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Die Muskeln unter der rosigen Haut an Bauch und Brust des kräftig gebauten Tieres schwollen wellenartig an. Es stand reglos da, angespannt, die Krallen an der Seite bereit, die haarigen Ohren aufgestellt und gerichtet auf Dinge, die man nicht sah. Selbst wenn er hungrig auf Beutefang ging, zeigte sich Gratch niemals so wild. Richard spürte, wie sich ihm die Nackenhaare sträubten.

Gerne hätte er gewußt, wann oder wo er Gratch schon einmal so knurren gehört hatte. Schließlich schob er seine angenehmen Gedanken an Kahlan beiseite und konzentrierte sich, während seine Anspannung immer weiter stieg.

Fräulein Sanderholt stand neben ihm und blickte nervös von Gratch zu der Stelle, auf die er starrte. Obwohl sie dürr war und zerbrechlich wirkte, war sie alles andere als eine ängstliche Frau. Dennoch — wären ihre Hände nicht bandagiert gewesen, sie hätte sie gerungen, dachte er. So sah sie jedenfalls aus.

Richard kam sich plötzlich nackt vor auf der offenen, weit geschwungenen Treppe. Mit scharfen, grauen Augen beobachtete er die grauen Schatten und verborgenen Stellen zwischen den Säulen, den Mauern, den verschiedenen eleganten Belvederes, die verstreut im unteren Teil des Palastgeländes standen. Ein gelegentlicher Windhauch wirbelte glitzernden Schnee auf, doch sonst war alles still. Er schaute so konzentriert, daß seine Augen schmerzten, konnte aber nichts Lebendiges, keine Anzeichen für eine Bedrohung bemerken.

Obwohl er nichts sah, spürte Richard ein wachsendes Gefühl der Gefahr — es war nicht einfach eine Reaktion auf Gratchs Aufgebrachtheit, sondern es entstammte seinem Innern, seinem Han, den Tiefen seiner Brust, strömte in die Fasern seiner Muskeln und versetzte sie in angespannte Bereitschaft. Die Magie in seinem Innern war zu einem zusätzlichen Sinn geworden, der ihn oft gerade dann warnte, wenn seine anderen Sinne versagten. Darum mußte es sich auch jetzt handeln.

Tief in seiner Magengrube nagte das Bedürfnis fortzurennen, bevor es zu spät war. Er mußte zu Kahlan, er wollte nicht in irgendwelche Schwierigkeiten verwickelt werden. Er konnte sich ein Pferd suchen und einfach losreiten. Besser noch, er konnte jetzt sofort davonrennen und sich später ein Pferd besorgen.

Gratch faltete die Flügel auseinander und nahm eine drohende, hockende Haltung ein, bereit, in die Luft zu schießen. Er zog die Lippen weiter zurück, Dampf entwich zischend zwischen seinen Reißzähnen, während sein Knurren tiefer wurde und die Luft zum Schwingen brachte.

Richard bekam eine Gänsehaut auf den Armen. Sein Atem ging schneller, als das greifbare Gefühl der Gefahr sich zu einer konkreten Bedrohung zuspitzte.

»Fräulein Sanderholt«, sagte er, während sein suchender Blick von einem langen Schatten zum nächsten sprang, »warum geht Ihr nicht hinein? Ich komme nach und unterhalte mich mit Euch, sobald ich —«

Die Worte blieben ihm in der Kehle stecken, als er eine knappe Bewegung unten zwischen den weißen Säulen bemerkte — ein Flirren in der Luft, wie Hitzeschlieren über einem Feuer. Er starrte, versuchte zu entscheiden, ob er es tatsächlich gesehen oder sich nur eingebildet hatte. Hektisch versuchte er zu überlegen, was es sein könnte, wenn er denn überhaupt etwas gesehen hatte. Vielleicht war es ein wenig Schnee gewesen, von einem Windstoß hochgewirbelt. Er kniff konzentriert die Augen zusammen, konnte nichts erkennen. Wahrscheinlich war es nichts weiter als der Schnee im Wind, versuchte er sich zu beruhigen.

Plötzlich stieg die unleugbare Erkenntnis in ihm hoch wie kaltes, schwarzes Wasser durch den Riß in der Eisschicht eines Flusses — Richard war eingefallen, wann er Gratch so hatte knurren hören. Die feinen Härchen in seinem Nacken standen ab wie Nadeln aus Eis auf seiner Haut. Seine Hand tastete nach dem Griff seines Schwertes.

»Geht«, drängte er flüsternd Fräulein Sanderholt. »Sofort.«

Ohne Zögern rannte sie die Stufen hoch und machte sich auf den Weg zum weit entfernten Kücheneingang hinter ihm, als das Sirren von Stahl in der frischen Morgenluft verkündete, daß das Schwert der Wahrheit gezogen worden war.

Wie war es möglich, daß sie hier auftauchten? Es war nicht möglich, und doch war er sicher — er spürte sie.

