»Es ist der einzige Ausgang, aber ich kann ihn öffnen«, meinte Richard. »Die Tür funktioniert in Verbindung mit einem Schild. Wenn ich meine Hand auf die Metallplatte an der Wand lege, wird sie sich öffnen.«
Sie betrachtete sein Gesicht aus ihren grünen Augen. »Bist du sicher, Richard?«
»So ziemlich. Bis jetzt hat es immer funktioniert.«
»Nach allem, was wir durchgemacht haben, möchte ich, daß wir jetzt, wo wir wieder zusammen sind, beide lebend hier rauskommen, Richard.«
»Das werden wir. Wir müssen. Es gibt Menschen, die auf unsere Hilfe angewiesen sind.«
»In Aydindril?«
Er nickte und versuchte, Worte für das zu finden, was er ihr hatte sagen wollen, Worte, mit denen er die Distanz überbrücken konnte, die zwischen ihnen, wie er befürchtete, entstanden war. Die er, wie er fürchtete, selbst erzeugt hatte.
»Kahlan, was ich getan habe, habe ich nicht deshalb getan, weil ich etwas für mich wollte — das schwöre ich. Ich weiß, wie sehr ich dir weh getan habe. Aber das war das einzige, was mir einfiel, bevor alles zu spät gewesen wäre. Ich habe das nur getan, weil ich ganz aufrichtig glaube, es ist unsere einzige Chance, zu verhindern, daß die Midlands an die Imperiale Ordnung fallen. Ich weiß, das Ziel der Konfessoren ist es, Menschen zu beschützen, nicht bloß, über sie zu herrschen. Ich war in dem Glauben, du würdest erkennen, daß dies auch mein Ziel ist, auch wenn ich nicht so handele, wie du es dir wünschst. Ich wollte die Menschen beschützen und sie nicht beherrschen. Aber was ich dir angetan habe, hat mich tief betrübt.«
Eine ganze Weile blieb es in dem Raum aus Stein totenstill. »Richard, als ich deinen Brief zum ersten Mal las, war ich am Boden zerstört. Eine heilige Pflicht war mir anvertraut worden, und ich wollte nicht als diejenige Mutter Konfessor in Erinnerung bleiben, die die Midlands aufgegeben hat. Auf dem Weg hierher, mit dem Ring um meinen Hals, hatte ich eine Menge Zeit nachzudenken.
Die Schwestern haben heute abend etwas sehr Nobles getan. Sie haben ein dreitausend Jahre altes Vermächtnis einem höheren Zweck geopfert: den Menschen zu helfen. Vielleicht bin ich nicht glücklich über das, was du getan hast, und du wirst noch einiges erklären müssen, aber ich werde dir mit Liebe im Herzen zuhören, nicht nur deinetwegen, sondern auch wegen der Menschen der Midlands, die auf uns angewiesen sind.
Während jener Wochen, in denen wir hierher gereist sind, habe ich mir überlegt, daß wir in der Zukunft leben müssen, nicht in der Vergangenheit. Und die Zukunft soll ein Ort sein, wo Frieden und Sicherheit herrschen. Das ist wichtiger als alles andere. Ich kenne dich, und ich weiß, daß du nicht aus eigennützigen Motiven gehandelt hast.«
Richard strich ihr mit dem Handrücken über die Wange. »Ich bin stolz auf dich, Mutter Konfessor.«
Sie küßte seine Finger. »Später, wenn niemand mehr versucht, uns zu töten, und wir die nötige Zeit haben, werde ich meine Arme verschränken und mit dem Fuß wippen, wie es von der Mutter Konfessor erwartet wird, und dann kannst du stotternd und stammelnd versuchen, dich zu rechtfertigen. Aber können wir jetzt erst einmal fort von hier?«
Jetzt, da ihm ein wenig von seiner Sorge genommen war, machte sich Richard lächelnd wieder auf den Weg und kroch vorbei an den Reihen mit Bücherregalen. Die dünne Schicht des leuchtenden Dunstes über ihren Köpfen schien sich über den gesamten Raum zu erstrecken. Richard hätte zu gern gewußt, was das war.
Kahlan rutschte hastig näher an ihn heran. In jedem Zwischengang, den sie passierten, hielt Richard nach Schwierigkeiten Ausschau und machte einen Umweg, sobald er ein unerklärliches Gefühl der Gefahr verspürte. Er wußte nicht, ob dieses Gefühl der Gefahr auf eine tatsächliche Wahrnehmung zurückging oder nicht, wagte jedoch nicht, es zu ignorieren. Er lernte, seinen Instinkten zu trauen und sich weniger Gedanken um handfeste Beweise zu machen.
