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»Ich konnte nicht das Leben aller anderen dem Zufall überlassen.«

In Zedds Augen blitzte kalte Wut. »Du bist verrückt.«

Ann zog eine Braue hoch. »Ach, ja? Du würdest also das Leben Hunderttausender wegen eines einzigen Menschen aufs Spiel setzen, von dem du einigermaßen sicher bist, daß er dein Feind ist und zudem entschlossen, dich aufzuhalten? Sind das die Entscheidungen, durch die du zum Zauberer Erster Ordnung aufgestiegen bist?«

Er ließ ihren Arm los. »Also schön, da ist etwas dran. Was willst du?«

»Sieh erst im Gewölbekeller nach und überzeuge dich, daß dort nicht noch andere sind.«

Die beiden stahlen sich an jeweils einer Wand entlang. Ann blickte immer wieder zwischen die Reihen mit Bücherregalen hindurch, um zu beobachten, ob der alte Zauberer das tat, was sie ihm gesagt hatte. Sollte er zu fliehen versuchen, konnte sie ihn mittels des Rada’Han zurückholen, und das wußte er.

Sie mochte Richards Großvater, doch die Notlage machte es erforderlich, daß sie seinen Haß anstachelte. Sie mußte einen Wutanfall bei ihm provozieren, damit er bereitwillig die Chance ergriff, die sie ihm bot.

Sie erreichten den hinteren Bereich des düsteren Gewölbekellers und waren niemandem sonst begegnet. Ann küßte ihren nackten Ringfinger und dankte dem Schöpfer. Sie verdrängte die Gefühle nach ihrem Mord an Schwester Becky und sagte sich, daß diese nicht die Gewölbekeller bewacht hätte, wäre sie nicht dem Hüter verschworen und eine Schachfigur des Kaisers. Sie versuchte, nicht an das unschuldige Ungeborene zu denken, das sie mit der Schwester getötet hatte.

»Und jetzt?« fauchte Zedd sie an, als sie sich hinten in der Nähe einer der kleinen, geheimen Kammern trafen.

»Nathan wird seinen Teil tun. Ich habe dich hierhergebracht, damit du deinen Teil tust, die andere Hälfte dessen, was notwendig ist. Der Palast steht unter einem Bann, der vor dreitausend Jahren eingerichtet wurde. Es ist mir gelungen herauszufinden, daß es sich dabei um ein sich gabelndes Netz handelt.«

Zedds Brauen schossen in die Höhe. Seine Neugier war stärker als seine Empörung. »Das ist eine gewagte Behauptung. Ich habe noch nie von jemandem gehört, der in der Lage gewesen wäre, ein sich gabelndes Netz zu spinnen. Bist du sicher?«

»Heutzutage kann niemand mehr ein solches Netz spinnen, doch die Zauberer von damals hatten noch die Kraft dazu.«

Zedd fuhr sich mit dem Daumen über das glatte Kinn und starrte Löcher in die Luft. »Ja, ich kann mir vorstellen, daß sie die Kraft dazu hatten.« Sein Blick kehrte zu ihren Augen zurück. »Zu welchem Zweck?«

»Der Bann verändert den Ort, an dem der Palast steht. Der äußere Schild, wo wir Nathan zurückgelassen haben, ist die Hülle, die alles umschließt. Sie erzeugt jene Umgebung, in der die eine Hälfte in dieser Welt bestehen kann. Der Bann hier, auf der Insel, steht mit anderen Welten in Verbindung. Unter anderem verändert er die Zeit. Deswegen altern wir langsamer als die Menschen, die außerhalb des Banns leben.«

Der alte Zauberer dachte nach. »Ja, das wäre eine Erklärung.«

Ann löste den Blick von seinen Augen. »Nathan und ich, wir sind beide fast eintausend Jahre alt. Ich war fast acht Jahrhunderte lang Prälatin der Schwestern des Lichts.«

Zedd strich sich das Gewand an seinen knochigen Hüften glatt. »Ich habe gehört, daß der Bann die Lebensdauer verlängert, um euch die Zeit zu geben, euer widerliches Werk zu tun.«

»Zedd, als die Zauberer damals dazu übergingen, eifersüchtig über ihre Kraft zu wachen und sich zu weigern, junge Burschen mit der Gabe auszubilden, weil sie dadurch verhindern wollten, daß jemand ihre Vormachtstellung bedroht, wurde der Orden der Schwestern des Lichts gegründet. Sie sollten diesen jungen Burschen helfen, weil sie sonst gestorben wären. Nicht jedem gefällt diese Vorstellung, aber so ist es nun einmal.

Ist kein Zauberer da, der ihnen hilft, fällt diese Aufgabe uns zu. Wir haben nicht das gleiche Han wie Männer, deswegen dauert es sehr lange, die Aufgabe auszuführen. Der Halsring hält sie am Leben. Er verhindert, daß die Gabe ihnen Schaden zufügt, sie in den Wahnsinn treibt, bevor wir ihnen beibringen können, was sie wissen müssen.

