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Er hat sich auch unserer bemächtigt. Er kann uns jederzeit heimsuchen, wann immer es ihm beliebt. Wir sind seine Gefangenen, ganz gleich, wo wir sind. Er hat uns vor Augen geführt, was für ein unangenehmer Verfolger er sein kann. Für uns gibt es nur eine einzige Möglichkeit, ihm zu entkommen.«

»Ihr meint die Bande zu mir.«

»Ja. Wenn wir also Jagangs Anweisungen folgen, werden wir auch weiterhin in seiner Gunst stehen — sozusagen. Das ist zwar … unerfreulich, aber wir werden leben. Wir wollen leben.

Wenn wir dir Treue schwören, können wir den Zugriff, den Jagang auf uns hat, brechen und entkommen.«

»Das heißt, Ihr wollt ihn töten«, merkte Richard an.

Ulicia schüttelte den Kopf. »Wir wollen sein Gesicht nie wieder sehen. Was er tut, ist uns egal, wir wollen nur aus seiner Gewalt befreit werden.

Ich will dir reinen Wein einschenken. Wir werden wieder unserem Herrscher, dem Hüter, dienen. Haben wir Erfolg damit, werden wir belohnt werden. Ich weiß nicht, ob wir Erfolg haben werden, das jedoch ist das Risiko, das du eingehen mußt.«

»Was soll das heißen, das ist das Risiko, das ich eingehen muß? Wenn Ihr mir über die Bande verpflichtet seid, dann müßt Ihr auch für meine Ziele arbeiten: gegen den Hüter kämpfen und gegen die Imperiale Ordnung kämpfen.«

Ulicias Lippen verzogen sich zu einem schlauen Lächeln. »Nein, mein Junge. Ich habe mir das sehr sorgfältig überlegt. Hier ist mein Angebot: Wir schwören dir Treue, du fragst uns, wo Kahlan ist, und wir verraten es dir. Im Gegenzug darfst du uns keine weiteren Fragen stellen und mußt uns erlauben, augenblicklich von hier aufzubrechen. Du wirst uns nicht wiedersehen, und wir werden dich nicht wiedersehen.«

»Aber wenn Ihr für den Hüter arbeitet, dann geht es gegen mich und verletzt die Bande. Es wird nicht funktionieren.«

»Du betrachtest es mit deinen Augen. Der Schutz, den deine Bande liefern, entsteht durch die Überzeugung der Person, die in die Pflicht genommen wurde — indem sie tut, was sie ihrer Treue für angemessen hält.

Du willst die Welt erobern. Du glaubst, dies geschähe zum Wohl der Menschen in der Welt. Haben alle Menschen, die du auf deine Seite hast ziehen wollen, dir geglaubt, sind sie dir alle treugeblieben? Oder haben manche deine wohlmeinenden Angebote anders gesehen, als einen Mißbrauch, und sind aus Angst vor dir geflohen?«

Richard mußte an die Menschen denken, die aus Aydindril geflohen waren. »Nun ja, in gewisser Weise kann ich das wohl verstehen, aber…«

»Wir betrachten Treue nicht so moralisch wie du, wir legen sie nach unseren eigenen Begriffen aus. Unserem Empfinden als Schwestern der Finsternis nach brechen wir die Treue zu dir nicht, solange wir nichts tun, was dir unmittelbar schadet — denn was dir nicht schadet, kommt dir ausdrücklich zugute.«

Richard stemmte seine Fäuste auf den Tisch und beugte sich zu ihr. »Ihr wollt den Hüter befreien. Das wird mir schaden.«

»Das ist Ansichtssache, Richard. Was wir wollen, ist Macht, genau wie du, unabhängig von der Moral, in die du deinen Ehrgeiz bettest.

Unsere Bemühungen sind nicht gegen dich gerichtet. Sollten wir im Namen des Hüters erfolgreich sein, dann wäre jeder besiegt, also auch Jagang, und es spielt keine Rolle, ob wir am Ende den Schutz der Bande verlieren. Das entspricht vielleicht nicht deiner Moral, aber es entspricht unserer, daher werden die Bande funktionieren.

