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Dann kam ihr der Gedanke, vielleicht wollte Ann, daß sie Warren fortschaffte, damit die Schwestern der Finsternis ihn nicht umbrachten, weil er zuviel wußte. Sie verbannte den quälenden Gedanken aus ihrem Kopf, derweil sie die Korridore nach irgendeinem Anhaltspunkt dafür absuchte, daß die Schwestern der Finsternis sich in das Gebäude geschlichen hatten, um sich vor der Schlacht zu verstecken.

Vor der Tür zu den Gemächern der Propheten holte Verna tief Luft, dann trat sie in das Wohnzimmer, durch Schichten von Schilden hindurch, die Nathan annähernd eintausend Jahre im Palast gefangengehalten hatten — und jetzt Warren.

Sie durchbrach die Innentür, die in die Dunkelheit führte. Die gegenüberliegende Doppeltür, durch die man in den kleinen Garten des Propheten gelangte, stand offen und ließ die warme Nachtluft und einen Streifen Mondlicht herein. Auf einem Beistelltisch brannte eine Kerze, spendete aber nur wenig Licht.

Vernas Herz begann zu klopfen, als sie sah, wie jemand sich aus einem Sessel erhob.

»Warren?«

»Verna!« Er stürzte auf sie zu. »Dem Schöpfer sei Dank, Ihr seid entkommen!«

Verna fühlte, wie das Entsetzen nach ihr griff, als ihr Hoffen und Bangen ihre alten Ängste auslöste. Sie riß sich zusammen und drohte ihm mit dem Finger. »Was war das für eine Torheit, mir deinen Dacra zu schicken! Wieso hast du ihn nicht benutzt, dich selbst zu retten — und zu fliehen! Es war leichtsinnig, ihn mir zu schicken. Stell dir vor, es wäre etwas passiert. Du hattest ihn bereits sicher und hast ihn wieder aus der Hand gegeben! Was hast du dir dabei gedacht?«

Er lächelte. »Ich bin froh, Euch zu sehen, Verna.«

Verna verbarg ihre Gefühle hinter einer schroffen Erwiderung. »Beantworte meine Frage.«

»Nun, erst einmal hatte ich noch nie einen Dacra benutzt und Angst, ich könnte etwas falsch machen. Zweitens trage ich diesen Ring um den Hals, und solange ich ihn nicht herunterbekomme, kann ich die Schilde nicht passieren. Wenn ich Leoma nicht dazu bringen konnte, ihn mir abzunehmen, weil sie lieber sterben würde, als das zu tun, wäre alles umsonst gewesen. Drittens«, sagte er und machte einen zögernden Schritt auf sie zu, »wenn nur einer von uns beiden die Chance bekäme zu fliehen, wollte ich, daß Ihr das seid.«

Verna starrte ihn eine ganze Weile an und konnte den Kloß in ihrem Hals nicht schlucken. Schließlich schlang sie ihm die Arme um den Hals.

»Warren, ich liebe dich. Ich meine, ich liebe dich wirklich und wahrhaftig.«

Er nahm sie zärtlich in den Arm. »Du weißt gar nicht, wie lange ich schon davon träume, diese Worte von dir zu hören, Verna. Ich liebe dich auch.«

»Und meine Fältchen?«

Er lächelte sein herzliches, warmes, glühendes Warrenlächeln. »Solltest du irgendwann einmal Fältchen bekommen, dann werde ich sie ebenfalls lieben.«

Dafür und für alles andere ließ sie sich fallen und küßte ihn.

Eine kleine Traube Männer in karminroten Capes schoß um die Ecke, entschlossen, ihn zu töten. Er wirbelte mitten unter sie, trat einem in die Knie, während er einem zweiten das Messer in den Leib rammte. Bevor ihre Schwerter ihm den Weg versperren konnten, hatte er einem weiteren die Kehle aufgeschlitzt und mit dem Ellenbogen eine Nase zertrümmert.

Richard war fuchsteufelswild — verloren im donnernden Zorn der Magie, die durch seinen Körper jagte.

Auch wenn das Schwert nicht bei ihm war, so war er immer noch im Besitz seiner Magie. Er war der wahre Sucher der Wahrheit und mit dieser Magie unwiderruflich verbunden. Sie durchflutete ihn mit todbringender Besessenheit. Die Prophezeiungen hatten ihn fuer grissa ost drauka genannt, Hoch-D’Haran für ›Der Bringer des Todes‹, und wie dessen Schatten bewegte er sich jetzt. Jetzt begriff er die Worte, so wie sie geschrieben waren.

Er pflügte durch die Männer des Lebensborns aus dem Schoß der Kirche, als wären sie nichts weiter als Statuen, die ein verheerender Sturm niederwarf.

Augenblicke später war alles wieder still.

