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Ann küßte dem Mädchen die Hand. »Mir auch. Mir auch.«

»Ich habe die Gabe.« Sie schaute auf aus großen, traurigen Augen. »Kannst du mir beibringen, wie man damit heilt?«

»Es wäre mir eine Ehre.«

Nathan hob sein Schwert auf und steckte es mit einer dramatischen Geste in die Scheide zurück. »Willst du jetzt endlich geheilt werden? Oder willst du lieber verbluten, damit ich mich zum ersten Mal an einer Wiederauferstehung versuchen kann?«

Ann zuckte zusammen, als sie sich erhob. »Heile mich, mein Retter.«

Er sah sie voller Argwohn an. »Dann gib mir Zugriff auf meine Kraft, Frau. Mit meinem Schwert kann ich dich nicht heilen.«

Ann schloß die Augen und hob eine Hand. Sie stellte ihre Sinne auf seinen Rada’Han ein und entfernte die Sperre aus seinem Fluß des Han. »Es ist vollbracht.«

Nathan brummte. »Ich weiß, daß es vollbracht ist. Schließlich fühle ich, daß es wieder da ist.«

»Hilf mir auf den Tisch, Nathan.« Holly hielt ihre Hand, während Ann aufgehoben wurde.

Nathan betrachtete den auf dem Boden liegenden Zauberer. »Nun, endlich hast du ihn. Soweit ich weiß, ist jemandem wie ihm noch nie ein Halsring umgelegt worden.« Er sah sie aus seinen durchdringenden, blauen Augen an. »Jetzt, wo du einen Zauberer der Ersten Ordnung in der Hand hast, fängt dein Plan erst an, wirklich irrsinnig zu werden.«

Ann seufzte, als seine heilenden Hände endlich über ihren Körper strichen. »Ich weiß. Hoffentlich hat Verna ihre Sache inzwischen gut gemacht.«

41

Zedd schnappte nach Luft und riß die Augen auf. Er setzte sich kerzengerade auf. Eine große Hand auf seiner Brust drückte ihn wieder nach unten.

»Immer mit der Ruhe, alter Mann«, meinte eine tiefe Stimme.

Zedd starrte hoch in das Gesicht mit dem kantigen Kinn. Das schulterlange, weiße Haar fiel nach vorne, als der Mann sich vorbeugte und die Hände zu beiden Seiten neben Zedds Kopf aufstützte.

»Wen meinst du mit ›alter Mann‹, alter Mann?«

Die durchdringenden blauen Augen unter der Raubvogelstirn lächelten, so wie der Rest des Gesichts auch. Es war ein zwiespältiges Antlitz, das Zedd verstörend fand. »Nun, wo du es sagst, ich bin wohl tatsächlich ein wenig älter als du, denke ich.«

Irgend etwas an diesem Gesicht war vertraut. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Zedd stieß die Hände des anderen zur Seite, setzte sich abermals auf und deutete mit einem knochigen Finger auf den großen Mann.

»Du siehst aus wie Richard. Wieso siehst du aus wie Richard?«

Der Mann strahlte von einem Ohr zum anderen. Die Stirnpartie sah immer noch wie die eines Habichts aus. »Wir sind miteinander verwandt.«

»Ein Verwandter! Verdammt!« Zedd sah genauer hin. »Groß. Muskulös. Blaue Augen. Haar von ähnlicher Beschaffenheit. Dieser Kiefer. Schlimmer noch, die Augen.« Zedd verschränkte die Arme. »Du bist ein Rahl«, verkündete er.

»Sehr gut. Dann kennst du also Richard.«

»Ihn kennen. Ich bin sein Großvater.«

Der andere runzelte die Stirn. »Großvater…« Er wischte sich mit einer seiner großen Hände durchs Gesicht. »Gütiger Schöpfer«, murmelte er, »was hat uns diese Frau nur eingebrockt?«

»Frau? Welche Frau?«

Mit einem Seufzer ließ er die Hand fallen. Das Lächeln kehrte zurück, und er verneigte sich. Eine ganz ordentliche Verbeugung, wie Zedd fand. »Erlaube mir, daß ich mich vorstelle. Ich bin Nathan Rahl.« Er richtete sich auf. »Dürfte ich vielleicht deinen Namen erfahren, Freund?«

»Freund?«

Nathan klopfte mit den Knöcheln an Zedds Stirn. »Ich habe gerade deinen Schädelbruch geheilt. Das sollte doch ein wenig ins Gewicht fallen.«

»Nun ja«, knurrte Zedd, »vielleicht hast du recht. Danke, Nathan. Ich bin Zedd. Eine recht ordentliche Demonstration der Heilkunst, wenn mein Schädel wirklich gebrochen war.«

»Oh, das war er. Wie es scheint, bekomme ich reichlich Gelegenheit zum Üben. Wie fühlst du dich?«

Zedd machte eine Bestandsaufnahme. »Ganz gut. Ich fühle mich gut. Meine Kraft ist wieder da…« Stöhnend fiel ihm wieder ein, was geschehen war. »Gratch. Gütige Seelen, ich muß hier raus.«

Nathan legte Zedd die Hand auf die Brust und hielt ihn zurück. »Wir müssen uns ein wenig unterhalten, mein Freund. Zumindest hoffe ich, daß wir Freunde werden können. Leider haben wir einiges gemeinsam, abgesehen davon, daß wir mit Richard verwandt sind.«

Zedd betrachtete den großen Mann ungläubig. »Und das wäre?«

Nathan knöpfte sein Rüschenhemd oben auf. Seine Brust war über und über mit getrocknetem Blut bedeckt. Nathan hakte einen Finger in den mattsilbernen Ring um seinen Hals und hob ihn ein Stück an.

