Sie hob den Kopf, als die Tür mit einem Knall aufgestoßen wurde.
Grinsend kam Kapitän Blake ins Büro gewankt. In seinem Schlepptau folgten zwei feixende Matrosen, von denen einer seine Schritte bremste, um Armina zu betatschen. Sie machte keinerlei Anstalten, seine Hände abzuwehren.
Blake blieb schwankend vor ihr stehen. Er stützte seine Hände auf den Tisch und beugte sich vor. Sie roch den Schnaps in seinem Atem, als er sie lüstern ansah.
»Sieh an, sieh an, Mädchen. So treffen wir uns wieder.«
Ulicia ließ sich keine Regung anmerken. »So ist es, in der Tat.«
Er hatte den gierigen Blick zu tief gesenkt, um ihr in die Augen zu sehen. »Die Lady Sefa ist gerade eingelaufen, und wir Seeleute waren einsam und fanden, wir sollten für die Nacht etwas Gesellschaft haben. Das letzte Mal haben die Jungs mit Euch Damen so großen Spaß gehabt, so daß sie meinten, sie würden das Ganze gerne wiederholen.«
Sie täuschte einen eingeschüchterten Tonfall vor. »Hoffentlich habt ihr euch vorgenommen, behutsamer zu sein als letztes Mal.«
»Genaugenommen, Mädchen, meinten die Jungs, sie seien beim letzten Mal noch nicht so recht auf ihre Kosten gekommen.« Er beugte sich noch weiter vor, langte mit seiner rechten Hand zu, packte ihre Brustwarze und zerrte sie in ihrem Sessel nach vorn. Er feixte, als sie schrie. »Also, bevor ich üble Laune bekomme, schafft ihr Weiber euren Hintern mit uns zusammen auf die Lady Sefa, wo wir ihn einem ›guten Zweck‹ zuführen werden.«
Ulicia riß ihre Faust nach vorn, rammte dem Kapitän ein Messer durch den Rücken seiner linken Hand und nagelte sie auf dem Tisch fest. Mit einem Finger ihrer anderen Hand berührte sie den Ring an ihrer Lippe, und dank eines Stroms Subtraktiver Magie verschwand er blitzschnell, ohne eine Spur zu hinterlassen.
»Genau, Kapitän Blake, gehen wir alle zusammen runter zur Lady Sefa.«
Mit einer Handvoll Han prügelte sie ihn zurück, so daß das im Tisch versenkte Messer seine Hand in zwei Teile schlitzte, als diese zurückgerissen wurde. Die Luft blieb ihm im Halse stecken, als er den Mund aufmachte, um zu schreien.
49
»Irgend etwas geht dort draußen vor«, flüsterte Adie. »Das sind sie bestimmt.« Sie fixierte Kahlan mit ihren weißen Augen. »Willst du das wirklich? Ich bin bereit, aber…«
»Wir haben keine andere Wahl«, meinte Kahlan und blickte kurz ins Feuer, um sich zu vergewissern, daß es noch richtig brannte. »Wir müssen entkommen. Wenn es uns nicht gelingt zu entkommen und wir getötet werden, nun, dann wird Richard wenigstens nicht herkommen und ihnen in die Falle gehen. Dann kann er mit Zedds Hilfe die Menschen in den Midlands beschützen.«
Adie nickte. »Versuchen wir’s also.« Sie seufzte. »Ich weiß, es ist wichtig, daß sie das tut, aber ich weiß nicht, warum.«
Adie hatte Kahlan erzählt, daß Lunetta etwas sehr Seltsames tat: Sie hüllte sich ständig in ihre Kraft. So etwas sei dermaßen außergewöhnlich, hatte Adie gemeint, daß dafür ein mit Magie ausgestatteter Talisman vonnöten war. In Lunettas Fall kam für diesen Talisman nur eins in Frage.
»Wie du gesagt hast, auch wenn du den Grund nicht kennst, sie würde es niemals tun, wenn es nicht wichtig wäre.«
Kahlan legte einen Finger an die Lippen, als sie den Fußboden auf dem Korridor knarren hörte. Adies grau-schwarzes, kinnlanges Haar wehte hin und her, während sie rasch die Kerze ausblies und hinter die Tür trat. Das Feuer gab noch immer Licht, doch das Flackern der Flammen ließ die Schatten tanzen und würde das allgemeine Durcheinander noch vergrößern.
Die Tür ging auf. Kahlan, die Adie gegenüber auf der anderen Seite der Tür stand, atmete tief durch und nahm ihren Mut zusammen. Sie hoffte, daß sie den Schild entfernt hatten, sonst würden sie völlig umsonst in große Schwierigkeiten geraten.
Zwei Gestalten traten ins Zimmer. Sie waren es.
»Was willst du hier, du schmieriger, kleiner Teufel!« brüllte Kahlan.