Und wer weiß, durch irgendein Wunder könnte es sogar geschehen, daß du deinen Krieg gegen die Imperiale Ordnung gewinnst und Jagang tötest. Dann brauchen wir die Bande ebenfalls nicht mehr. Wir können geduldig abwarten und sehen, was geschieht. Sei nur nicht so töricht, nach Aydindril zurückzugehen. Jagang wird es zurückerobern, und es gibt nichts, was du dagegen machen kannst.«

Richard richtete sich auf und sah sie verblüfft an, versuchte, sich das zurechtzulegen. »Aber … das würde bedeuten, daß ich Euch freilasse, damit Ihr für das Böse arbeiten könnt.«

»Das Böse, entsprechend deiner Moral. Die Wahrheit ist, du gibst uns die Möglichkeit, es zu versuchen, aber das heißt nicht, daß wir es schaffen. Wie auch immer, es verschafft dir Kahlan sowie die Möglichkeit, die Imperiale Ordnung aufzuhalten und unsere Versuche, unseren Kampf zu gewinnen, zum Scheitern zu bringen. Du hast uns in der Vergangenheit schon einmal einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Damit erkauft sich jeder von uns etwas sehr Wichtiges. Wir erkaufen uns unsere Freiheit und Kahlan die ihre. Ein fairer Tausch, wie ich finde.«

Schweigend überlegte sich Richard dieses wahnwitzige Angebot, so verzweifelt war er.

»Wenn Ihr Euch also unterwerft und mir Eure Treue schwört und mir verratet, wo Kahlan ist, und Euch dann wie vorgeschlagen von hier entfernt, welche Sicherheit habe ich dann, daß Ihr mir in bezug auf Kahlans Aufenthaltsort die Wahrheit gesagt habt?«

Ulicia hob herausfordernd den Kopf und lächelte gerissen. »Ganz einfach. Wir schwören, und du fragst. Wenn wir auf deine direkte Frage lügen, sind die Bande gebrochen, und wir wären wieder in der Gewalt Jagangs.«

»Und wenn ich mein Versprechen breche und Euch, nachdem Ihr mir verraten habt, wo Kahlan ist, eine weitere Forderung stelle? Ihr müßtet Eure Versprechen erfüllen, um weiter durch die Bande vor Jagang geschützt zu bleiben.«

»Aus diesem Grund enthält unser Angebot die Bedingung, daß du nur eine einzige Frage stellen darfst: Wo ist Kahlan. Fragst du weiter, werden wir dich töten, desgleichen, wenn du uns abweist. Dann wären wir nicht schlimmer dran als jetzt auch. Du stirbst, und Jagang bekommt Kahlan und kann mit ihr machen, was ihm beliebt — und das wird er, das versichere ich dir. Er hat sehr perverse Vorlieben.« Ihr Blick wanderte zu der jungen Frau neben ihr. »Du brauchst nur Merissa zu fragen.«

Richard blickte Merissa an und sah, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Sie zog ihr rotes Kleid weit genug hinunter, um ihm die obere Hälfte ihrer Brust zu zeigen. Richard spürte, wie er selbst bleich wurde. Er wandte die Augen ab.

»Er läßt nur zu, daß mein Gesicht verheilt. Der Rest bleibt auf sein Geheiß, wie es ist — zu seinem … Vergnügen. Das ist noch das geringste, was er mir angetan hat. Das allergeringste«, meinte Merissa mit kalter Stimme. »Und alles wegen dir, Richard Rahl.«

Ein Bild schoß Richard durch den Kopf, Kahlan mit Jagangs Ring durch die Lippe und diesen unheimlichen Flecken auf ihrem Körper. Seine Knie wurden wackelig.

Er biß sich auf die Unterlippe und sah Ulicia wieder an.»Ihr seid nicht die Prälatin. Gebt mir ihren Ring.« Sie streifte ihn ohne zu zögern ab und gab ihn ihm. »Ihr werdet mir Treue schwören, ich darf fragen, wo Kahlan ist, Ihr müßt mir die Wahrheit sagen, und dann verschwindet Ihr von hier?«

»So lautet unser Angebot.«

Richard stieß einen schweren Seufzer aus. »Abgemacht.«

Als Richard die Tür hinter sich geschlossen hatte, schloß Ulicia die Augen und atmete befreit auf. Er hatte es eilig. Das war ihr egal, sie hatte bekommen, was sie wollte. Sie konnte schlafen gehen, ohne befürchten zu müssen, daß Jagang sie in dem Traum, der keiner war, heimsuchte.

Ihre fünf Leben gegen eines. Kein schlechter Tausch.

Und sie hatte ihm nicht einmal alles verraten müssen. Allerdings mehr, als ihr lieb war. Trotzdem, kein schlechter Tausch.

»Schwester Ulicia«, sagte Cecilia mit einem Unterton von Sicherheit in der Stimme, den sie seit Monaten hatte vermissen lassen, »du hast das Unmögliche geschafft. Du hast Jagangs Macht über uns gebrochen. Die Schwestern der Finsternis sind frei, und gekostet hat uns das nichts.«

Ulicia atmete tief durch. »Dessen wäre ich nicht so sicher. Wir haben unseren Fuß auf unbekanntes Terrain gesetzt und wissen nicht, ob uns dieser Weg ans Ziel bringt. Fürs erste jedoch sind wir frei. Wir dürfen unsere Chance nicht verspielen. Wir müssen augenblicklich aufbrechen.«