»Du hast es geschafft, Richard«, meinte Kahlan schließlich.
»Wir haben es geschafft«, antwortete er, während er auf das leblose, schwarze Loch inmitten der Lichter aus der Stadt hinabstarrte.
»Glücklicherweise hast du dieses Buch mitgenommen. Ich will wissen, was sonst noch über dich drinsteht.« Ein Lächeln spielte über ihre Lippen. »Ich denke, Jagang wird jetzt wohl nicht mehr dort wohnen.«
»Das denke ich auch. Hast du alles heil überstanden?«
»Mir geht es gut«, sagte sie. »Aber ich bin froh, daß es vorüber ist.«
»Ich fürchte, es hat gerade erst begonnen. Komm, die Sliph wird uns nach Aydindril zurückbringen.«
»Du hast mir immer noch nicht erzählt, was diese Sliph ist.«
»Du würdest mir sowieso nicht glauben. Also wirst du sie dir einfach selber ansehen müssen.«
»Ziemlich beeindruckend, Zauberer Zorander«, meinte Ann und wandte sich ab.
Zedd tat es mit einem Brummen ab. »Das war nicht mein Werk.«
Ann wischte sich die Tränen von den Wangen, froh über die Dunkelheit, weil er sie dadurch nicht sehen konnte, hatte aber zu kämpfen, damit ihre Stimme ihre Gefühle nicht verriet. »Du hast vielleicht nicht die Fackel draufgeworfen, aber du hast dafür gesorgt, daß der Scheiterhaufen errichtet wurde. Ziemlich beeindruckend. Ich habe schon einmal gesehen, wie ein Lichtnetz einen Raum in Stücke reißt, aber das hier…«
Er legte ihr sacht die Hand auf die Schulter. »Tut mir leid, Ann.«
»Nun, was sein muß, muß sein.«
Zedd drückte ihre Schulter, als wollte er sagen, er verstehe. »Ich frage mich, wer die Fackel draufgeworfen hat.«
»Die Schwestern der Finsternis können Subtraktive Magie benutzen. Eine von ihnen muß das Lichtnetz versehentlich entzündet haben.«
Zedd spähte im Dunkeln hinüber zu ihr. »Versehentlich?« Er zog seine Hand zurück, gab aber nur ein zweifelndes Schnauben von sich.
»Das muß es gewesen sein«, meinte sie seufzend.
»Das war ein wenig mehr als ein Versehen, würde ich sagen.« Sie glaubte eine Spur von Stolz in seinem versonnenen Gemurmel zu erkennen.
»Und was?«
Er überging ihre Frage. »Wir sollten zusehen, daß wir Nathan finden.«
»Ja«, sagte Ann. Sie drückte Hollys Hand. »Hier haben wir uns von ihm getrennt. Er muß hier irgendwo sein.«
Ann blickte zu den fernen mondbeschienenen Hügeln hinüber. Sie sah, wie eine Schar von Menschen die Nordstraße entlangzog: eine Kutsche und eine Gruppe von Leuten, größtenteils zu Pferd. Es waren zu viele, um sie nicht zu spüren. Es waren ihre Schwestern des Lichts. Dem Schöpfer sei Dank, die Flucht war ihnen schließlich doch gelungen.
»Ich dachte, du könntest ihn über diesen infernalischen Halsring finden.«
Ann sah sich im Gebüsch um. »Das kann ich, und er verrät mir, daß er hier ganz in der Nähe sein muß. Vielleicht wurde er durch den Sturm verletzt. Da der Bann zerstört wurde, muß er hier gewesen und seinen Teil bei der Zerstörung des äußeren Schildes übernommen haben. Es kann also sein, daß er verletzt wurde. Hilf mir suchen.«
Holly suchte ebenfalls mit, blieb aber in der Nähe. Zedd schlenderte zu einer offenen, flachen Stelle. Geleitet von der Art und Weise, wie Äste und Gestrüpp abgeknickt waren, suchte er in der Nähe des Knotenpunktes, dort, wo die Kraft sich verdichtet haben mußte. Zedd bückte sich, um zwischen den flachen Stellen im Gestein nachzusehen, und rief ihr etwas zu.
Ann ergriff Hollys Hand und lief hinüber zu dem alten Zauberer. »Was ist?«
Er zeigte auf etwas. Aufrecht, so daß sie es nicht übersehen konnten, eingeklemmt in die Spalte eines runden Granitbrockens, steckte ein runder Gegenstand. Ann zerrte ihn heraus.
