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»Aber…«

Adie schüttelte den Finger. »Du darfst wegen ihr nicht deinen Glauben an Richard verlieren. Denn genau das will sie. Richard liebt dich.«

»Und ich werde sein Tod sein.«

Mit einem gequälten Schluchzen sank Kahlan in Adies Arme.

46

Richard rieb sich die Augen. Er hätte gerne schneller gelesen, weil das Tagebuch so spannend wurde, doch es dauerte noch immer seine Zeit. Bei vielen Wörtern mußte er überlegen, und bei einigen mußte er noch immer nach der Bedeutung suchen, doch von Tag zu Tag kam es ihm immer häufiger so vor, als übersetze er nicht, sondern als lese er einfach nur. Doch jedesmal, wenn er sich dessen bewußt wurde, begann er unweigerlich wieder, über die Bedeutung eines Wortes zu stolpern.

Die immer wieder auftauchenden Hinweise auf Alric Rahl hatten Richard neugierig gemacht. Offenbar hatte sein Vorfahr eine Lösung für das Problem der Traumwandler gefunden. Er war nur einer von vielen, die an einer Möglichkeit arbeiteten, die Traumwandler daran zu hindern, den Menschen den Verstand zu rauben, er jedoch hatte mit besonderem Nachdruck darauf hingewiesen, daß er eine Lösung gefunden habe.

Wie gebannt las Richard, daß Alric Nachricht aus D’Hara geschickt hatte, er habe bereits ein schützendes Netz über sein Volk geworfen und damit auch andere durch eben dieses Netz geschützt werden konnten, müßten sie ihm unsterbliche Treue schwören, dann wären auch sie durch diese Bande in Sicherheit. Richard erkannte, daß hier der Ursprung der d’Haranischen Bande zu ihm lag. Alric hatte diesen Bann also geschaffen, um sein Volk vor den Traumwandlern zu schützen, nicht um sie zu versklaven. Dieses wohltätige Werk seines Ahnen erfüllte Richard mit Stolz.

In atemloser Spannung las er das Tagebuch, gegen jede Wahrscheinlichkeit hoffend, daß man Alric Rahl glauben würde, obwohl er wußte, daß dies nicht geschehen war. Kolo hatte sich behutsam für Beweise interessiert, schwankte jedoch nach wie vor. Er berichtete, daß die meisten anderen Zauberer der Überzeugung waren, Alric führe irgend etwas im Schilde. Sie beharrten darauf, ein Rahl sei einzig daran interessiert, die Welt zu beherrschen. Richard stöhnte vor Enttäuschung laut, als er las, daß sie eine Nachricht geschickt hatten, in der sie sich weigerten, Alric die Treue zu schwören und sich an ihn zu binden.

Von einem anhaltenden Geräusch genervt, drehte Richard sich zum Fenster um. Draußen herrschte stockfinstere Nacht. Er hatte nicht einmal mitbekommen, daß die Sonne untergegangen war. Die Kerze, die er scheinbar gerade erst angezündet hatte, war zur Hälfte heruntergebrannt. Das nervende Geräusch war Wasser, das von Eiszapfen heruntertropfte. Der Frühling machte seinen ersten Versuch, den Winter zu vertreiben.

Als er seine Gedanken von dem Tagebuch löste, kamen die heftig quälenden Sorgen um Kahlan zurück. Jeden Tag trafen Boten ein, um zu berichten, man habe nichts gefunden. Wie war es möglich, daß Kahlan verschwunden war?

»Wünschen mich irgendwelche Boten zu sprechen?«

Mit genervter Miene trat Cara von einem Fuß auf den anderen. »Aber ja«, meinte sie voller Spott, »da draußen stehen mehrere, aber ich habe ihnen gesagt, daß Ihr zu sehr damit beschäftigt seid, nett mit mir zu plaudern, und Euch zur Zeit nicht um sie kümmern könnt.«

Richard seufzte. »Entschuldigt, Cara. Ich weiß, Ihr sagt es mir, sobald ein Bote eintrifft.« Er drohte ihr mit dem Finger. »Selbst wenn ich schlafe.«

Sie lächelte. »Selbst wenn Ihr schlaft.«

Richard sah sich im Zimmer um und runzelte die Stirn. »Wo ist Berdine geblieben?«

Cara verdrehte die Augen. »Sie hat Euch schon vor Stunden gesagt, daß sie sich vor ihrer Wache etwas schlafen legen will. Ihr habt ›Ja, gute Nacht‹ zu ihr gesagt.«

Richard sah ins Tagebuch. »Ja, kann sein.«

Er las noch einmal einen Abschnitt über die Befürchtung der Zauberer, die Sliph könnte etwas hindurchschaffen, gegen das sie machtlos waren. Der Krieg war Richard ein beängstigendes Rätsel. Beide Seiten schufen Wesen der Magie, meist Geschöpfe, die zu einem einzigen Zweck erschaffen wurden, wie zum Beispiel die Traumwandler, und auf die die jeweils andere Seite dann mit einem Gegenschlag reagieren mußte, sofern sie dazu imstande war. Zu seiner Bestürzung erfuhr er, daß einige dieser Wesen aus Menschen geschaffen wurden — aus den Zauberern selbst. So verzweifelt waren sie.

