Er drückte ihr die Klinge an die Kehle. »Ich bin in einer ganz miesen Laune«, preßte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Wenn du mir nicht sagst, wo die Mutter Konfessor ist, stirbst du.«
Sie kam keuchend wieder zu Atem. »Du schneidest ihr gleich die Kehle durch, Richard.«
Sein Verstand, so schien es, brauchte eine Ewigkeit, um ihre Worte durch seine Raserei hindurch zu verstehen und sich einen Reim auf das zu machen, was sie gesagt hatte. Es erschien ihm völlig rätselhaft.
»Gibst du mir einen Kuß, oder willst du mir die Kehle durchschneiden?« fragte sie, noch immer außer Atem.
Es war Kahlans Stimme. Er ließ ihre Handgelenke los. Sie drehte sich um, ihr Gesicht war nur Zentimeter von seinem entfernt. Sie war es. Sie war es tatsächlich.
»Gütige Seelen, ich danke euch«, sagte er leise, bevor er sie küßte.
Richard erinnerte sich noch sehr gut, wie sich ihre weichen Lippen anfühlten. Seine Erinnerung war nichts im Vergleich zur Wirklichkeit. Sein Zorn ließ nach, so wie sich ein See in einer sommerlichen Mondnacht glättet. Voller Sehnsucht und Glückseligkeit drückte er sie an sich.
Er berührte ihr Gesicht sacht mit den Fingern, berührte seinen wahr gewordenen Traum. Ihre Finger wanderten über seine Wange, während sie ihn ansah und ebensowenig wie er irgendwelcher Worte bedurfte. Für einen Augenblick schien die Welt stillzustehen.
»Kahlan«, sagte er schließlich, »ich weiß, du bist böse auf mich, aber…«
»Nun, wenn ich mein Schwert nicht zerbrochen hätte und mir kein Messer hätte nehmen müssen, hättest du nicht so ein leichtes Spiel gehabt. Aber böse bin ich nicht.«
»Das habe ich nicht gemeint. Ich kann es erklären —«
»Ich weiß, was du gemeint hast, Richard. Ich bin nicht böse. Ich vertraue dir. Natürlich wirst du einiges erklären müssen, aber böse bin ich nicht. Du kannst mich nur mit einer Sache böse machen, wenn du dich nämlich für den Rest des Lebens noch einmal mehr als zehn Fuß von mir entfernst.«
Richard lächelte. »Dann wirst du also niemals böse auf mich sein.« Sein Lächeln erlosch, und sein Kopf sank mit dumpfem Geräusch auf den Boden zurück. »Oh, doch, das wirst du. Du weißt gar nicht, wieviel Ärger ich verursacht habe. Gütige Seelen. Ich habe…«
Sie küßte ihn erneut — zärtlich, sanft, voller Wärme. Er strich ihr mit der Hand über ihr langes, dichtes Haar.
Er hielt sie an den Schultern von sich fort. »Kahlan, wir müssen fort von hier. Jetzt gleich. Wir stecken in großen Schwierigkeiten. Ich stecke in großen Schwierigkeiten.«
Kahlan rollte von ihm herunter und setzte sich auf. »Ich weiß. Die Imperiale Ordnung rückt vor. Wir müssen uns beeilen.«
»Wo sind Zedd und Gratch? Gehen wir sie holen und verschwinden dann.«
Sie neigte den Kopf und sah ihn an. »Zedd und Gratch? Sind sie nicht bei dir?«
»Bei mir? Nein. Ich dachte, sie wären bei dir. Ich habe Gratch mit einem Brief losgeschickt. Gütige Seelen, erzähle mir nicht, du hast den Brief nicht bekommen. Kein Wunder, daß du nicht böse auf mich bist. Ich habe —«
»Den Brief habe ich bekommen. Zedd hat einen Zauber benutzt, um sich so leicht zu machen, daß Gratch ihn tragen konnte. Gratch hat Zedd schon vor Wochen nach Aydindril zurückgebracht.«
Richard fühlte eine heiße Woge von Übelkeit. Er mußte an die toten Mriswiths überall auf der Brustwehr der Burg denken.
»Ich habe sie nicht gesehen«, meinte er mit leiser Stimme.
»Vielleicht bist du vor ihrem Eintreffen aufgebrochen. Es muß dich Wochen gekostet haben, hierherzukommen.«
»Ich habe Aydindril gestern erst verlassen.«
»Was?« stieß sie leise mit aufgerissenen Augen hervor. »Wie ist das…«
»Die Sliph hat mich hergebracht. Sie hat mich in weniger als einem Tag hierhergebracht. Zumindest glaube ich, daß es weniger als einen Tag gedauert hat. Es können auch zwei gewesen sein. Ich hatte keine Möglichkeit, das festzustellen. Der Mond jedenfalls scheint sich nicht verändert zu haben…«
Richard merkte, wie unzusammenhängend er stammelte, und zwang sich, den Mund zu halten.