Zedds Stimme bekam einen düsteren Unterton. »Ist es das, was ich glaube, daß es ist?«

»Du bist zweifellos ein ziemlich kluger Bursche, sonst wärst du ihr nicht so wichtig.«

Zedd blickte ihm in seine blauen Augen. »Und welches verhängnisvolle Ding haben wir nun gemeinsam?«

Nathan streckte die Hand aus und zog an einem Gegenstand um Zedds Hals. Zedd riß die Hände hoch und betastete den glatten Metallring. Er konnte keine Naht entdecken.

»Was hat das zu bedeuten? Warum tust du so etwas?«

Nathan seufzte tief. »Ich nicht, Zedd.« Er zeigte auf jemanden. »Sie.«

Eine untersetzte, alte Frau mit grauem, zu einem losen Knoten hinter ihrem Kopf zusammengebundenem Haar kam gerade zur Tür herein. Sie hatte ein kleines Mädchen an der Hand.

»Ach«, sagte sie und legte die Finger an den oberen Rand ihres dunkelbraunen Kleides, das bis zum Hals zugeknöpft war. »Wie ich sehe, hat Nathan sich bereits um dich gekümmert. Das freut mich sehr. Wir waren sehr in Sorge.«

»Ach, wirklich?« meinte Zedd unverbindlich.

Die alte Frau lächelte. »Ja, wirklich.« Sie sah das kleine Mädchen an, strich ihr über das hellbraune Haar. »Das ist Holly. Sie hat dich hierhergebracht. Und dir das Leben gerettet.«

»Ich glaube, ich erinnere mich, sie gesehen zu haben. Danke für die Hilfe, Holly Ich bin dir etwas schuldig.«

»Ich bin nur froh, daß du wieder gesund bist«, erwiderte das Mädchen. »Ich hatte schon Angst, der Gar hätte dich getötet.«

»Der Gar? Hast du ihn gesehen? Geht es ihm gut?«

Sie schüttelte den Kopf. »Er ist zusammen mit all den anderen Monstern über die Mauer gefallen.«

»Verdammt«, zischte Zedd leise zwischen den Zähnen hindurch. »Dieser Gar war ein Freund von mir.«

Die Frau zog die Augenbrauen hoch. »Ein Gar? Nun, dann tut es mir leid.«

Zedd sah die Frau wütend an. »Was hat dieser Ring an meinem Hals zu suchen?«

Sie breitete die Hände aus. »Tut mir leid, aber im Augenblick ist es erforderlich.«

»Du wirst ihn entfernen.«

Sie lächelte unverändert. »Ich verstehe, daß du besorgt bist, aber im Augenblick muß er bleiben, wo er ist.« Sie faltete die Hände vor ihrem Bauch. »Ich fürchte, man hat uns einander noch nicht vorgestellt. Wie lautet dein Name?«

Zedds Stimme klang düster und gefährlich. »Ich bin der Erste Zauberer Zeddicus Z’ul Zorander.«

»Ich bin Prälatin Annalina Aldurren, Prälatin der Schwestern des Lichts.« Ihr Lächeln wurde wärmer. »Du kannst mich Ann nennen. Das tun alle meine Freunde, Zedd.«

Die Augen fest auf die Frau geheftet, sprang Zedd vom Tisch herunter. »Wir sind nicht befreundet.« Sie wich einen Schritt zurück. »Du wirst mich mit Zauberer Zorander ansprechen.«

»Jetzt mal langsam, Freund«, warnte ihn Nathan.

Zedd warf ihm einen erzürnten Blick zu, woraufhin der andere den Mund schloß und sich in die Brust warf.

Sie zuckte die Achseln. »Wie du willst, Zauberer Zorander.«

Zedd tippte an den Ring an seinem Hals. »Nimm ihn sofort ab.«

Das Lächeln hielt sich hartnäckig auf ihrem Gesicht. »Er muß dort bleiben.«

Zedd ging langsam auf sie zu. Nathan trat einen Schritt nach vorn, offenbar entschlossen, ihn zurückzuhalten. Ohne die Augen von der Prälatin abzuwenden, hob Zedd einen Arm und zielte mit einem dünnen Finger auf Nathan. Als stünde er in einem Sturm auf einer glatten Eisfläche, glitt der große Mann mit rudernden Armen nach hinten, bis er gegen die gegenüberliegende Wand gedrückt wurde.