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»Würden nicht die anderen Barsoomier ewig leben, wenn es nicht die Mär von der freiwilligen Pilgerfahrt gäbe, die sie in ihrem tausendsten Lebensjahr oder schon vorher an den Busen des Flusses Iss zieht?« fragte ich ihn.

»Daran bestehen meines Erachtens keine Zweifel. Ich denke, sie gehören derselben Rasse an wie die Erstgeborenen, und ich hoffe, noch lange genug zu leben, um im Kampf für sie jene Sünden wieder gutzumachen, die ich an ihnen als unwissender Anhänger einer seit Generationen weitergegebenen Irrlehre begangen habe.«

Als er verstummte, drang ein unheimlicher Schrei über das Meer Omean zu uns. Ich hatte ihn schon am vorigen Abend zur selben Zeit gehört und wußte, daß er das Ende des Tages verkündete, zu dem die Menschen von Omean ihre Seidentücher an den Decks der Kriegsschiffe und Kreuzer ausbreiteten und in den traumlosen Schlaf vom Mars fielen.

Unser Wachposten trat ein, um uns ein letztes Mal zu kontrollieren, bevor auf der Welt oben ein neuer Tag anbrach. Schnell war seine Pflicht erfüllt, und die schweren Gefängnistüren schlossen sich wieder hinter ihm – wir waren allein in der Nacht.

Ich gab ihm Zeit, zu seinem Quartier zurückzukehren, denn das würde er nach Xodars Ansicht aller Wahrscheinlichkeit nach tun, sprang zum Fenstergitter hoch und blickte auf das nahegelegene Wasser. Ein Stück vor der Insel, vielleicht eine Viertelmeile vom Strand entfernt, lag ein riesiges Kriegsschiff. Zwischen ihm und dem Ufer ankerten noch viele kleine Kreuzer und einsitzige Aufklärer. Nur auf dem Kriegsschiff befand sich ein Wachposten. Ich konnte ihn deutlich zwischen den Aufbauten des Schiffes erkennen, und als ich ihn beobachtete, sah ich, wie er seine Bettücher auf dem winzigen Flecken seiner Stellung ausbreitete und sich bald darauf auf seinem Lager ausstreckte. Tatsächlich nahm man es auf Omean mit der Disziplin nicht so genau. Doch darüber muß man sich nicht wundern, denn niemand auf Barsoom wußte von der Existenz einer solchen Flotte, von den Erstgeborenen oder dem Meer Omean. Warum sollten sie dann eine Wache aufstellen?

Bald ließ ich mich wieder zu Xodar hinunter und schilderte ihm, welche unterschiedlichen Fahrzeuge ich gesehen hatte.

»Eines davon ist mein persönliches Eigentum. Es kann fünf Mann tragen und ist eines der schnellsten Flugboote, die es so gibt. Könnten wir uns an sein Deck begeben, so würde man sich unseres Wettrennes um die Freiheit zumindest noch lange entsinnen.« Dann beschrieb er mir die Ausstattung, die Maschinen und alles, dem das Fahrzeug seine Eigenschaften zu verdanken hatte.

Bei seiner Beschreibung erkannte ich eine Schaltweise, die mich Kantos Kan gelehrt hatte, als wir unter falschem Namen in der Marine und Luftwaffe von Zodanga unter Sab Than, seinem Prinzen, gedient hatten. Mit einemmal war mir klar, daß die Erstgeborenen dieses Schiff aus Helium gestohlen hatten, denn nur deren Fahrzeuge werden auf diese Weise in Gang gesetzt. Ebenso wußte ich, daß Xodar die Wahrheit sagte, als er die Geschwindigkeit seines kleinen Fliegers pries, denn keines der Flugzeuge, die die dünnen Lüfte vom Mars durchqueren, kann auch nur annähernd die Geschwindigkeit der Maschinen von Helium erreichen.

Wir beschlossen, mindestens eine Stunde zu warten, bis alle Nachzügler ihre seidenen Nachtlager aufgesucht hatten. In der Zwischenzeit würde ich den roten Jungen in unsere Zelle holen, um dann zügig in die Freiheit aufbrechen zu können.

