»Komm raus, und wir unterhalten uns darüber. Ich werde dir erzählen, wie sehr ich ihre Schreie genießen werde.«
»Wo ist sie!«
Merissas Lachen hallte durch die Kuppel. »Hier, mein Schüler. Hier in Tanimura.«
Rasend vor Wut setzte Richard einen Lichtblitz frei. Er erhellte den Saal, schoß donnernd zu der Stelle hinüber, wo er sie zuletzt gesehen hatte. Steinsplitter segelten, Rauchfahnen hinter sich herziehend, durch die Luft. Er wunderte sich nur schwach, wie ihm dergleichen gelungen war. Das Verlangen.
»Warum! Warum wollt Ihr sie quälen!«
»Ach, Richard, es geht mir nicht darum, sie zu quälen, sondern dich. Ihre Qual ist deine Qual. Sie ist nur ein Mittel, um dein Blut zu bekommen.«
Richard suchte die Eingänge ab. »Warum wollt Ihr mein Blut?«
Er hatte die Frage kaum ausgesprochen, als er sich duckte und zu einem Durchgang rannte.
»Weil du alles verdorben hast. Du hast meinen Herrn und Meister in der Unterwelt eingesperrt. Ich sollte meinen Lohn bekommen. Ich sollte Unsterblichkeit erlangen. Ich habe meinen Teil getan, aber du hast es verdorben.«
Ein verdrehter Blitz aus schwarzem Licht schnitt ein sauberes Nichts in eine Wand gleich neben ihm. Sie benutzte Subtraktive Magie. Sie war eine Magierin von unvorstellbarer Kraft, und sie war in der Lage zu erkennen, wo er sich befand, konnte ihn fühlen. Wieso traf sie ihn dann nicht?
»Aber schlimmer noch«, meinte sie und tippte mit einem schlanken Finger an den Goldring in ihrer Unterlippe, »du bist schuld, daß ich diesem Schwein Jagang dienen muß. Du hast ja keine Ahnung, was er mir angetan hat. Du kannst dir nicht vorstellen, wozu er mich zwingt. Alles wegen dir! Alles wegen dir, Richard Rahl! Aber ich werde dich dafür bezahlen lassen. Ich habe geschworen, in deinem Blut zu baden, und das werde ich auch tun.«
»Was ist mit Jagang? Du wirst ihn erzürnen, wenn du mich umbringst.«
Hinter ihm brach Feuer aus und trieb ihn zur nächsten Säule.
»Ganz im Gegenteil. Jetzt, nachdem du deine Pflicht erfüllt hast, bist du für den Traumwandler nicht mehr von Nutzen. Als Belohnung darf ich mich deiner annehmen, ganz wie es mir beliebt — und ich habe schon ein paar interessante Ideen.«
So konnte er also nicht vor ihr fliehen. Versteckte er sich hinter einer Wand, erspürte sie ihn mit ihrem Han.
Er dachte erneut an Berdine, hob gerade die Hand und packte das Mriswithcape, um es sich vom Rücken herunterzureißen, dann hielt er inne. Merissa würde ihn nicht mit Hilfe ihres Han finden können, wenn er sich durch die Magie des Capes verbarg. Die Magie des Capes jedoch war jene Kraft, die die Mriswiths hervorbrachte.
Kahlan war gefangen. Merissa hatte gesagt, ihre Qual sei seine. Er durfte nicht zulassen, daß sie Kahlan etwas antaten. Er hatte keine Wahl.
Er warf das Cape um seinen Körper und wurde unsichtbar.
48
»Das ist der letzte von ihnen, wie ich es versprochen habe.«
Verna starrte in die Augen der Frau, die sie seit einhundertfünfzig Jahren kannte. Doch nicht gut genug. Sie war tief betrübt. Es gab viele, die sie nicht gut genug kannte.
»Was will Jagang im Palast der Propheten?«
»Von seiner Fähigkeit als Traumwandler abgesehen, besitzt er keine andere Macht als die eines gewöhnlichen Menschen.« Leomas Stimme bebte, trotzdem fuhr sie fort. »Er benutzt andere, besonders die mit der Gabe, um seine Ziele zu erreichen. Er wird unser Wissen benutzen, damit die Äste jener Prophezeiungen sichtbar werden, die ihm den Sieg bringen. Dann wird er dafür sorgen, daß die richtigen Maßnahmen getroffen werden, damit die Welt sich entlang dieser Äste bewegt.
Zudem ist er sehr geduldig. Fünfzehn Jahre hat er gebraucht, um die Alte Welt zu erobern, die ganze Zeit über seine Fähigkeiten perfektioniert, die Gedanken anderer erforscht und alles Wissen zusammengetragen, das er benötigt.