Der Bann rings um den Palast gibt uns die nötige Zeit dazu. Er wurde für uns vor dreitausend Jahren errichtet, als uns ein paar Zauberer bei unserer Sache halfen. Sie hatten die Kraft, ein sich gabelndes Netz auszuwerfen.«

Zedds Neugier war geweckt. »Ja. Ja, ich verstehe, was du meinst. Durch eine Gabelung würde die Kraft umgekehrt werden, in etwa so, wie man ein Stück Darm verdreht. Und dadurch würde ein Bereich geschaffen, in dessen Zentrum außergewöhnliche Dinge möglich wären. Die Zauberer aus alter Zeit waren zu Dingen fähig, von denen ich nur träumen kann.«

Ann war stets auf der Hut und versicherte sich ständig, daß sie alleine waren. »Durch eine Gabelung wird ein Netz in sich verdreht, so daß ein äußerer und ein innerer Bereich entstehen. Es gibt zwei Knotenpunkte, wie bei dem verdrehten Darm, von dem du sprachst, dort, wo die eigentliche Verdrehung stattfinden müßte: einer am äußeren Schild und der andere am inneren.«

Zedd sah sie aus einem Auge an. »Der Knotenpunkt in der inneren Hälfte aber, wo das eigentliche Ereignis stattfindet, ist anfällig für einen Durchbruch. Obschon aus der Notwendigkeit heraus entstanden, ist das eine gefährliche Schwachstelle. Weißt du, wo der innere Knotenpunkt liegt?«

»Wir stehen mitten drin.«

Zedd richtete sich auf. Er sah sich um. »Ja, ich sehe, welche Überlegungen hier eingeflossen sind — man hat ihn in den Mutterfels gelegt, unter alles andere, wo er am besten geschützt ist.«

»Das ist auch der Grund, weshalb wir auf der gesamten Insel Drahle grundsätzlich Zaubererfeuer verbieten, wegen der entfernten Möglichkeit, daß es Verwüstungen anrichten könnte.«

Zedd winkte gedankenverloren ab. »Nein, nein. Zaubererfeuer könnte einem solchen Knotenpunkt nichts anhaben.« Er drehte sich mit einem mißtrauischen Blick zu ihr um. »Was tun wir eigentlich hier?«

»Ich habe dich hierhergebracht, um dir Gelegenheit zu geben, was du tun willst — den Bann zu zerstören.«

Er sah sie erstaunt an. Schließlich sprach er. »Nein. Das wäre nicht richtig.«

»Zauberer Zorander, das ist ein höchst ungeeigneter Augenblick für moralische Bedenken.«

Er verschränkte die dürren Arme. »Dieser Bann wurde von Zauberern eingerichtet, die größer sind, als ich je sein werde, größer, als ich es mir überhaupt vorstellen kann. Es ist ein Wunder, ein Werk vollkommenen Könnens. Ein solches Werk werde ich nicht zerstören.«

»Ich habe das Abkommen gebrochen!«

Zedd hob sein Kinn. »Der Bruch des Abkommens verurteilt jede Schwester, die die Neue Welt betritt, zum Tode. Wir sind nicht in der Neuen Welt. Ein Bruch des Abkommens besagt nicht, daß ich in die Alte Welt gehen und Schaden anrichten soll. Nach den Regeln des Abkommens habe ich dazu kein Recht.«

Sie beugte sich mit finsterer Miene näher. »Du hast mir versprochen, wenn ich dich mit dem Halsring fortschaffe und deine Freunde in Gefahr bringe, würdest du in meine Heimat kommen und den Palast der Propheten verwüsten. Jetzt gebe ich dir Gelegenheit dazu.«

»Das war ein spontaner, leidenschaftlicher Ausbruch. Inzwischen ist wieder Vernunft in meinen Kopf eingekehrt.« Er fixierte sie mit finster tadelndem Blick. »Du hast mich mit krummen Tricks und hinterhältigen Täuschungsmanövern davon überzeugen wollen, daß du eine gemeine, verabscheuungswürdige, unmoralische Missetäterin bist, aber es ist dir nicht gelungen, mich zu täuschen. Du bist kein übler Kerl.«

»Ich habe dich in Fesseln gelegt. Ich habe dich gewaltsam entführt!«

»Ich werde dein Zuhause und dein Leben nicht zerstören. Wenn ich es täte und den Bann zerstörte, würde das den Alltag der Schwestern des Lichts verändern und im Grunde ihr Leben vorzeitig beenden. Die Schwestern und ihre Schutzbefohlenen leben nach einem Zeitmaßstab, der mir seltsam erscheinen mag, für sie jedoch ist er normal.