Brogan, gefolgt von Lunetta, fiel mit Beschimpfungen über Kahlan her. Sie spie ihm in die Augen.
Das Gesicht gerötet, versuchte er, sie zu packen. Kahlan riß ihren Stiefel zwischen seinen Beinen hoch. Lunetta langte nach ihm, als er einen Schrei ausstieß. Von hinten zog Adie der Magierin einen Scheit über den vierschrötigen Kopf.
Brogan warf sich auf Kahlan, rang mit ihr, boxte sie in die Rippen. Adie bekam Lunettas bunt zusammengeflicktes Kleid zu fassen, als diese stürzte. Das Ganze riß entzwei, als Adie, mit gewaltiger Anstrengung und von Verzweiflung getrieben, die fast besinnungslose Frau aus ihren Flickenkleidern rollte.
Benommen und schwerfällig schrie Lunetta auf, als Adie mit ihrer Beute herumwirbelte und das Ganze in die brüllenden Flammen warf.
Kahlan sah, wie die bunten Stoffflicken im Kamin Feuer fingen, als sie und Brogan zu Boden gingen. Sie wuchtete ihn über sich hinweg, als sie krachend auf dem Boden landete, rollte ab und kam auf die Füße. Als Brogan sich umdrehte, um wieder Boden unter die Füße zu bekommen, trat sie ihm ins Gesicht.
Lunetta kreischte gequält. Kahlan ließ Brogan nicht aus den Augen, als dieser mit blutiger Nase aufsprang. Bevor er sie erneut angreifen konnte, erblickte er hinter Kahlan seine Schwester und erstarrte.
Kahlan warf rasch einen Blick nach hinten. Eine Frau grabschte mit den Händen wild im Feuer herum, versuchte erfolglos, die lichterloh brennenden Flicken bunten Stoffes zu retten.
Die Frau war Lunetta.
Es war eine attraktive, ältere Frau in einem weißen Unterkleid.
Kahlan bekam große Augen, als sie das sah. Was war aus Lunetta geworden?
Brogan brüllte, als hätte er den Verstand verloren. »Lunetta! Wie kannst du einen Betörungsbann vor anderen aussprechen! Wie kannst du es wagen, Magie zu benutzen, damit sie glauben, du seist schön! Hör sofort damit auf! Dein Makel ist die Häßlichkeit!«
»Lord General«, jammerte sie, »meine hübschen Sachen. Meine hübschen Sachen verbrennen. Bitte, mein Bruder, helft mir.«
»Du dreckige streganicha! Hör auf, sage ich!«
»Ich kann nicht«, schluchzte sie. »Ohne meine hübschen Sachen kann ich das nicht.«
Mit einem wütenden Grunzen stieß Brogan Kahlan zur Seite und stürzte zum Feuer. Er riß Lunetta an den Haaren hoch und schlug ihr mit der Faust ins Gesicht. Sie kippte nach hinten um und riß Adie mit zu Boden.
Er trat seine Schwester, als sie versuchte aufzustehen. »Ich habe genug von deinem Ungehorsam und deinem heidnischen Makel!«
Kahlan keuchte und versuchte, Luft zu kriegen. »Du dreckiges Schwein! Laß deine wunderschöne Schwester in Ruhe!«
»Sie ist verrückt! Die verrückte Lunetta!«
»Hör nicht auf ihn, Lunetta! Dein Name bedeutet ›Kleiner Mond‹. Hör nicht auf ihn.«
Kreischend vor Wut streckte Brogan die Hände nach Kahlan aus. Mit lautem Krachen erfüllte ein Blitz das Zimmer. Brogan verfehlte sie nur, weil er vor Wut die Beherrschung verloren hatte und wild um sich schlug. Putz und andere Trümmer flogen durch die Luft.
Kahlan war fast gelähmt vor Verblüffung. Tobias Brogan, der Lord General des Lebensborns aus dem Schoß der Kirche, jener Mann, der sich der Vernichtung der Magie verschrieben hatte, besaß die Gabe.
Mit einem erneuten Aufschrei schleuderte Brogan eine Faust voll Luft, die Kahlan mitten auf die Brust traf und sie krachend gegen die Wand schleuderte. Sie sank benommen und wie betäubt auf dem Boden in sich zusammen.
Lunettas Schreie wurden lauter, als sie sah, was Brogan getan hatte. »Nein, Tobias, Ihr dürft Euren Makel nicht benutzen!«
Er fiel über seine Schwester her, würgte sie, hämmerte ihren Kopf auf den Boden. »Du bist es, die das getan hat! Du hast den Makel benutzt! Du hast einen Betörungsbann benutzt. Du hast den Blitz erzeugt!«
»Nein, Tobias, Ihr wart es, der das getan hat. Ihr dürft von Eurer Gabe keinen Gebrauch machen. Mama hat mir gesagt, daß Ihr sie auf keinen Fall benutzen dürft.«