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Zedd hob die andere Hand, und die Decke begann in einem bläulichen Licht zu erstrahlen. Als er die Hand herunternahm, senkte sich eine rasiermesserdünne Schicht aus Licht, gleich der Wasserfläche eines stillen Sees, über sie herab. Ann riß die Augen auf. Die Lichtfläche sank immer tiefer, bis sie auf dem Boden zur Ruhe kam, wo sie sich in eine brodelnde Schicht kochenden Lichts verwandelte. Das Licht schmolz zu Punkten greller Intensität zusammen.

Aus diesen Punkten zuckten Blitze hervor. Knisternde Bänder weißen Feuers kletterten ringsum die Wände hinauf und füllten den Raum mit beißendem Gestank. Zedd machte eine kreisende Bewegung mit dem Finger, und die Blitze sprangen von der Wand auf seinen Halsring über. Zuckendes Licht schlug in das Metall. Der Raum erzitterte unter dem tanzenden Donner. Gesteinsstaub füllte die Luft.

Der Tisch stieg in die Höhe und explodierte dann in einer Staubwolke, die in die wirbelnden Lichtströme gesogen wurde. Der Raum erbebte und ächzte, als sich gewaltige Steinblöcke lockerten und aus ihrem Platz in der Mauer gerüttelt wurden.

Inmitten seines wütenden Kraftausbruchs erkannte Zedd, daß es nicht funktionieren würde. Der Halsring sog die gewaltigen Kräfte in sich hinein, ohne zu zerspringen. Eine peitschende Bewegung mit dem Arm machte Lärm und Licht ein Ende. Abrupt wurde der Raum still. Gewaltige Steinquader hingen halb aus der Wand heraus. Der gesamte Fußboden war verkohlt und schwarz, trotzdem hatte sich keiner von ihnen verbrannt.

Dank seiner Analyse der Prälatin, des Mädchens und Nathans, die er mit Hilfe der Lichtbande vorgenommen hatte, war er jetzt bei jedem über das genaue Ausmaß seiner Kraft, seiner Stärken und Schwächen im Bilde. Sie konnte den Ring nicht gemacht haben, er war von Zauberern hergestellt worden. Aber sie konnte ihn benutzen.

»Bist du jetzt fertig?« fragte Ann. Endlich hatte sie aufgehört zu lächeln.

»Ich habe noch gar nicht angefangen.«

Zedd hob die Arme. Falls nötig, würde er genügend Energie bündeln, um einen ganzen Berg dem Erdboden gleichzumachen. Nichts geschah.

»Das reicht«, sagte sie. Ihr Lächeln kehrte ein Stück weit zurück. »Jetzt verstehe ich, wo Richard sein aufbrausendes Temperament herhat.«

Zedd stieß einen Finger in ihre Richtung. »Du! Du hast ihm den Halsring umgelegt!«

»Ich hätte ihn holen können, als er noch ein Kind war, anstatt ihn mit deiner Liebe und unter deiner Führung aufwachsen zu lassen.«

Zedd konnte an den Fingern einer Hand die Male in seinem Leben abzählen, als er wirklich die Beherrschung, und schlimmer noch, die Vernunft, verloren hatte. Jetzt näherte er sich rasch dem Punkt, wo es erforderlich werden konnte, an seiner anderen Hand weiterzuzählen. »Versuche nicht, mich mit deinen selbstgerechten Ausreden zu besänftigen. Für Sklaverei gibt es keine Rechtfertigung.«

Ann seufzte. »Manchmal muß eine Prälatin, genau wie ein Zauberer, die Menschen benutzen. Ich bin sicher, das verstehst du. Ich bedauere, daß ich Richard benutzen muß — und daß ich dich benutzen muß —, aber ich habe keine andere Wahl.« Ein versonnenes Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Richard war mit Halsring eine wahre Nervensäge.«

»Wenn du glaubst, daß Richard schwierig war, dann hast du dich getäuscht. Warte, bis du erfährst, welchen Ärger dir sein Großvater aufs Haupt laden wird.« Zedd knirschte mit den Zähnen. »Du hast ihm einen deiner Ringe um den Hals gelegt. Du hast junge Burschen aus den Midlands entführt. Du hast das Abkommen gebrochen, das Tausende von Jahren Bestand hatte. Du kennst die Konsequenzen einer solchen Übertretung. Die Schwestern des Lichts werden den Preis dafür bezahlen.«

Zedd stand am Rand eines Abgrunds, stand kurz davor, das Dritte Gesetz der Magie zu brechen, und doch gelang es ihm nicht, seinen Verstand unter Kontrolle zu bekommen. Genaugenommen war das die einzige Möglichkeit, das Dritte Gesetz zu verletzen.