»Tanze mit mir, Tod, ich bin bereit«, raunte Richard, bereits im Trancezustand des Zornes der Magie, die aus dem Schwert der Wahrheit in ihn strömte. Die Worte waren nicht die seinen, sondern stammten aus der Magie des Schwertes, aus den Seelen all derer, die das Schwert vor ihm benutzt hatten. Mit den Worten begriff er instinktiv ihre Bedeutung: es war ein Morgengebet, das besagte, daß man an diesem Tag sterben konnte und man sich daher bemühen sollte, sein Bestes zu geben, solange man noch lebte.

Aus dem Echo anderer Stimmen im Innern wuchs die Erkenntnis, daß dieselben Worte auch noch eine ganz andere Bedeutung hatten: sie waren ein Schlachtruf.

Mit lautem Brüllen schoß Gratch hoch — seine Flügel trugen ihn nach nur einem einzigen, weiten Satz in die Luft. Schnee wirbelte auf, von den mächtigen Flügelschlägen bewegt, die auch Richards Mriswithcape aufblähten.

Richard spürte ihre Gegenwart, lange bevor er sah, wie sie in der winterlichen Luft Gestalt annahmen. Er konnte sie mit seinem Geist erkennen, obwohl sie für seine Augen unsichtbar waren.

Unter wütendem Geheul stieß Gratch blitzschnell zum Fuß der Treppe hinab. Unweit der Säulen, kurz bevor der Gar sie erreichte, begannen sie sichtbar zu werden — Schuppen, Krallen und Capes, weiß vor dem weißem Hintergrund des Schnees. Weiß, so rein wie das Gebet eines Kindes.

Mriswiths.

3

Die Mriswiths reagierten auf die Bedrohung, nahmen Gestalt an und stürzten sich auf den Gar. Die Magie des Schwertes, der Zorn, überschwemmte Richard in seiner ganzen Wildheit, als er sah, wie sein Freund angegriffen wurde. Er sprang die Stufen hinab, hinein in den Kampf.

Geheul schlug ihm entgegen, da sich der Gar nun auf die Mriswiths stürzte. Jetzt, in der Hitze des Kampfes, waren sie zu erkennen. Vor dem Weiß der Steine und des Schnees waren sie immer noch schwer auszumachen, Richard konnte sie dennoch gut genug sehen. Es waren an die zehn, soweit er dies in all dem Durcheinander sagen konnte. Unter ihren Capes trugen sie schlichte Felle, die so weiß waren wie alles übrige an ihnen. Richard hatte sie vorher schwarz gesehen, doch er wußte, daß die Mriswiths die Farbe ihrer Umgebung annehmen konnten. Feste glatte Haut spannte sich über ihre Köpfe bis zum Hals hinunter, wo sie Falten zu werfen begann und in fest anliegende, ineinandergreifende Schuppen überging. Lippenlose Mäuler wurden aufgerissen, so daß man kleine, nadelspitze Zähne sah. Mit den Fäusten ihrer mit Schwimmhäuten versehenen Klauen umklammerten sie die Hefte dreiklingiger Messer. Kleine, runde, glänzende Augen fixierten voller Abscheu den rasenden Gar.

Geschmeidig umkreisten sie die dunkle Gestalt in ihrer Mitte. Ihre weißen Capes bauschten sich hinter ihnen auf, als sie über den Schnee hinwegglitten. Einige gerieten durch den Angriff ins Trudeln oder taumelten außer Reichweite und entkamen so den mächtigen Armen des Gar. Andere bekam der Gar mit den Krallen zu fassen, riß sie auf und verspritzte dabei Mengen von Blut auf dem Schnee.

Sie waren so sehr mit Gratch beschäftigt, daß Richard ihnen in den Rücken fallen konnte, ohne auf Widerstand zu stoßen. Nie zuvor hatte er gegen mehr als einen Mriswith gleichzeitig gekämpft, und bereits das war eine ernstzunehmende Prüfung gewesen, doch jetzt, während der Zorn der Magie durch seinen Körper flutete, hatte er nur noch eins im Sinn: Gratch zu helfen. Richard streckte zwei von ihnen nieder, bevor sie dazu kamen, sich der neuen Bedrohung zuzuwenden. Schrilles Todesgeheul zerriß die Morgenluft. Nadelspitz und schmerzhaft klang es ihm in den Ohren.

Richard spürte andere hinter sich, zog sich Richtung Palast zurück. Er wirbelte gerade noch rechtzeitig herum und sah, wie plötzlich drei weitere auftauchten. Sie stürzten herbei, um sich in den Kampf zu werfen — nur Fräulein Sanderholt war ihnen noch im Weg. Diese schrie auf, als sie merkte, daß die näher kommenden Bestien ihr den Fluchtweg abschnitten. Sie machte kehrt und lief vor ihnen davon. Doch das Rennen würde sie verlieren, wie Richard erkannte — und er war zu weit entfernt, um rechtzeitig zu ihr zu gelangen.