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»Wir müssen uns unterhalten«, flüsterte sie, »wenn Ihr nicht zu beschäftigt seid.«

»Ulic ist hinausgegangen, um General Reibisch zu suchen. Ich muß ihn dringend sprechen.«

Berdine sah zu Cara hinüber, dann zu Raina, zur Tür. »Soll ich Euch allein lassen, Lord Rahl? Ist etwas nicht in Ordnung?«

Richard hatte bereits genug herausgefunden und wußte, daß seine Einschätzung der Wichtigkeit des Tagebuchs richtig war. Bis zu General Reibischs Rückkehr konnte er außerdem nichts unternehmen.

»Wen werde ich heiraten?«

Berdine schlug ein Buch auf dem Tisch auf, setzte sich auf seinen Sessel und blätterte in den Papieren, die sie mitgebracht hatte. »Königin Kahlan Amnell, die Mutter Konfessor.« Sie hob erwartungsvoll den Kopf. »Habt Ihr ein wenig Zeit? Ich könnte Eure Hilfe gebrauchen.«

Richard seufzte, ging um dem Tisch herum und stellte sich neben sie. »Ich habe Zeit, bis General Reibisch eintrifft. Womit kann ich Euch helfen?«

Sie tippte mit dem hinteren Ende ihrer Feder auf das offene Tagebuch. »Ich habe es fast geschafft, diese Passage hier zu übersetzen, und offenbar war dem Autor sehr an ihr gelegen, als er sie schrieb, aber mir fehlen zwei Worte, die ich für wichtig halte.« Sie drehte die Ausgabe von Die Abenteuer von Bonnie Day in Hoch-D’Haran vor ihnen herum. »Ich habe hier eine Stelle gefunden, die dieselben beiden Worte enthält. Wenn Ihr Euch erinnern könnt, was hier steht, dann habe ich es.«

Richard hatte Die Abenteuer von Bonnie Day unzählige Male gelesen, es war sein Lieblingsbuch, und er hatte geglaubt, es auswendig aufsagen zu können. Er hatte aber feststellen müssen, daß das nicht der Fall war. Er kannte das Buch gut, sich jedoch an den genauen Wortlaut zu erinnern, erwies sich als schwieriger denn erwartet. Solange er ihr die genauen Worte eines Satzes nicht sagen konnte, stellte die Handlung der Geschichte allein oft keine große Hilfe dar.

Mehrmals war er in die Burg gegangen und hatte nach einer Ausgabe des Buches gesucht, die er lesen konnte, damit sie sie mit der d’Haranischen Ausgabe vergleichen konnten, es war ihm jedoch nicht gelungen, eine zu finden.

Berdine zeigte auf eine Stelle in Die Abenteuer von Bonnie Day. »Ich benötige diese beiden Worte. Könnt Ihr mir sagen, was der Satz bedeutet?«

Richards Hoffnung stieg. Es war der Anfang eines Kapitels. Bei Kapitelanfängen hatte er den meisten Erfolg, denn die ersten Worte waren einprägsam.

»Ja! Das ist das Kapitel, in dem sie aufbrechen. Ich erinnere mich. Es fängt an: ›Zum dritten Mal in dieser Woche brach Bonnie das Gesetz ihres Vaters, daß sie nicht alleine in den Wald gehen durfte.‹«

Berdine beugte sich hinüber und blickte auf die Zeile. »Ja, das heißt ›brach‹, das habe ich bereits herausgefunden. Das Wort hier bedeutet ›Gesetz‹, und dieses hier ›dritte‹?«

Richard nickte, als sie kurz den Kopf hob. Vor Aufregung über ihre Entdeckung lächelnd, tauchte sie ihre Feder in das Tintenfaß, begann auf einem der Blätter, die sie mitgebracht hatte, zu schreiben und einige Lücken zu füllen. Als sie fertig war, schob sie ihm stolz das Blatt hin.

»Das steht in diesem Teil des Tagebuches.«

Richard nahm das Blatt zur Hand und hielt es ins Licht, das vom Fenster kommend über seine Schulter fiel.

Die heftigen Streitereien unter uns gehen weiter. Das Dritte Gesetz der Magie: Leidenschaft ist stärker als Vernunft. Ich fürchte, dieses heim tückischste aller Gesetze könnte unser Verderben sein. Obwohl wir es besser wissen, fürchte ich, daß einige von uns es dennoch brechen wer den. Jede Splittergruppe besteht nachdrücklich darauf, daß ihr Vorge hen der Vernunft entspringt, doch bei dieser ausweglosen Lage fürchte ich, daß ihr aller Vorgehen auf Leidenschaft zurückgeht. Selbst Alric Rahl gibt verzweifelt die Losung aus, er habe eine Lösung gefunden. Währenddessen mähen die Traumwandler unsere Männer nieder. Ich bete darum, daß die Türme vollendet werden können, sonst sind wir alle verloren. Heute habe ich mich von Freunden verabschiedet, die zu den Türmen aufgebrochen sind. Ich habe geweint, denn ich wußte, daß ich diese guten Männer nie wiedersehen werde. Wie viele werden in den Türmen für die Sache der Vernunft sterben? Aber ach, ich weiß, was es uns schlimmstenfalls kosten wird, wenn wir das Dritte Gesetz brechen.

