Выбрать главу

Brogan war kurz davor, dieses respektlose Weibsstück in tausend Stücke zu reißen. »Wie lautet Euer Name?« knurrte er.

»Schwester Leoma. Was meint Ihr, könnt Ihr Euch das mit Eurem Spatzenhirn merken? Man hat Euch befohlen, bei Eurem bunten Haufen in den Unterkünften zu bleiben. Und jetzt packt Euch, und laßt Euch nicht noch einmal von mir in diesem Gelände erwischen, sonst seid Ihr für die Imperiale Ordnung die längste Zeit von Wert gewesen.«

Bevor Brogan vor Wut explodieren konnte, wandte Schwester Leoma sich an Lunetta. »Guten Abend, meine Liebe.«

»Guten Abend«, sagte Lunetta mit vorsichtiger Stimme.

»Ich wollte mich schon lange mit dir unterhalten, Lunetta. Wie du siehst, ist dies ein Haus voller Magierinnen. Frauen, die die Gabe besitzen, genießen hier großen Respekt. Dein Lord General hier ist für uns von nur geringem Wert, jemand mit deinen Fähigkeiten dagegen wäre hier höchst willkommen. Ich möchte dir einen Platz bei uns anbieten. Du würdest höchstes Ansehen genießen. Du hättest eine verantwortliche Aufgabe und würdest respektiert.« Ihr Blick wanderte an Lunettas Kleidern hinab. »Auf jeden Fall würden wir dafür sorgen, daß du besser angezogen bist. Du müßtest nicht diese häßlichen Lumpen tragen.«

Lunetta klammerte sich fester an ihre bunten Flicken und rückte ein Stück näher an Brogan heran. »Ich bin meinem Lord General treu ergeben. Er ist ein großer Mann.«

Schwester Leoma setzte ein affektiertes Lächeln auf. »Ja, davon bin ich überzeugt.«

»Und Ihr seid eine schlechte Frau«, sagte Lunetta in plötzlich festem, gefährlichem Ton. »Das hat meine Mama mir gesagt.«

»Schwester Leoma«, sagte Brogan, »den Namen werde ich mir merken.« Er tippte auf das Trophäenkästchen an seinem Gürtel. »Ihr könnt dem Hüter mitteilen, daß ich mir Euren Namen merken werde. Den Namen einer Verderbten vergesse ich niemals.«

Ein boshaftes Grinsen machte sich auf Schwester Leomas Gesicht breit. »Wenn ich das nächste Mal mit meinem Meister in der Unterwelt Zwiesprache halte, werde ich ihm Eure Worte ausrichten.«

Brogan riß Lunetta herum und machte sich auf den Weg zur Tür. Er würde wiederkommen, und beim nächsten Mal würde er erreichen, was er wollte.

»Wir müssen zu Galtero und mit ihm reden«, meinte Brogan. »Allmählich habe ich die Nase voll von diesem Unfug. Wir haben schon größere Nester mit Verderbten ausradiert als dieses.«

Lunetta legte besorgt einen Finger auf ihre Unterlippe. »Aber Lord General, der Schöpfer hat Euch aufgetragen zu tun, was diese Frauen sagen. Er hat Euch aufgetragen, ihnen die Mutter Konfessor auszuhändigen.«

Brogan durchmaß die Dunkelheit mit langen Schritten, als er draußen war. »Was hat Mama dir über diese Frauen erzählt?«

»Na ja … sie hat gesagt … daß sie schlecht sind.«

»Es sind Verderbte.«

»Aber Lord General, die Mutter Konfessor ist eine Verderbte. Warum sollte der Schöpfer Euch auftragen, sie diesen Frauen auszuhändigen, wenn es selbst Verderbte sind?«

Brogan drehte sich um und blickte auf sie herab. Im schwachen Licht bemerkte er, wie sie verwirrt zu ihm aufsah. Seine arme Schwester besaß nicht die geistigen Fähigkeiten, sich ein Urteil darüber zu bilden.

»Ist das nicht offensichtlich, Lunetta? Der Schöpfer hat sich durch sein hinterhältiges Tun verraten. Er ist es, der die Gabe schafft. Er hat versucht, mich reinzulegen. Jetzt ist es an mir, die Welt von allem Bösen zu befreien. Jeder, der die Gabe hat, muß sterben. Der Schöpfer ist ein Verderbter.«

Lunetta stockte vor Ehrfurcht der Atem. »Mama hat immer schon gesagt, daß Ihr ein Mann seid, der es noch sehr weit bringen wird.«

Nachdem er die leuchtende Kugel auf dem Tisch abgelegt hatte, stand Richard vor dem Brunnen in der Mitte des Raumes. Was sollte er tun? Was war diese Sliph, und wie sollte er sie rufen?

Er schritt die hüfthohe Rundmauer ab, blickte hinunter in die Dunkelheit, konnte aber nichts entdecken.

