Der kuppelförmige Schild unter ihnen erzitterte und begann zu glühen. Mit einem ohrenbetäubenden Scheppern zersplitterte der Schild. Stücke davon, glühendem Glas gleich, regneten auf das Becken herab und erloschen noch im Fallen.
Der Yabree verstummte, und die Nacht war wieder still.
Eine massige Gestalt regte sich und befreite sich aus den Schlingpflanzen. Flügel wurden, ihre Kraft erprobend, ausgebreitet, dann erhob sich die Königin mit verzweifelten Schlägen in die Luft. Mit den nötigsten Flügelschlägen stieg sie zum Rand der Kuppel auf, wo sie mit den Krallen am Mauerwerk Halt suchte. Sie begann, am Mauerwerk des Turmes hinaufzuklettern, auf dem Richard und Merissa standen. Mit sicheren, langsamen und kräftigen Zügen hievte sie ihren glänzenden, massigen Körper die Säule hinauf.
Endlich hielt sie an und klammerte sich an den Pfeiler neben Richard, so wie sich ein klauenbewehrter Salamander an einen glitschigen Baumstamm krallt. Im hellen Licht des Mondes konnte Richard erkennen, daß sie rot war wie Merissas Kleid. Zuerst glaubte Richard, einen roten Drachen vor sich zu haben, bei näherem Hinsehen jedoch konnte er die Unterschiede erkennen.
Arme und Beine waren muskulöser als die eines Drachens und mit kleineren Schuppen bedeckt, die eher denen eines Mriswiths glichen. Eine erhabene Reihe ineinandergreifender Panzerplatten zog sich vom Schwanzende bis zu einem Stachelbüschel am Kopfansatz der Länge nach an der Wirbelsäule entlang. Oben auf dem Kopf, am Ansatz mehrerer langer, biegsamer Stacheln, befand sich eine vorstehende, mit Reihen schuppenlosen Fleisches besetzte Wölbung, die gelegentlich beim Ausatmen flatterte.
Der Kopf der Königin schwenkte herum, schaute, suchte. Ihre Flügel entfalteten sich und strichen leise durch die Nachtluft. Sie wollte etwas.
»Was suchst du?« fragte Richard.
Sie verdrehte den Kopf nach unten, zu ihm, stieß ein verärgertes Schnaufen aus, das ihn in einen eigenartigen Duft einhüllte. Irgendwie empfand er dadurch ihr Verlangen intensiver. Der Duft besaß eine Bedeutung, die er verstand. »Ich will an diesen Ort.«
Dann drehte sie den Kopf nach draußen in die Nacht hinter den Pfeilern. Sie schnaubte und stieß dabei ein langes, langsames Grollen aus, das in der Luft zu beben schien. Richard konnte erkennen, daß sie die Luft durch die fleischigen Streifen auf ihrem Kopf ausatmete. Sie flatterten und erzeugten dadurch das Geräusch. Den schweren Duft noch immer in der Nase, betrachtete er die Weite der Nacht vor dem Turm.
Die Luft schimmerte und wurde heller, als vor ihm ein Bild aufzutauchen begann. Die Königin trompetete erneut, und das Bild hellte sich noch mehr auf. Es handelte sich um eine Szene, die Richard wiedererkannte — Aydindril, wie durch einen unheimlichen, bräunlichen Nebel hindurch. Richard konnte die Gebäude der Stadt erkennen, den Palast der Konfessoren, und, als sie erneut trompetete und das Bild, das vor ihm durch den Nachthimmel zog, ein weiteres Mal heller wurde, die Burg der Zauberer, die sich an der Bergflanke erhob.
Ihr Kopf schwenkte zu ihm herum, sonderte wieder einen Duft ab, anders als der erste. »Wie komme ich an diesen Ort?«
Richard staunte grinsend, daß er über einen Duft verstand, was sie sagen wollte. Er grinste auch deshalb, weil er ihr helfen konnte.
Er streckte den Arm aus, und ein Glühen schoß aus ihm hervor, das die Sliph beleuchtete. »Dort. Sie wird dich hinbringen.«
Die Königin löste sich flügelschlagend vom Pfeiler und glitt hinüber zur Sliph. Sehr gut fliegen konnte die Königin nicht, wie Richard erkannte. Sie konnte ihre Flügel ein wenig zu ihrer Unterstützung einsetzen, aber bis nach Aydindril fliegen konnte sie nicht. Sie brauchte Hilfe, um dorthin zu kommen. Die Sliph schloß die Königin schon in ihre Arme, als diese noch die Flügel einfaltete. Das Quecksilber nahm sie auf, und die rote Königin verschwand.
Richard lächelte vor Freude über den singenden Yabree in seiner Hand, dessen Summen ihm in die Knochen fuhr.
