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Verna packte die zierliche Frau fester. »Willst du uns helfen? Willst du auch den übrigen Schwestern des Lichts bei der Flucht helfen?«

Simona berührte den Ringfinger mit ihren aufgeplatzten Lippen. »Bei meinem Eid auf den Schöpfer.«

»Dann schwöre auch einen Eid auf Richard. Du mußt mit ihm über die Bande verbunden sein.«

Simona löste sich und kniete nieder, mit der Stirn den Boden berührend. »Ich schwöre, Richard treu zu sein. Bei meiner Hoffnung, in der nächsten Welt bei meinem Schöpfer Zuflucht zu finden, gelobe ich ihm mein Leben.«

Verna drängte Simona, sich aufzurichten. Sie legte die Hände seitlich an ihren Rada’Han, ließ ihre Hand hineinfließen, wurde eins mit ihm. Die Zelle begann, unter ihrer Anstrengung zu summen. Der Halsring brach und löste sich.

Simona stieß einen Freudenschrei aus und drückte Verna an sich. Verna nahm sie fest in die Arme. Sie wußte, welche Freude es war, den Rada’Han vom Hals genommen zu bekommen.

»Wir müssen aufbrechen, Simona. Wir haben viel Arbeit vor uns und nur wenig Zeit. Ich brauche deine Hilfe.«

Simona wischte sich die Tränen fort. »Ich bin bereit. Danke, Prälatin.«

An der Tür, dessen Riegel durch ein feingesponnenes Netz gehalten wurde, vereinten Verna und Simona ihr Han.

Das Netz war von drei Schwestern errichtet worden, und obwohl Verna genügend Kraft besaß, wäre es immer noch ein hartes Stück Arbeit gewesen, es aufzulösen. Dank Simonas zusätzlicher Hilfe glitt das Netz mühelos ab.

Die beiden Posten draußen vor der Tür machten ein überraschtes Gesicht, als sie die verdreckten Gefangenen erblickten. Sie senkten die Lanzen.

Verna erkannte einen der Posten wieder. »Walsh, du kennst mich. Jetzt nimm die Lanze hoch.«

»Ich weiß, daß man Euch als Schwester der Finsternis überführt hat.«

»Aber das wirst du doch nicht glauben, oder?«

Die Spitze kam ihrem Gesicht bedrohlich nahe. »Wie kommt Ihr darauf?«

»Wenn es wahr wäre, hätte ich dich einfach getötet, um zu fliehen.«

Er schwieg einen Augenblick und dachte nach. »Sprecht weiter.«

»Wir befinden uns im Krieg. Der Kaiser möchte die Welt in seine Gewalt bringen. Dazu benutzt er die wahren Schwestern der Finsternis, Leoma zum Beispiel, und die neue Prälatin, Ulicia. Du kennst sie, und du kennst mich. Wem glaubst du?«

»Nun … ich bin nicht sicher.«

»Dann laß es mich so ausdrücken, daß es klar wird. Erinnerst du dich an Richard?«

»Natürlich. Er ist ein Freund.«

»Richard befindet sich im Krieg mit der Imperialen Ordnung. Es ist an der Zeit, und du mußt dich für eine Seite entscheiden und dafür, wem du treu sein willst, hier und jetzt. Richard oder der Imperialen Ordnung.«

Er rang mit sich selbst, die Lippen aufeinandergepreßt. Schließlich senkte sich das untere Ende seiner Lanze mit einem dumpfen Schlag zu Boden. »Richard.«

Die Blicke des anderen Postens wanderten zwischen Walsh und Verna hin und her. Plötzlich stieß er seine Lanze nach vorn und schrie: »Die Imperiale Ordnung!«

Verna hatte ihr Han bereits fest im Griff. Bevor die Klinge sie erreichte, wurde der Mann mit solcher Wucht zurückgeworfen, daß sein Schädel bei dem Aufprall an der Wand zerplatzte. Er stürzte tot zu Boden.

»Ich denke, ich habe mich wohl richtig entschieden«, meinte Walsh.

»Das hast du allerdings. Wir müssen die wahren Schwestern des Lichts und die treuen jungen Zauberer holen und augenblicklich von hier verschwinden. Wir haben keinen Augenblick zu verlieren.«

»Gehen wir«, meinte Walsh und wies mit seiner Lanze den Weg.

Draußen in der warmen Nachtluft saß eine dürre Gestalt auf einer nahen Bank. Als sie sie erkannte, sprang sie auf.

»Prälatin!« flüsterte sie unter Freudentränen.