Kahlans Gesicht verschwamm ihm vor den Augen. Seine Stimme kam ihm hohl vor, so als spräche jemand anderes. »Oben auf der Burg fand ich eine Stelle, wo es zu einem Kampf gekommen war. Überall lagen tote Mriswiths. Ich weiß noch, wie ich dachte, daß es so aussähe, als hätte Gratch sie getötet. Das war am Rand einer hohen Mauer.
In einer Mauernische war Blut und an der Seitenwand der Burg bis unten hin. Ich habe meinen Finger durch das Blut gezogen. Mriswithblut stinkt. Ein Teil des Blutes stammte nicht von einem Mriswith.«
Kahlan nahm ihn tröstend in die Arme.
»Zedd und Gratch«, sagte er leise. »Das muß einer von ihnen gewesen sein.«
Ihre Arme drückten ihn fester. »Tut mir leid, Richard.«
Er schob ihre Arme fort, stand auf und reichte ihr die Hand. »Wir müssen fort von hier. Ich habe etwas Schreckliches getan, und Aydindril ist in Gefahr. Ich muß dorthin zurück.«
Richards Blick fiel auf den Rada’Han. »Was macht denn das an deinem Hals?«
»Ich wurde von Tobias Brogan gefangengenommen. Das ist eine lange Geschichte.«
Sie hatte noch nicht ausgeredet, da hatte er die Finger bereits um den Ring geschlossen. Ohne nachzudenken, nur durch das Verlangen und seine rasende Wut, spürte er, wie die Kraft in seiner ruhigen Mitte anschwoll und durch seinen Arm strömte.
Der Halsring zerbröselte in seiner Hand wie von der Sonne ausgetrocknete Erde.
Kahlan betastete ihren Hals. Sie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, der einem Wimmern nahekam.
»Sie ist wieder da«, sagte sie leise, sich an ihn lehnend, und legte eine Hand auf ihr Brustbein. »Ich spüre meine Konfessorenkraft. Ich kann sie wieder berühren.«
Er drückte sie mit einem Arm. »Wir sollten schnell von hier verschwinden.«
»Ich habe Ahern gerade befreit. Dabei habe ich auch mein Schwert zerbrochen — auf einem Soldaten des Lebensborns. Er ist böse hingeschlagen«, fügte sie als Erklärung hinzu, als sie sein Stirnrunzeln bemerkte. »Ich habe Ahern gesagt, er soll mit den Schwestern nach Norden aufbrechen.«
»Schwester? Welche Schwestern?«
»Ich habe Schwester Verna gefunden. Sie sucht die Schwestern des Lichts, die jungen Männer, Novizinnen und Wachposten zusammen und flieht mit ihnen. Ich wollte mich mit ihnen treffen. Adie habe ich bei ihnen zurückgelassen. Beeil dich, dann können wir sie vielleicht noch abfangen, bevor sie aufbrechen. Sie sind nicht weit.«
Kevin klappte der Mund auf, als er hinter der Mauer hervortrat, um sich den beiden in den Weg zu stellen. »Richard!« sagte er leise. »Seid Ihr es wirklich?«
Richard lächelte. »Tut mir leid, Kevin, ich habe keine Pralinen dabei.«
Kevin schüttelte Richard die Hand. »Ich bin Euch ergeben, Richard. Fast alle der Wachposten sind Euch ergeben.«
Richard setzte im Dunkeln eine mißtrauische Miene auf. »Ich … fühle mich geehrt, Kevin.«
Kevin drehte sich um und rief in deutlich vernehmbarem Flüsterton. »Es ist Richard!«
Eine kleine Menschenmenge scharte sich um die beiden, nachdem er und Kahlan durch das Tor hinter die Mauer geschlüpft waren. Richard erblickte Verna im flackernden Schein der fernen Feuer unten bei den Hafenanlagen und schlang die Arme um sie.
»Verna, ich freue mich so, Euch wiederzusehen!« Er hielt sie mit gestreckten Armen von sich. »Aber ich muß Euch sagen, Ihr habt ein Bad nötig!«
Verna lachte. Ein wunderbarer Laut, den zu hören gut tat. Warren drückte sich an ihr vorbei und schloß Richard in die Arme.
Richard drückte Verna den Ring der Prälatin in die Hand und schloß ihre Finger um ihn. »Ich habe gehört, Ann sei gestorben. Das tut mir leid. Dies ist ihr Ring. Ich glaube, Ihr wißt mehr damit anzufangen als ich.«
Verna hielt sich die Hand näher vors Gesicht und starrte den Ring an. »Richard … wo hast du ihn her?«
»Ich habe Schwester Ulicia dazu gebracht, ihn mir zu geben. Sie hatte kein Recht, ihn zu tragen.«
»Du hast…«
»Verna wurde zur Prälatin ernannt, Richard«, meinte Warren und legte ihr zur Bekräftigung die Hand auf die Schulter.