Als Richard die Übersetzung gelesen hatte, drehte er sich fort, zum Fenster hin. Er war in diesen Türmen gewesen. Zauberer hatten ihre Lebenskraft dafür gegeben, die Banne der Türme zu entfachen, früher jedoch hatte er sie nie als wirkliche Menschen betrachtet. Es machte einen schaudern, wenn man las, welche Seelenqualen jener Mann erlitten hatte, dessen Gebeine Tausende von Jahren in besagtem Raum in der Burg gelegen hatten. Die Worte aus dem Tagebuch schienen seine Gebeine wieder zum Leben zu erwecken.

Richard dachte über das Dritte Gesetz nach und fragte sich, was es bedeutete. Damals, beim Ersten und Zweiten, hatten ihm erst Zedd und dann Nathan geholfen, hatten sie ihm erklärt und ihn soweit gebracht, bis er verstand, wie die Gesetze im wirklichen Leben funktionierten. Dieses Mal würde er alleine dahinterkommen müssen.

Er erinnerte sich daran, wie er unten auf den Straßen, die aus Aydindril hinausführten, mit einigen Menschen gesprochen hatte, die aus der Stadt flohen. Er hatte wissen wollen, warum sie die Stadt verließen, und verängstigte Menschen hatten ihm erzählt, was sie glaubten: daß er ein Ungeheuer war, welches sie zu seinem krankhaften Vergnügen hinmetzeln würde.

Auf sein Drängen erzählten sie Gerüchte, als seien es Tatsachen, die sie mit eigenen Augen gesehen hatten, Gerüchte, denen zufolge Lord Rahl Kinder in seinem Palast als Sklaven halte, zahllose junge Frauen zu sich ins Bett nehme, die nach diesem Erlebnis abgestumpft und nackt durch die Straßen wanderten. Sie behaupteten, junge Frauen zu kennen, die er geschwängert habe, und kannten sogar Leute, die die Fehlgeburten einiger dieser armen Opfer seiner Vergewaltigungen tatsächlich gesehen hatten. Angeblich seien es häßliche, mißgebildete Sonderlinge, die Brut seines gottlosen Samens. Sie spuckten ihn an für die Verbrechen, die er an hilflosen Menschen begangen hatte.

Er fragte sie, wie sie ihm gegenüber so offen sprechen konnten, wenn er ein solches Ungeheuer war. Sie sagten, unter freien Himmel würde er ihnen kein Leid tun. Sie hätten gehört, in der Öffentlichkeit heuchele er Mitgefühl, um die Menschen zu täuschen, daher wüßten sie, daß er ihnen vor all den Menschen nichts antun würde, außerdem hätten sie schon bald ihre Frauen dem Zugriff seiner gottlosen Krallen entzogen.

Je mehr Richard versuchte, diese erstaunlichen Vorstellungen auszuräumen, desto hartnäckiger hielten die Menschen daran fest. Sie sagten, sie hätten diese Dinge von zu vielen anderen Menschen gehört, als daß sie etwas anderes als die Wahrheit sein könnten. Es sei unmöglich, so viele Menschen zum Narren zu halten. Sie waren in ihrem Glauben und in ihrer Angst voller Leidenschaft und logischen Argumenten nicht zugänglich. Sie wollten schlicht in Ruhe gelassen werden und sich fluchtartig unter den Schutz begeben, den ihnen — Gerüchten zufolge — die Imperiale Ordnung angeboten hatte.

Ihre Leidenschaft würde sie erst recht in den Untergang treiben. Vielleicht, fragte er sich, war dies die Art, wie die Menschen durch den Bruch des Dritten Gesetzes zu Schaden kommen konnten. Er wußte nicht, ob das Beispiel treffend genug war. Es schien mit dem Ersten Gesetz verstrickt zu sein: Die Menschen glaubten etwas, entweder weil sie wollten, daß es wahr ist, oder weil sie fürchteten, es könnte wahr sein. Offenbar konnten mehrere Gesetze miteinander verknüpft und gemeinsam gebrochen werden, ohne daß man genau bestimmen konnte, wo das eine endete und das andere begann.

Und dann fiel Richard jener eine Tag zu Hause in Westland ein, als Mrs. Rencliff, die nicht schwimmen konnte, sich von den Männern losgerissen hatte, die versuchten, sie zurückzuhalten. Sie hatte sich geweigert, auf das Ruderboot zu warten, und war in einen durch die Flut angeschwollenen Fluß gesprungen, nachdem ihr Junge hineingefallen war. Ein paar Minuten später waren die Männer mit dem Ruderboot herbeigeeilt und hatten dem Jungen das Leben gerettet. Chad Rencliff wuchs ohne Mutter auf. Ihre Leiche wurde nie gefunden.