Richard stand keuchend vor Wut über den Leichen und wünschte, es wären Schwestern der Finsternis und nicht bloß deren Günstlinge. Auf diese fünf hatte er es abgesehen.

Sie hatten ihm verraten, wo man Kahlan gefangengehalten hatte, bei seinem Eintreffen jedoch war sie nicht mehr dort gewesen. Noch immer hing Schlachtrauch in der Luft. Offenbar hatte die Raserei entfesselter Magie den Raum zerstört. Er hatte die Leichen von Brogan und Galtero gefunden, und die einer Frau, die er nicht kannte.

Möglicherweise hatte Kahlan, wenn sie überhaupt hier gewesen war, fliehen können. Die Befürchtung jedoch, daß die Schwestern sie hatten verschwinden lassen, daß sie noch immer eine Gefangene war, daß sie ihr weh taten oder, schlimmer noch, daß sie sie Jagang ausliefern würden, machte ihn rasend. Er mußte sie finden.

Er mußte eine Schwester der Finsternis in die Finger bekommen und sie zum Sprechen bringen.

Auf dem gesamten Palastgelände tobte ein chaotischer Kampf. Richard erschien es, als hätte es der Lebensborn auf jeden im Palast abgesehen. Er hatte tote Wachposten gesehen, tote Putzfrauen und tote Schwestern.

Und er hatte eine große Zahl toter Soldaten des Lebensborns gesehen. Die Schwestern der Finsternis mähten sie erbarmungslos nieder. Richard hatte gesehen, wie ein Trupp von annähernd einhundert Mann von einer einzigen Schwester im Nu niedergemäht worden war. Und er hatte gesehen, wie ein unbarmherziger Trupp Soldaten eine andere Schwester von allen Seiten her überrannt hatte. Sie waren über sie hergefallen wie ein Rudel Hunde über einen Fuchs.

Als er bei der Schwester eingetroffen war, die den Angriff niedergeschlagen hatte, war diese verschwunden, also machte er sich auf die Suche nach einer anderen. Eine von ihnen würde ihm verraten, wo Kahlan sich befand. Und wenn er alle Schwestern der Finsternis im Palast töten müßte, eine von ihnen würde reden.

Zwei Soldaten des Lebensborns erblickten ihn und stürmten den Pfad herauf. Richard wartete. Ihre Schwerter trafen nur die Luft. Er streckte die beiden mit seinem Messer nieder, fast ohne einen Gedanken darauf zu verschwenden, und war schon wieder unterwegs, bevor der zweite Soldat ganz mit dem Gesicht auf dem Boden lag.

Er hatte den Überblick verloren, wie viele Soldaten des Lebensborns er seit Beginn der Schlacht getötet hatte. Er fraß sich nur dann durch sie hindurch, wenn sie ihn angriffen. Er konnte nicht allen Soldaten ausweichen, auf die er stieß. Wenn sie sich auf ihn stürzten, so war dies ihre Entscheidung, nicht seine. Auf sie hatte er es nicht abgesehen — sondern auf eine Schwester.

Nahe bei einer Mauer drückte Richard sich unter einer Gruppe duftender, einzeln stehender Hexenhaselnußsträucher in den Mondschatten und schlich auf einen der Laubengänge zu. Er sah, wie ein Schatten hastig den Weg verließ, und preßte sich flach an einen in der Wand eingelassenen Pfeiler. Im Näherkommen konnte er am Fall der Haare und an der Körperform erkennen, daß es eine Frau war.

Endlich hatte er eine Schwester gefunden.

Als er sich ihr in den Weg stellte, sah er, wie eine blutende Klinge auf ihn zugeschossen kam. Jede Schwester trug einen Dacra bei sich. Wahrscheinlich war es der und kein Messer. Er wußte, wie tödlich ein Dacra war und wie geschickt sie mit dieser Waffe umgehen konnten. Er durfte die Gefahr nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Richard ließ sein Bein herumschnellen und trat ihr den Dacra aus der Hand. Er hätte ihr den Kiefer gebrochen, damit sie nicht nach Hilfe rufen konnte, doch er brauchte sie unverletzt, damit sie sprechen konnte. Wenn er schnell genug war, würde sie kein Alarm schlagen.

Er packte ihr Handgelenk, sprang hinter ihrem Rücken auf, packte ihre andere Faust, als sie ihn damit schlagen wollte, und umklammerte ihre beiden Handgelenke mit einer Hand. Von hinten legte er ihr den Arm mit dem Messer um den Hals, da wurde er mit einem Ruck zurückgeschleudert. Als er, die Frau vor sich auf der Brust, auf dem Rücken landete, hakte er seine Beine über ihre, damit sie ihn nicht treten konnte. Einen Herzschlag später saß sie hilflos gefangen.