Mit jedem Tag wuchs ihre Sorge, daß vor der Vollendung der Türme die Sliph etwas Unerwartetes bringen könnte, mit dem sie nicht fertig wurden. Eigentlich hatte man die Sliph aus ihrer Magie erschaffen, um ihnen die Überbrückung großer Entfernungen und so den Angriff auf ihre Feinde zu ermöglichen. So hatte sie sich sowohl als große Gefahr als auch als nützlich erwiesen. Es hieß, sobald die Türme vollendet seien, könne die Sliph sich schlafen legen. Richard fragte sich ständig, was diese Sliph war und wie sie sich ›schlafen legen‹ konnte, und wie die Zauberer sie später, nach dem Krieg, wecken wollten, was sie angeblich zu tun hofften.

Die Zauberer entschieden, wegen der Gefahr eines Angriffs durch die Sliph müßten einige der wichtigeren, wertvolleren oder gefährlicheren Dinge aus der Burg zu ihrem Schutz entfernt werden. Der letzte jener Gegenstände, die man für äußerst erhaltenswert erachtete, war längst in Sicherheit, als Kolo schrieb:

Heute ist einer unserer sehnlichsten Wünsche in Erfüllung gegangen, möglicherweise nur durch die hervorragende, unermüdliche Arbeit einer Gruppe von annähernd einhundert Menschen. Die Gegenstände, deren Verlust wir im Falle eines Überranntwerdens am meisten fürch teten, sind in Sicherheit. Alle Menschen in der Burg brachen in Jubel aus, als wir heute Nachricht erhielten, daß wir erfolgreich waren. Manch einer hatte es für unmöglich gehalten, doch zum Erstaunen aller ist es vollbracht: Der Tempel der Winde ist fort.

Fort? Was war der Tempel der Winde, und wohin war er verschwunden? Kolos Tagebuch lieferte dafür keine Erklärung.

Richard kratzte sich gähnend hinten am Hals. Er konnte kaum noch die Augen offenhalten. Es gab noch viel zu lesen, doch er brauchte Schlaf. Er wollte, daß Kahlan zurückkehrte, damit er sie vor dem Traumwandler beschützen konnte. Er wollte Zedd sehen, damit er ihm von dem erzählen konnte, das er in Erfahrung gebracht hatte.

Richard stand auf und schlurfte zur Tür.

»Ihr geht ins Bett, um zu träumen — ohne mich?« fragte Cara.

Richard mußte lächeln. »Das tue ich immer. Weckt mich, wenn —«

»Wenn ein Bote eintrifft. Ja, ja, ich glaube, Ihr erwähntet es bereits.«

Richard nickte und wollte zur Tür. Cara packte ihn am Arm.

»Lord Rahl, sie werden sie finden. Sie wird gerettet werden. Schlaft gut. Es sind D’Haraner, die nach ihr suchen, und die versagen nicht.«

Richard tätschelte ihre Schulter und entfernte sich. »Ich werde das Tagebuch hierlassen, damit Berdine, sobald sie aufwacht, daran arbeiten kann.«

Gähnend rieb er sich die Augen und ging auf sein Zimmer, das nicht weit den Gang hinunter lag. Er machte sich gerade mal die Mühe, die Stiefel auszuziehen, den Waffengurt über seinen Kopf zu streifen und das Schwert der Wahrheit auf einen Stuhl zu legen, bevor er aufs Bett fiel. Trotz seiner Sorgen um Kahlan war er Sekunden später eingeschlafen.

Er hatte gerade einen beunruhigenden Traum von ihr, als ihn lautes Klopfen weckte. Er wälzte sich auf den Rücken. Die Tür ging auf, und plötzlich war es hell. Er sah, daß Cara eine Lampe trug. Sie trat neben sein Bett und entzündete eine weitere Lampe.

»Lord Rahl, wacht auf. Wacht auf.«

»Ich bin wach.« Er setzte sich auf. »Was ist? Wie lange habe ich geschlafen?«

»Vielleicht vier Stunden. Berdine arbeitet bereits seit zwei Stunden an dem Buch. Irgend etwas hat sie sehr in Aufregung versetzt. Sie wollte Euch wecken, damit Ihr ihr helft, aber das habe ich nicht zugelassen.«