Als sie die kleine Kammer hinten betraten, ließ er den Blick suchend über die Bücher im Regal wandern und entdeckte das gesuchte Buch. Das Problem war, daß es sich oberhalb der Dunstschicht befand. So unvernünftig, hindurchzugreifen, war er nicht. Er wußte nicht genau, was dieser Dunst aus Licht war, aber es handelte sich um irgendeine Art von Magie. Und er hatte gesehen, was sie mit den Soldaten angestellt hatte.
Mit Kahlans Hilfe versetzte er das Regal in Schwingungen, bis es umstürzte. Als es gegen den Tisch kippte, fielen die Bücher heraus, das gesuchte landete jedoch oben auf dem Tisch. Die Schicht aus leuchtendem Dunst schwebte nur Zentimeter über dem Buch. Richard tastete mit der Hand vorsichtig über die Tischplatte und spürte das Kribbeln der Magie, die gleich oberhalb seines Arms dahinzog. Schließlich bekam er das Buch mit den Fingern zu fassen und zog es über den Rand.
»Richard, irgend etwas stimmt nicht.«
Er nahm das Buch in die Hand und blätterte es rasch durch, um sich zu vergewissern, daß es das richtige war. Er konnte zwar mittlerweile die Worte auf Hoch-D’Haran lesen, und einige von ihnen erkannte er auch wieder, hatte aber keine Zeit, sich dem Inhalt des Buches zu widmen.
»Was? Was stimmt nicht?«
»Sieh den Nebel über uns. Als wir hereinkamen, war er brusthoch. Bestimmt war er es, der die Männer niedergestreckt hat. Sieh ihn dir jetzt an.«
Der Dunst hatte sich bis dicht über den Tisch gesenkt. Er klemmte das Buch in seinen Gürtel. »Mir nach, und beeil dich.«
Hastig krabbelte Richard aus dem Raum hinaus, dicht gefolgt von Kahlan. Er wußte nicht, was passieren würde, falls die leuchtende Magie sie erreichte, es bereitete ihm jedoch keine große Mühe, sich das vorzustellen.
Kahlan stieß einen Schrei aus. Richard drehte sich um und sah, daß sie ausgestreckt auf dem Boden lag.
»Was ist?«
Sie versuchte, sich mit den Ellenbogen weiterzuziehen, kam aber nicht voran. »Irgend etwas hält mich am Knöchel fest.«
Richard krabbelte zu ihr zurück und packte sie am Handgelenk.
»Halte dich an meinem Knöchel fest, dann laß uns machen, daß wir hier rauskommen.«
Ihr stockte der Atem. »Sieh doch, Richard!«
Als er sie berührte, hatte das Leuchten sich weiter über ihren Köpfen gesenkt, so als hätte die Magie die Berührung gespürt, ihr Opfer registriert und senkte sich nun herab, um diesem nachzusetzen. Ihnen blieb kaum noch Platz zum Kriechen. Richard eilte mit Kahlan, die sich an seinen Knöchel klammerte, zur Tür.
Bevor sie die Tür erreichten, senkte sich der Lichtpegel über ihren Köpfen so weit herab, daß Richard die Hitze auf seinem Rücken spüren konnte.
»Runter!«
Sie ließ sich auf sein Kommando flach auf den Bauch fallen, dann wanden sie sich auf dem Bauch kriechend weiter. Als sie endlich an der Tür waren, wälzte Richard sich auf den Rücken. Der Dunst schwebte Zentimeter über ihnen.
Kahlan krallte sich in sein Hemd und zog sich näher an ihn heran. »Was sollen wir jetzt tun, Richard?«
Richard starrte hinauf zu der Metallplatte. Sie befand sich oberhalb der leuchtenden Schicht, die sich von einer Wand zur anderen erstreckte.
»Wir müssen hier raus, oder dieses Etwas bringt uns um, genau wie die Soldaten. Ich muß aufstehen.«
»Bist du verrückt? Das kannst du nicht machen!«
»Ich habe das Mriswithcape. Wenn ich es benutze, findet mich das Licht vielleicht nicht.«
Kahlan warf ihren Arm über seine Brust. »Nein!«
»Ich bin in jedem Fall tot, wenn ich es nicht versuche.«
»Richard, nein!«
»Hast du eine bessere Idee? Die Zeit läuft uns davon.«
Wütend knurrend streckte sie den Arm in Richtung Tür. Blaue Blitze schossen explosionsartig aus ihrer Faust. Strahlen blauen Lichts durchzuckten knisternd die Umgebung der Tür.
Die dünne Schicht dunstartigen Lichts schreckte zurück, als sei sie lebendig und die Berührung durch Kahlans Magie schmerzhaft. Die Tür jedoch bewegte sich nicht.
Während sich das Licht zurückzog und in der Mitte des Raumes sammelte, sprang Richard auf und klatschte mit der Hand auf die Platte. Ächzend setzte sich die Tür in Bewegung. Kahlans knisternde blaue Lichtblitze erloschen, als die Tür sich Zentimeter für Zentimeter öffnete. Das Leuchten glättete sich und begann, sich wieder auszubreiten.