»Wir sehen uns unten, Richard«, sagte Merissa. Er spürte, wie sie ihn plötzlich hinten an seinem Hemdkragen packte und ihn mit der Kraft ihres Han über die Umrandung des Turmes schleuderte.
Instinktiv streckte Richard die Hand aus und bekam im Fallen gerade noch den Rand der Kuppelöffnung zu fassen. Er hing pendelnd an seinen Fingern, seine Füße baumelten über einer Tiefe von fast einhundert Fuß. Scheppernd landete sein Yabree unten auf dem Steinboden. Als nun unvermittelt die Panik über ihn hereinbrach, war ihm, als wache er in einem Alptraum auf.
Das Singen war vorbei. Ohne den Yabree war sein Kopf plötzlich erschreckend klar. Mit einem entsetzlichen Schaudern wurde er sich des heimtückischen Zaubers bewußt und was dieser mit ihm angestellt hatte.
Merissa beugte sich vor, sah ihn dort hängen und schleuderte einen Blitz aus Feuer auf ihn herab. Er schwenkte seine Füße nach innen, und die Flammen verfehlten ihn knapp. Denselben Fehler würde sie kein zweites Mal machen.
Hektisch tastete Richard unter dem Kuppelrand nach einer Möglichkeit, sich festzuhalten. Seine Finger fanden eine gekehlte Stützstrebe. Erfüllt von dem verzweifelten Verlangen, vor Merissa zu fliehen, packte er sie und schwang sich unter die Kuppel, als ein weiterer Feuerblitz an ihm vorüberschoß, in dem trüben Becken unten explodierte und schmutzigen Schaum in die Luft schleuderte.
Eine Hand unter die andere setzend, getrieben von Angst — nicht nur vor Merissa, sondern auch vor der Höhe —, begann er, an der Strebe hinunterzuklettern. Merissa lief zur Treppe. Je tiefer er kletterte, desto steiler wurde die Strebe, bis sie schließlich bei Erreichen des unteren Kuppelrandes fast senkrecht verlief.
Seine Finger schmerzten, Richard selbst ächzte vor Anstrengung, und ein Gefühl der Scham überwältigte ihn. Wie konnte er nur so dumm sein? Was hatte er sich bloß gedacht? Dann überkam es ihn, und ihm wurde schlecht, als er begriff.
Das Mriswithcape.
Er erinnerte sich, wie Berdine nach draußen gerannt war, Kolos Tagebuch in der Hand, und ihm zugerufen hatte, das Cape auszuziehen. Er erinnerte sich, daß er im Tagebuch gelesen hatte, wie nicht nur die Mriswiths selbst, sondern auch ihre Feinde magische Dinge schufen, die die nötigen Veränderungen herbeiführten, um Menschen gewisse Fähigkeiten wie Stärke und Durchhaltevermögen zu verleihen, oder die Kraft, einen Lichtstrahl zu einem zerstörerischen Punkt zu bündeln, die Fähigkeit, über große Strecken sehen zu können, sogar bei Nacht.
Offenbar handelte es sich bei dem Mriswithcape um einen dieser Gegenstände, der benutzt wurde, um Zauberern die Fähigkeit zu verleihen, sich unsichtbar zu machen. Kolo hatte davon gesprochen, daß viele der von ihnen entwickelten Waffen auf furchtbare Weise nach hinten losgegangen waren. Durchaus möglich, daß sogar die Mriswiths vom Feind geschaffen worden waren.
Gütige Seelen, was hatte er nur angerichtet? Was hatte er getan? Er mußte dieses Cape loswerden. Berdine hatte ihn warnen wollen.
Das Dritte Gesetz der Magie: Leidenschaft ist stärker als Vernunft. Er hatte so leidenschaftlich versucht, zu Kahlan zu gelangen, daß er nicht von seiner Vernunft Gebrauch gemacht und Berdines Warnung in den Wind geschlagen hatte. Wie sollte er die Imperiale Ordnung jetzt noch aufhalten? Seine Torheit hatte ihnen geholfen.
Unter größer Anstrengung klammerte Richard sich an die Strebe, als sie fast senkrecht wurde. Noch zehn Fuß.
In einem Türeingang erschien Merissa. Ein Blitz fuhr in einem Lichtbogen durch den Raum. Richard löste seinen Griff und ließ sich zu Boden fallen. Das laute Krachen des Donners tat ihm in den Ohren weh. Der Blitz war ihm gefährlich nah gekommen und hätte ihm fast den Kopf abgerissen. Richard mußte fort von ihr. Er mußte fliehen.
»Ich habe deine zukünftige Braut getroffen, Richard.«
Richard erstarrte mitten in der Bewegung. »Wo ist sie?«