»Ich weiß, welche Konsequenzen es hat, wenn die Imperiale Ordnung die Welt übernimmt. Ich weiß, im Augenblick verstehst du das nicht, Zauberer Zorander. Aber ich hoffe, du gelangst noch zu der Erkenntnis, daß wir auf derselben Seite kämpfen.«

»Ich verstehe eine Menge mehr, als du glaubst. Du hilfst der Imperialen Ordnung. Ich hatte es noch nie nötig, meine Verbündeten zu Gefangenen zu machen, um für die gerechte Sache zu kämpfen.«

»Ach, ja? Und als was würdest du das Schwert der Wahrheit bezeichnen?«

Er kochte innerlich und hatte nicht die Absicht, mit der Frau zu diskutieren. »Du wirst diesen Ring abnehmen. Richard ist auf meine Hilfe angewiesen.«

»Richard wird für sich selbst sorgen müssen. Er ist ein kluger Junge. Das ist zum Teil dein Verdienst. Deswegen habe ich ihn auch bei dir aufwachsen lassen.«

»Der Junge braucht meine Hilfe! Er muß wissen, wie er seine Kraft zu benutzen hat. Wenn ich ihn nicht erreiche, kann es passieren, daß er in die Burg geht. Er kennt die Gefahren dort nicht. Er könnte getötet werden. Das darf ich nicht zulassen. Wir brauchen ihn.«

»Richard war bereits in der Burg. Gestern war er fast den ganzen Tag dort und hat sie unverletzt wieder verlassen.«

»›Beim ersten Mal mit Glück‹«, zitierte Zedd, »›beim zweiten voller Zuversicht und beim dritten Male tot.‹«

»Hab Vertrauen in deinen Enkel. Wir müssen ihm auf andere Weise helfen. Außerdem haben wir keine Zeit zu verlieren. Wir müssen aufbrechen.«

»Mit dir zusammen werde ich nirgendwohin aufbrechen.«

»Zauberer Zorander, ich bitte dich, uns zu helfen. Ich bitte dich, mit uns zusammenzuarbeiten und mitzukommen. Es steht sehr viel auf dem Spiel. Bitte tue, was ich sage, oder ich bin gezwungen, den Ring zu benutzen. Das würde dir nicht gefallen.«

»Hör auf sie, Zedd«, meinte Nathan. »Ich kann bezeugen, daß es dir nicht gefallen würde. Du hast keine Wahl. Ich weiß, wie du dich fühlst, aber es wird leichter für dich sein, wenn du tust, was sie sagt.«

»Was bist du eigentlich für ein Zauberer?«

Nathan richtete sich ein wenig auf. »Ich bin ein Prophet.«

Wenigstens war der Mann ehrlich. Er hatte die Lichtbande nicht als das erkannt, was sie waren, und wußte nicht, daß Zedd daraus etwas ablesen konnte. »Und — gefällt es dir, als Sklave gehalten zu werden?«

Ann mußte laut lachen. Nicht so Nathan. In seinen Augen spiegelte sich die ruhige, siedende, tödliche Wildheit eines Rahl. »Eins versichere ich dir, ich tue das nicht aus freien Stücken. Ich hadere bereits den größten Teil meines Lebens damit.«

»Vielleicht weiß sie, wie man einen Zauberer unterjocht, der ein Prophet ist, aber sie wird noch dahinterkommen, weshalb ich den Rang eines Ersten Zauberers bekleide. Den Rang habe ich mir im letzten Krieg verdient. In diesem Krieg nannten mich beide Seiten ›der Wind des Todes‹.«

Das war eines der Male gewesen, die er an den Fingern abzählen konnte.

Er wandte sich von Nathan ab und fixierte die Prälatin mit einem Blick von solch kalter Bedrohlichkeit, daß sie schluckend einen Schritt zurückwich. »Durch den Bruch des Abkommens hast du jede Schwester, die in den Midlands aufgegriffen wird, zum Tode verurteilt. Nach den Bedingungen des Abkommens ist dieses Urteil hiermit über sie gefällt. Ihr alle habt das Recht auf ein Verfahren oder auf Gnade verwirkt. Wer von euch aufgegriffen wird, wird augenblicklich und ohne vorherigen Urteilsspruch hingerichtet.«

Zedd stieß die Faust in die Luft. Blitze stürzten aus klarem Himmel herab und schlugen in die Burg über ihnen. Ein ohrenbetäubendes Geheul erhob sich, und ein Ring aus Licht breitete sich aus, raste am Himmel daher und hinterließ dabei eine Wolkenspur, dem Rauch eines Feuers gleich.

»Das Abkommen ist beendet! Du befindest dich jetzt auf feindlichem Gebiet, und der Tod weht dir ins Gesicht.

Falls du mich mit diesem Halsring verschleppst, dann verspreche ich dir, werde ich in deine Heimat ziehen und den Palast der Propheten in Schutt und Asche legen.«