»Sliph!« rief er in das bodenlose Loch hinein. Das Echo seiner Stimme hallte herauf.

Richard lief auf und ab, raufte sich die Haare, versuchte verzweifelt zu überlegen, was er machen sollte. Die Gegenwart eines anderen Wesens ließ seine Haut kribbeln. Er hielt inne, hob den Kopf und sah einen Mriswith neben der Tür stehen.

»Die Königin braucht dich, Hautbruder. Du mußt ihr helfen. Rufe die Sliph.«

Er rannte hinüber zu der dunklen, schuppigen Gestalt. »Ich weiß, daß sie mich braucht! Wie kann ich diese Sliph rufen?«

Der Schlitz eines Mundes weitete sich. Es sah aus wie ein Lächeln. »Du bist der erste seit dreitausend Jahren, der mit der Kraft geboren wurde, sie zu wecken. Den Schild, der uns von ihr trennt, hast du bereits durchbrochen. Du mußt deine Kraft ausnutzen. Rufe die Sliph mit deiner Gabe.«

»Mit meiner Gabe?«

Der Mriswith nickte. Seine kleinen runden Augen blieben auf Richard geheftet. »Rufe sie mit deiner Gabe.«

Schließlich kehrte Richard dem Mriswith den Rücken zu und ging zurück zu der Steinmauer, die die tiefe Grube umgab. Er versuchte sich zu erinnern, wie er in der Vergangenheit von seiner Gabe Gebrauch gemacht hatte. Sie war immer instinktiv gekommen. Nathan hatte gesagt, so funktioniere das eben bei einem Kriegszauberer: aus Verlangen — und über den Instinkt.

Er mußte dafür sorgen, daß sein Verlangen die Gabe hervorrief.

Richard ließ das Verlangen brennend heiß durch seinen Körper ziehen, durch sein ruhiges Zentrum. Er versuchte nicht, die Kraft herbeizurufen, er schrie vor Verlangen danach.

Er reckte die Fäuste in die Luft, legte den Kopf in den Nacken. Er ließ das Verlangen ganz von sich Besitz ergreifen. Er ließ alles fahren, was ihn unbewußt zurückhielt. Er versuchte, nicht daran zu denken, was er tat, verlangte nur, daß es geschah.

Er war auf die Sliph angewiesen.

Er stieß einen stummen Wutschrei aus.

Komm zu mir!

Er lockerte die Kraft, so wie man einen tiefen Atemzug herausläßt, und verlangte, daß es geschah.

Zwischen seinen Fäusten entzündete sich das Licht. Das war es — der Ruf — er wußte es, spürte es, hatte verstanden. Jetzt wußte er auch, was er zu tun hatte. Die sanft glühende Masse rotierte zwischen seinen Fäusten, während ineinander verflochtene Adern aus Licht an seinen Armen hinaufkrochen und in die pulsierende Kraft zwischen ihnen strömten.

Als er spürte, daß die Kraft ihren Höhepunkt erreichte, riß er seine Hände nach unten. Die Lichtkugel schoß unter Geheul davon, hinab in die Dunkelheit.

Im Herabstürzen erzeugte sie einen Ring aus Licht auf dem Mauerwerk. Der Lichtring und die glühende Masse wurden kleiner und kleiner, das Heulen wurde in der Ferne schwächer, bis er weder sehen noch hören konnte, was er angerichtet hatte.

Richard hing über die Steinmauer gebeugt und blickte in den bodenlosen Schlund hinab, aber alles war still und dunkel. Er konnte nur seinen eigenen keuchenden Atem hören. Er richtete sich auf und warf einen Blick über die Schulter. Der Mriswith beobachtete ihn, machte aber keine Anstalten, ihm zu helfen. Was immer getan werden mußte, blieb Richard überlassen. Hoffentlich reichte es.

In der Stille der Burg, in der Ruhe der Berge aus totem Gestein, die sich rings um ihn erhoben, war plötzlich ein fernes Poltern zu hören.

Ein lebendiges Poltern.

Richard beugte sich wieder über die Mauer, blickte nach unten, konnte aber nichts erkennen. Und doch spürte er etwas. Das Gestein unter seinen Füßen bebte. Steinstaub stand in der zitternden Luft.

Richard blickte noch einmal in den Brunnen hinab und sah einen Widerschein. Der Brunnen füllte sich — nicht so, wie er sich mit Wasser gefüllt hätte, sondern irgend etwas kam mit unfaßbarer Geschwindigkeit unter heulendem Kreischen den Schacht heraufgeschossen. Das Heulen wurde lauter und lauter, während das Ding nach oben raste.

Richard stieß sich von der Steinmauer zurück — keinen Wimpernschlag zu früh. Er war sicher, daß es aus dem Brunnen hervorschießen und durch die Decke schmettern würde. Nichts, was sich so schnell bewegte, konnte rechtzeitig anhalten. Und doch geschah genau das.