Sie starrte ungläubig. »Das ist Nathans Rada’Han.«
Holly stockte der Atem. »Oh, Ann, vielleicht wurde er getötet. Vielleicht wurde Nathan durch die Magie getötet.«
Ann betrachtete ihn von allen Seiten. Er war fest verschlossen. »Nein, Holly.« Sie strich dem Mädchen tröstend durchs Haar. »Er wurde nicht getötet, sonst wären hier irgendwelche Spuren von ihm. Aber gütiger Schöpfer, was bedeutet das?«
»Was das bedeutet?« seufzte Zedd. »Nun, er ist weg. So, und jetzt nimm meinen Ring ab.«
Anns Hand, die den Rada’Han hielt, senkte sich, und sie blickte hinaus in die Nacht. »Wir müssen ihn finden.«
»Nimm mir den Halsring ab, wie du es versprochen hast, und dann kannst du ihm hinterherrennen. Ohne mich, wie ich hinzufügen möchte.«
Ann spürte, wie ihr Zorn wuchs. »Du wirst mich begleiten.«
»Dich begleiten? Verdammt, ich werde nichts dergleichen tun.«
»Du wirst mich begleiten.«
»Du hast die Absicht, dein Wort zu brechen!«
»Nein, ich habe die Absicht, es zu halten, sobald wir diesen lästigen Propheten gefunden haben. Du hast ja keine Ahnung, welche Komplikationen dieser Mann anrichten kann.«
»Wozu brauchst du dann mich?«
Sie drohte ihm mit dem Finger. »Du wirst mich begleiten, ob es dir gefällt oder nicht, und damit Schluß. Wenn wir ihn finden, nehme ich dir den Halsring ab. Vorher nicht.«
Er warf die Fäuste, vor Wut stammelnd, in die Höhe, während Ann loszog, um die Pferde zu holen. Ihr Blick wanderte zu den mondbeschienenen Hügeln in der Ferne. Sie sah die Schar von Schwestern, die nach Norden zog. Bei den Pferden angekommen, ging Ann vor Holly in die Hocke.
»Holly, ich habe als ersten Auftrag an dich als Novizin bei den Schwestern des Lichts eine sehr wichtige, dringende Aufgabe.«
Holly nickte ernst. »Was denn, Ann?«
»Es ist unbedingt erforderlich, daß Zedd und ich Nathan suchen gehen. Ich hoffe, daß es nicht lange dauert, aber wir müssen uns beeilen, bevor es ihm gelingt zu entkommen.«
»Bevor es ihm gelingt zu entkommen!« brüllte Zedd hinter ihr. »Er hatte Stunden Zeit dazu. Er hat einen Riesenvorsprung. Kein Mensch weiß, wo der Mann hingegangen ist. Er ist bereits ›entkommen‹.«
Ann warf einen Blick über ihre Schulter. »Wir müssen ihn finden.« Sie drehte sich wieder zu Holly um. »Wir müssen uns beeilen, und ich habe keine Zeit, mich mit den Schwestern des Lichts dort drüben auf dem Hügel zu treffen. Du mußt für mich zu ihnen gehen und Schwester Verna alles das erzählen, was hier vorgefallen ist.«
»Was soll ich ihr denn erzählen?«
»Was immer du gesehen und gehört hast, solange du bei uns warst. Sag ihr die Wahrheit und erfinde nichts dazu. Es ist wichtig, daß sie Bescheid weiß. Erzähle ihr, daß Zedd und ich Nathan verfolgen und uns ihnen, sobald wir können, anschließen werden. Unsere dringlichste Aufgabe jedoch ist es, den Propheten zu finden. Sag ihr, daß sie nach Norden ziehen soll, wie sie es bereits tut, damit sie der Imperialen Ordnung nicht in die Hände fallen.«
»Das kann ich tun.«
»Es ist nicht weit, und der Weg dort drüben wird dich zu der Straße führen, die sie entlang reiten, du wirst sie also nicht verfehlen. Dein Pferd kennt und mag dich, es wird gut auf dich aufpassen. In knapp ein oder zwei Stunden wirst du dort sein, dann werden sich alle Schwestern um dich kümmern und dich lieben. Schwester Verna wird wissen, was zu tun ist.«
»Ich werde dich vermissen, bis ihr uns eingeholt habt«, sagte Holly mit tränenerstickter Stimme.
Ann umarmte das kleine Mädchen. »Oh, Kind, ich werde dich ebenfalls sehr vermissen. Ich wünschte, ich könnte dich mitnehmen, du warst so eine große Hilfe, aber wir müssen uns beeilen, damit wir Nathan einholen. Die Schwestern, vor allem Prälatin Verna, müssen wissen, was geschehen ist. Das ist wichtig, deshalb muß ich dich schicken.«
Holly unterdrückte ihre Tränen tapfer schniefend. »Ich verstehe. Du kannst auf mich zählen, Prälatin.«
Ann half dem Mädchen in den Sattel hinauf und küßte die Hand, in die sie die Zügel drückte. Ann winkte ihr zum Abschied nach, als Holly lostrabte, den Schwestern des Lichts hinterher.