrehte. »Äh, dort unten habe ich darüber nachgedacht, daß ich getötet werden könnte, wenn ich etwas Falsches tue, dabei fiel mir ein, daß ich nicht sterben möchte, ohne Euch beiden vorher etwas zu sagen.«
Richard steckte die Hände in die Taschen und kam näher. »Ich habe Euch noch gar nicht gesagt, daß es mir leid tut, wie ich Euch behandelt habe.«
»Ihr wußtet nicht, daß Berdine unter einem Bann stand, Lord Rahl«, erwiderte Cara. »Wir können es Euch nicht verdenken, daß Ihr Euch uns alle vom Leib halten wolltet.«
»Jetzt weiß ich es aber, und Ihr sollt wissen, daß ich zu Unrecht schlecht von Euch gedacht habe. Ihr habt mir keinen Anlaß dazu gegeben. Es tut mir leid. Hoffentlich könnt Ihr mir verzeihen.«
Ein Lächeln erwärmte die Gesichter von Cara und Raina. Er fand, saß sie noch nie weniger wie Mord-Siths ausgesehen hatten als in diesem Augenblick.
»Wir verzeihen Euch, Lord Rahl«, sagte Cara. Raina pflichtete ihr nickend bei. »Danke.«
»Was ist dort unten passiert, Lord Rahl?« erkundigte sich Cara.
»Wir haben uns über Freundschaft unterhalten«, antwortete Berdine.
Am unteren Ende der Straße, die zur Burg hinaufführte, dort, wo die Stadt Aydindril begann und mehrere Straßen zusammenliefen, die in die Stadt führten, gab es einen kleinen Markt, kein Vergleich zu dem auf der Stentorstraße, aber offenbar versuchte man hier, bei Reisenden eine Reihe verschiedener Waren an den Mann zu bringen.
Als Richard inmitten seiner fünf Leibwächter und seines Begleittrupps, der hinterhermarschierte, vorüberzog, fiel ihm im nachlassenden Licht etwas ins Auge, und er blieb vor einem kleinen, wackeligen Tisch stehen.
»Möchtet Ihr vielleicht einen von unseren Honigkuchen, Lord Rahl?« fragte ein dünnes, vertrautes Stimmchen.
Richard lächelte das kleine Mädchen an. »Wie viele schuldest du mir denn noch?«
Das Mädchen drehte sich um. »Großmutter?«
Die alte Frau erhob sich, die zerrissene Decke an den Leib pressend, und fixierte Richard mit ihren blauen Augen.
»Oh, oh«, meinte sie mit einem Grinsen, daß man die Lücken ihrer fehlenden Zähne sah. »Lord Rahl kann so viele haben, wie er will, Liebes.« Sie verneigte sich. »Es ist sehr schön, Euch wohlbehalten wiederzusehen, mein Lord Rahl.«
»Gleichfalls…« Er wartete auf ihren Namen.
»Valdora«, sagte sie. Sie streichelte über das hellbraune Haar des Mädchens. »Und das hier ist Holly.«
»Freut mich, euch wiederzusehen, Valdora und Holly Warum seid ihr hier und nicht auf eurem gewohnten Platz?«
Valdora zuckte unter der Decke mit den Achseln. »Jetzt, wo der neue Lord Rahl für Sicherheit in der Stadt sorgt, strömen laufend immer mehr Menschen hierher, und vielleicht kommt sogar wieder Leben in die Burg der Zauberer. Wir hoffen, ein paar von diesen neuen Leuten als Kunden zu gewinnen.«
»Nun, ich würde meine Hoffnung nicht darauf setzen, daß es in der Burg der Zauberer bald schon wieder lebhaft zugeht, aber gewiß habt ihr hier die besten Verkaufsmöglichkeiten bei denen, die frisch in Aydindril eintreffen.« Richard ließ den Blick über die Kuchen auf dem Tisch wandern. »Wie viele stehen mir noch zu?«
Valdora lachte stillvergnügt in sich hinein. »Ich müßte viel backen, wenn Ihr verlangtet, was wir Euch schuldig sind, Lord Rahl.«
Richard zwinkerte ihr zu. »Ich mache dir einen Vorschlag. Wenn ich jeweils einen für meine fünf Freunde hier bekommen könnte, dazu einen für mich selbst, dann betrachten wir die Schuld als beglichen.«
Valdoras Blick wanderte über seine fünf Leibwächter hinweg. Sie neigte noch einmal den Kopf. »Abgemacht, Lord Rahl. Ihr habt mir eine größere Genugtuung verschafft, als Ihr ahnt.«
38
Als Verna auf das Tor zum Bereich der Prälatin zueilte, bemerkte sie den Schwertkämpfer Kevin Andellmere, der im Dunkeln Wache stand. Sie konnte es kaum erwarten, in das Heiligtum zu kommen und Ann mitzuteilen, daß sie endlich einen Weg gefunden hatte und sie jetzt fast jede einzelne der Schwestern kannte, die dem Licht treu ergeben waren. Andererseits hatte sie Kevin seit Wochen nicht gesehen. Sie blieb stehen, obwohl sie gerannt war, daß ihr das Herz klopfte.
