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Ohne auf die anderen zu warten, machte Richard sich auf den Weg in die Burg der Zauberer. Er war stinksauer, weil niemand ihn geweckt hatte. Die halbe Nacht lang brennt in den Fenstern der Burg ein Licht, überlegte er, und niemand hat den Mut, Lord Rahl zu wecken und es ihm mitzuteilen.

Und dann, vor nicht einmal einer Stunde, hatte er die Blitze gesehen, und das Leuchten, das sich ringförmig am klaren Himmel ausgebreitet und Rauchwolken hinterlassen hatte.

Ihm kam eine Idee. Richard zögerte, bevor er die Burg betrat, drehte sich um und blickte hinunter auf die Stadt. Am unteren Ende der Burgstraße zweigten weitere Straßen ab, die von Aydindril fortführten.

Was, wenn jemand in der Burg gewesen war? Was, wenn diese Leute etwas gestohlen hatten? Er sollte den Soldaten befehlen, jeden aufzuhalten, der sich zu entfernen versuchte. Sobald die anderen bei der Burg eintrafen, würde er einen von ihnen wieder nach unten schicken, um seinen Befehl zu überbringen.

Richard beobachtete die Menschen auf der Straße. Die meisten strömten in die Stadt hinein, nicht aus ihr heraus. Einige wenige jedoch verließen sie: offenbar ein paar Familien mit Handkarren, Soldaten, die auf Patrouille gingen, ein paar Wagen mit Handelswaren, und, dicht aufeinanderfolgend, vier Reiter, die die Fußgänger im Trab passierten. Er würde sie alle anhalten und durchsuchen lassen.

Aber nach was? Er konnte einen Blick auf die Leute werfen, sobald die Soldaten sie zurückgeholt hatten. Vielleicht erkannte er, ob sie irgend etwas Magisches bei sich trugen.

Richard drehte sich wieder zur Burg um. Dazu fehlte ihm die Zeit. Er mußte herausfinden, was hier oben vorgefallen war. Woher sollte er außerdem wissen, daß es sich um einen magischen Gegenstand handelte? Es wäre Zeitverschwendung. Er mußte sich zusammen mit Berdine an die Arbeit machen und das Tagebuch übersetzen, und nicht in familiären Habseligkeiten herumwühlen. Noch immer verließen Menschen die Stadt, die nicht unter d’Haranischer Herrschaft leben wollten. Sollten sie doch.

Entschlossenen Schrittes passierte er die Schilde im Innern der Burg. Daß sie die anderen zurückhalten würden, war ihm klar. Sicher waren die fünf verstimmt, weil er nicht gewartet hatte. Nun, vielleicht würden sie ihn beim nächsten Mal wecken, wenn sie Lichter in der Burg sahen.

Gehüllt in sein Mriswithcape, ging er hinauf zu der Stelle, wo er gesehen hatte, wie ein Blitz in der Burg einschlug. Er vermied Durchgänge, in denen er Gefahr witterte, und suchte sich andere Wege, bei denen sich ihm wenigstens nicht die Nackenhaare sträubten. Mehrere Male spürte er Mriswiths, doch sie kamen nicht in seine Nähe.

In einem großen Raum, von dem vier Korridore abgingen, blieb Richard stehen. Hier gab es mehrere verschlossene Türen. Zu einer führte eine Blutspur. Richard ging in die Hocke, untersuchte die verschmierte Blutspur und entschied, daß es in Wirklichkeit zwei Spuren waren: Die eine führte in den Raum hinein, die andere hinaus.

Richard schlug das Mriswithcape auf und zog sein Schwert. Das deutliche Sirren von Stahl hallte durch die Korridore. Er stieß die Tür mit der Schwertspitze auf.

Der Raum war leer, aber alles andere als gewöhnlich. Der Holzfußboden war versengt. Rußige, zackige Linien hatten sich in die Steinwände eingebrannt, so als wäre ein wütendes Unwetter in diesem Raum eingesperrt gewesen. Am verwirrendsten jedoch waren die Gesteinsblöcke in den Wänden. Hie und da hingen gewaltige Quader halb aus der Wand heraus, als wären sie um ein Haar von ihrem Platz gefallen. Der Raum sah aus, als hätte hier ein Erdbeben gewütet.

Überall auf dem Boden gab es Blutspritzer, und ein Stück seitlich eine große Lache. Wegen des Feuers jedoch, das den Fußboden verkohlt hatte, war alles staubtrocken und verriet ihm wenig.

Richard folgte der Blutspur aus dem Raum heraus bis zu einer Tür, die auf die äußere Befestigungsmauer hinausging. Er trat hinaus in die kalte Luft und sah sofort die Blutflecken, die über den Stein gespritzt waren. Das Blut war frisch — höchstens einen Tag alt.