Er will nicht nur die Prophezeiungen in den Gewölbekellern benutzen, sondern er hat auch die Absicht, den Palast der Propheten zu seinem Zuhause zu machen. Er weiß um den Bann. Er hat Soldaten hier zur Probe stationiert, um sich zu vergewissern, ob er auch bei jenen ohne die Gabe funktioniert und keine schädlichen Auswirkungen hat. Jagang wird hier leben und von diesem Palast aus mit der Hilfe der Prophezeiungen die Eroberung der restlichen Welt lenken.
Sind erst einmal alle Länder in seiner Hand, wird er Hunderte und Aberhunderte von Jahren die Herrschaft über die Welt innehaben und die Früchte seiner Tyrannei genießen. In seiner Phantasie wurde etwas gleichermaßen Großes nie erträumt geschweige denn erreicht. Kein Herrscher wird je der Unsterblichkeit so nahe kommen.«
»Was kannst du mir sonst noch verraten?«
Leoma rang die Hände. »Nichts. Ich habe Euch alles erzählt. Laßt Ihr mich gehen, Verna?«
»Küsse deinen Ringfinger, und bitte den Schöpfer um Vergebung.«
»Was?«
»Sag dich vom Hüter los. Das ist deine einzige Hoffnung, Leoma.«
Leoma schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht, Verna. Das tue ich nicht.«
Verna hatte keine Zeit zu verlieren. Ohne ein weiteres Wort und ohne Diskussion ergriff sie ihr Han. Licht schien aus dem Inneren von Leomas Augen zu dringen, als sie tot zu Boden stürzte.
Verna schlich lautlos ans Ende des menschenleeren Korridors, zu Schwester Simonas Zelle. Erfreut darüber, daß sie wieder nach Belieben über ihr Han verfügen konnte, brachte sie den Schild zu Fall. Sie klopfte behutsam, um sie nicht zu erschrecken. Als sie hörte, wie Simona in die entlegene Ecke krabbelte, öffnete sie die Tür.
»Simona, ich bin es, Verna. Hab keine Angst, Liebes.«
Simona stieß einen gräßlichen Schrei aus. »Er kommt! Er kommt!«
Verna entzündete eine sanfte Glut aus Han in ihrer Hand. »Ich weiß. Du bist nicht verrückt, Schwester Simona. Er kommt wirklich.«
»Wir müssen fliehen! Wir müssen fort!« jammerte sie. »Oh, bitte, wir müssen fort von hier, bevor er hierher kommt. Er erscheint mir in meinen Träumen und verdirbt mich. Ich habe solche Angst.« Sie warf sich nieder und küßte ihren Ringfinger.
Verna nahm die zitternde Frau in die Arme. »Simona, hör mir gut zu. Ich weiß einen Weg, dich vor dem Traumwandler zu retten. Ich kann dich in Sicherheit bringen. Wir können fliehen.«
Die Frau beruhigte sich und blickte Verna staunend an. »Ihr glaubt mir?«
»Ja. Ich weiß, daß du die Wahrheit sprichst. Aber du mußt mir auch glauben: Ich kenne eine Magie, die dich vor dem Traumwandler beschützen wird.«
Simona wischte sich die Tränen von der verschmierten Wange. »Ist das wirklich möglich? Wie ist das zu schaffen?«
»Erinnerst du dich an Richard? Den jungen Mann, den ich mitgebracht habe?«
Simona nickte lächelnd und schmiegte sich in Vernas Arme. »Wer könnte Richard je vergessen? Ärgernis und Wunder in einer Person.«
»Jetzt paß auf. Richard besitzt außer der Gabe eine Magie, die ihm von seinen Vorfahren, die gegen die ersten Traumwandler gekämpft haben, vererbt wurde. Es handelt sich um eine Magie, die auch ihn selbst vor den Traumwandlern schützt. Sie beschützt auch jeden anderen, der ihm die Treue schwört und ihm in jeder Hinsicht ergeben ist. Aus diesem Grund wurde der Bann ursprünglich auch ausgesprochen — um die Traumwandler zu bekämpfen.«
Simona riß die Augen auf. »Das kann nicht sein — daß bloße Ergebenheit Magie überträgt.«
»Leoma hat mich in eine Zelle am Ende des Korridors sperren lassen. Sie hat mir einen Ring um den Hals gelegt und die Schmerzensprüfung dazu benutzt, meinen Willen zu brechen und mich von Richard abzubringen. Sie erklärte mir, der Traumwandler habe mich — wie dich — in meinen Träumen heimsuchen wollen, doch meine Treue zu Richard habe ihn daran gehindert. Es funktioniert, Simona. Ich weiß nicht wie, aber es funktioniert. Ich bin vor dem Traumwandler geschützt. Und du kannst diesen Schutz ebenfalls erhalten.«
Schwester Simona strich sich ihre grauen Locken aus dem Gesicht. »Ich bin nicht verrückt, Verna. Ich will diesen Ring um meinen Hals loswerden. Ich will dem Traumwandler entkommen. Wir müssen fliehen. Was soll ich tun?«