»Bist du das, Kevin?«
Der junge Soldat verneigte sich. »Ja, Prälatin.«
»Ich habe dich schon eine ganze Weile nicht mehr hier gesehen, nicht wahr?«
»Nein, Prälatin. Bollesdun, Walsh und ich wurden zu unserer Kommandostelle zurückbeordert.«
»Warum das?«
Kevin trat verlegen auf den anderen Fuß. »Genau weiß ich das nicht. Ich glaube, mein Kommandant war neugierig wegen des Banns, der über dem Palast liegt. Ich kenne ihn seit nahezu fünfzehn Jahren, und er ist alt geworden. Er wollte mit eigenen Augen sehen, ob es stimmt, daß wir nicht gealtert sind. Er meinte, Bollesdun, Walsh und ich sähen genauso aus wie vor fünfzehn Jahren. Er meinte, er hätte es nicht recht geglaubt, als er davon erzählen hörte, doch jetzt sei er überzeugt. Er rief seine Unterführer herbei, die uns kannten, damit sie sich mit eigenen Augen überzeugen konnten.«
Verna spürte, wie ihr der Schweiß in Perlen auf die Stirn trat. Kalt überkam sie die Erkenntnis, und plötzlich wußte sie, weshalb der Kaiser zum Palast der Propheten kam. Sie mußte es der Prälatin erzählen. Dabei hatte sie keine Zeit zu verlieren.
»Kevin, bist du ein ergebener Soldat des Imperiums, der Imperialen Ordnung?«
Kevins Hand glitt an der Lanze nach oben. Seine Stimme klang zögernd. »Ja, Prälatin. Ich meine, als die Imperiale Ordnung meine Heimat eroberte, hatte ich keine große Wahclass="underline" Ich wurde zum Soldaten in der Imperialen Ordnung gedungen. Eine Weile kämpfte ich im Norden, in der Nähe der Wildnis. Als die Imperiale Ordnung dann die Macht in unserem Königreich übernahm, erzählte man mir, ich sei jetzt ein Soldat der Ordnung und würde dem Palast überstellt.
Als Wächter kann man keine bessere Arbeit finden. Ich bin froh, daß ich wieder hier bin und Wache halten darf. Bollesdun und Walsh freuen sich ebenso, wieder hier zu sein — auf ihren Posten auf dem Gelände des Propheten.
Wenigstens haben mich meine Offiziere immer ordentlich behandelt, und ich bekomme mein Geld. Viel ist es nicht, aber es kommt regelmäßig. Und ich sehe eine Menge Menschen, die keine Arbeit haben und denen es schwerfällt, das Nötigste zum Essen zu verdienen.«
Verna legte ihm sacht die Hand auf den Arm. »Wie denkst du über Richard?«
»Richard?« Ein Grinsen zog über sein Gesicht. »Ich mochte Richard. Er hat mir teure Pralinen für meine Liebste gekauft.«