Überall auf der windumtosten Brustwehr lagen tote Mriswiths. Sie stanken, obwohl sie mittlerweile hartgefroren waren. An einer Wand, gut fünf Fuß weit oben, befand sich ein riesiger Blutfleck, und darunter, auf dem Boden, ein toter Mriswith, dessen Schuppenhaut aufgeplatzt war. Hätte sich der Blutfleck auf dem Boden und nicht an der Wand befunden, Richard hätte angenommen, er wäre vom Himmel gestürzt und durch den Aufprall umgekommen.

Richard ließ den Blick über die Sauerei hinwegwandern und fand, daß es aussah wie das, was übrigblieb, wenn Gratch mit Mriswiths kämpfte. Er schüttelte entsetzt den Kopf und fragte sich, was passiert war.

Er folgte der Blutspur zu einer Aussparung der mit Zinnen versehenen Mauer und stellte fest, daß das Mauerwerk auf beiden Seiten blutverschmiert war. Er trat in die Aussparung hinein und blickte über den Rand. Der Anblick war schwindelerregend.

Die Gesteinsblöcke, aus denen die Burg bestand, fielen fast senkrecht in die Tiefe ab, wölbten sich zum Fundament weit unten leicht vor, und darunter schien das Felsgestein des Berges selbst mehrere tausend Fuß weit abzufallen. Von der Aussparung in der Brustwehr zog sich eine Blutspur an der Außenwand hinunter und verlor sich in der Tiefe. In der Blutspur gab es mehrere dicke Flecken. Irgend etwas war über den Rand gestürzt und auf seinem Weg nach unten immer wieder gegen die Außenwand geschlagen. Er würde Soldaten losschicken müssen, um festzustellen, was oder wer über den Rand gestürzt war.

Er fuhr mit den Fingern durch mehrere Blutspuren an der Kante. Die meisten stanken nach Mriswiths. Andere nicht.

Gütige Seelen, was war hier oben geschehen? Richard preßte die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf. Er hüllte sich wieder in das Mriswithcape und wurde unsichtbar, während er nachdachte. Seltsamerweise kam ihn auch Zedd in den Sinn. Er wünschte, Zedd wäre hier bei ihm.

42

Diesmal war Verna bereit, als sie sah, wie die kleine Klappe unten an der Tür aufging. Sie stürzte sich darauf, schob das Tablett zur Seite, preßte ihr Gesicht an die Tür und spähte hinaus.

»Wer ist da draußen! Wer ist es! Was ist hier los? Weshalb hält man mich hier fest? Beantworte meine Fragen!« Sie konnte die Stiefel einer Frau erkennen und den Saum eines Kleides. Wahrscheinlich eine Schwester, welche die Menschen im Krankenrevier versorgte. Die Frau richtete sich wieder auf. »Bitte! Ich brauche noch eine Kerze! Diese hier ist fast heruntergebrannt!«

Sie hörte, wie die Schritte unbeeindruckt im Gang verhallten, dann das Klicken von Tür und Riegel. Sie biß die Zähne zusammen und hämmerte mit der Faust gegen die Tür. Schließlich sank Verna auf das Strohlager und rieb sich die Hand. In letzter Zeit hatte sie ein wenig zu oft gegen die Tür gehämmert. Ihre Verzweiflung übernahm langsam die Vorherrschaft über ihre Vernunft, das wußte sie.

In dem fensterlosen Raum war ihr jedes Gefühl für Tag und Nacht verlorengegangen. Sie ging davon aus, daß man ihr das Essen tagsüber brachte, manchmal jedoch schien es, als bekäme sie das Essen im Abstand von nur wenigen Stunden, und zu anderen Zeiten war sie fast verhungert, bevor es gebracht wurde. Verärgert wünschte sie, jemand würde sich um den Nachttopf kümmern.

Man gab ihr auch nicht genug zu essen. Ihr Kleid wurde an den Hüften und am Busen ziemlich weit. In den vergangenen Jahren hatte sie sich immer gewünscht, ein wenig schlanker zu werden, so wie sie vor Antritt ihrer Reise vor zwanzig Jahren gewesen war. Früher hatte sie als attraktiv gegolten. Die zusätzlichen Pfunde erinnerten sie stets an diesen Verlust von Jugend und Schönheit.

Sie lachte irre. Vielleicht war man hier derselben Ansicht und hatte beschlossen, die Prälatin einer Fastenkur zu unterziehen. Ihr Lachen erstarb. Sie hatte sich gewünscht, Jedidiah würde ihre innersten Gefühle erkennen, und jetzt hockte sie hier und beschäftigte sich mit Äußerlichkeiten, genau wie er. Eine Träne lief ihr über die Wange. Warren hatte die inneren Werte nie übersehen. Sie war eine Närrin.