Verna drückte Millie so fest an sich, daß die alte Frau bat, befreit zu werden. »Oh, Prälatin, verzeiht die häßlichen Dinge, die ich gesagt habe. Ich habe kein einziges Wort davon wirklich gemeint, das schwöre ich.«

Verna, den Tränen nahe, drückte die Frau noch einmal, dann küßte sie sie ein dutzendmal auf die Stirn. »Oh, Millie, ich danke dir. Du bist des Schöpfers bestes Werk. Ich werde nie vergessen, was du für mich und für die Schwestern des Lichts getan hast. Wir müssen fliehen, Millie. Der Kaiser wird den Palast übernehmen. Wirst du uns begleiten, bitte, damit du in Sicherheit bist?«

Millie zuckte mit den Achseln. »Ich? Eine alte Frau? Auf der Flucht vor mörderischen Schwestern der Finsternis und Ungeheuern der Magie?«

»Ja. Bitte?«

Millie betrachtete lächelnd den Mond. »Das klingt nach mehr Spaß, als Fußböden zu schrubben und Nachttöpfe auszuleeren.«

»Also gut, hört alle mal her. Wir…«

Ein großer Schatten trat hinter eine Ecke des Gebäudes hervor. Alles versank in Schweigen, als die Gestalt näher kam.

»Tja, Verna, sieht so aus, als hättet Ihr einen Ausweg gefunden. Damit hatte ich gerechnet.« Sie trat nah heran, so daß man sie sehen konnte. Es war Schwester Philippa, Vernas andere Beraterin, und sie küßte ihren Ringfinger. Dann weitete sich ihr schmaler Mund zu einem Lächeln. »Dem Schöpfer sei Dank. Willkommen daheim, Prälatin.«

»Philippa, wir müssen die Schwestern heute nacht fortschaffen, bevor Jagang eintrifft, sonst wird man uns gefangennehmen und mißbrauchen.«

»Was sollen wir tun, Prälatin?« fragte Schwester Philippa.

»Hört jetzt alle mal aufmerksam her. Wir müssen uns beeilen, und wir müssen mehr als vorsichtig sein. Wenn man uns erwischt, werden wir alle Halsringe tragen.«

Richard war von seiner Flucht aus dem Hagenwald außer Puste, daher verlangsamte er sein Tempo zum Trab, um wieder zu Atem zu kommen. Er sah Schwestern, die über das Palastgelände schlenderten, sie jedoch sahen ihn nicht. Obwohl er sich in sein Mriswithcape gehüllt hatte, konnte er nicht den gesamten Palast durchsuchen, das würde Tage dauern. Er mußte herausfinden, wo Kahlan, Zedd und Gratch gefangengehalten wurden, damit er nach Aydindril zurück konnte. Zedd würde wissen, was zu tun war.

Zedd würde ihm wegen seiner Dummheit wahrscheinlich heftige Vorwürfe machen, doch die hatte Richard auch verdient. Sein Magen schnürte sich zusammen, wenn er an den Ärger dachte, den er heraufbeschworen hatte. Nicht einmal, daß er seine törichte Unternehmung überlebt hatte, durfte er seiner Intelligenz zugute halten. Wie viele Leben hatte er durch sein rücksichtsloses Handeln in Gefahr gebracht?

Kahlan war wahrscheinlich mehr als wütend auf ihn. Und wieso auch nicht?

Mit Schaudern überlegte Richard, weshalb die Mriswiths nach Aydindril aufgebrochen waren. Wenn er an seine Freunde dort dachte, war ihm ganz scheußlich zumute. Vielleicht wollten sich die Mriswiths nur ein neues Zuhause schaffen, so wie den Hagenwald hier. Eine Stimme in seinem Innern hatte für dieses Wunschdenken nichts als Spott übrig. Er mußte dorthin zurück.

Hör auf, über das Problem nachzudenken, tadelte er sich. Denk an die Lösung.

Zuerst würde er seine Freunde hier rausholen, dann würde er sich um das übrige Gedanken machen.

Verwirrend war, daß man Kahlan, Zedd und Gratch ausgerechnet im Palast festhielt, trotzdem hegte er keinen Zweifel an dem, was Merissa ihm erzählt hatte. Sie war überzeugt gewesen, ihn in ihrer Gewalt zu haben, hatte also keinen Grund gehabt zu lügen. Er konnte nicht begreifen, wieso die Schwestern der Finsternis ihren Fang an einem so riskanten Ort versteckten.

Richard blieb stehen. Eine kleine Gruppe von Leuten überquerte im Mondschein den Rasen. Er konnte nicht erkennen, wer es war, und wollte es gerade feststellen, entschied dann aber, daß sein erster Gedanke richtig gewesen war: Ann aufzusuchen. Die Prälatin würde ihm weiterhelfen können. Abgesehen von Prälatin Annalina und Schwester Verna wußte er nicht, welchen Schwestern er trauen konnte. Er wartete, bis die Leute sich durch einen überdachten Laubengang entfernt hatten, dann machte er sich auf den Weg.

Als er vor Monaten den Palast verlassen hatte, wußte er, daß sich unter den Magierinnen hier möglicherweise noch Schwestern der Finsternis befanden, und bestimmt waren sie es, die Kahlan versteckt hielten, nur wußte er nicht, wer diese Schwestern waren. Er konnte nach Verna suchen, wußte aber nicht, wo. Aber wo er die Prälatin finden konnte, wußte er. Dort würde er also beginnen.