Ich sprang nach oben und zog mich auf die Trennwand. Sie war oben glatt und ungefähr einen Fuß breit. Darauf lief ich entlang, bis ich die Zelle des Jungen erreichte. Ich sah ihn auf seiner Bank sitzen, er hatte sich zurückgelehnt und blickte nach oben in die schimmernde Kuppel über Omean. Als er mich auf der Trennwand über sich entlangbalancieren sah, riß er vor Erstaunen die Augen auf. Dann breitete sich ein verstehendes und anerkennendes Grinsen über seinem Gesicht aus.

Als ich mich bückte, um zu ihm auf den Boden zu springen, hieß er mich warten, trat an mich heran und flüsterte: »Reich mir deine Hand, ich komme fast allein auf diese Wand. Ich habe es oft versucht, und jeden Tag springe ich ein bißchen höher. Eines Tages sollte es mir gelingen.«

Ich legte mich auf den Bauch und hielt ihm meine Hand entgegen. Mit einem kleinen Anlauf von der Mitte der Zelle sprang er, so daß ich seine ausgestreckte Hand fassen konnte. Dann zog ich ihn neben mich auf die Wand.

»Du bist der erste Springer, den ich bei den roten Menschen auf Barsoom kennenlerne«, sagte ich.

Er lächelte. »Daran ist nicht Außergewöhnliches. Wenn wir mehr Zeit haben, erzähle ich dir, wie es dazu kommt.«

Gemeinsam kehrten wir zu Xodars Zelle zurück, ließen uns zu ihm hinab, um uns zu unterhalten, bis die Stunde verstrichen war.

Dort schmiedeten wir die Pläne für unsere unmittelbare Zukunft und gelobten uns durch einen feierlichen Eid, im Kampf unsere Leben füreinander zu geben, welche Feinde uns auch immer gegenübertraten, denn ich wußte, daß, auch wenn wir den Erstgeborenen entkommen sollten, wir noch eine ganze Welt gegen uns hatten – die Macht religiösen Aberglaubens kennt keine Grenzen.

Es wurde beschlossen, daß ich das Fahrzeug steuern würde, wenn wir erst einmal an Bord waren, und daß wir, sollte es uns gelingen, in die Außenwelt zu gelangen, ohne Halt bis Helium weiterfliegen würden.

»Warum Helium?« fragte der rote Junge.

»Ich bin ein Prinz von Helium«, entgegnete ich.

Er blickte mich eigentümlich an, sagte jedoch nichts weiter dazu. Damals fragte ich mich, was sein Gesichtsausdruck zu bedeuten hatte, doch angesichts dringenderer Dinge vergaß ich es bald und hatte auch später keine Gelegenheit dazu, darüber nachzudenken.

»Kommt«, sagte ich schließlich. »Jetzt ist der günstigste Zeitpunkt gekommen.«

Im nächsten Augenblick hockten der Junge und ich auf der Trennwand. Ich schnallte mein Lederzeug auf und knüpfte daraus einen langen Riemen, den ich dem wartenden Xodar hinunterließ. Er packte das Ende und saß bald neben uns.

»Wie einfach«, lachte er.

»Der Rest sollte sogar noch einfacher sein«, erwiderte ich. Als nächstes zog ich mich an der Außenwand des Gefängnisses hoch, um einen Blick nach draußen zu werfen und festzustellen, wo sich der Wachposten im Moment gerade aufhielt. Nach etwa fünf Minuten kam er in Sicht, wie er in schneckenartigem Tempo seine Runde um das Bauwerk zog.

Ich wartete, bis er hinter dem Gebäude abgebogen war und die Stelle nicht mehr sehen konnte, an der wir den Ausbruch wagen wollten. Kaum war seine Gestalt verschwunden, griff ich Xodar und zog ihn zu mir auf die Mauer hoch. Dann ließ ich ihn mit Hilfe des Ledergurtes schnell auf die andere Seite hinab. Dann packte der Junge den Gurt und gesellte sich zu Xodar.

Entsprechend unserer Übereinkunft warteten sie nicht auf mich, sondern begaben sich langsam in Richtung des Wassers, ein Weg von etwa einhundert Yard, der an dem Wachgebäude voll mit schlafenden Soldaten vorbeiführte.

Sie hatten kaum zwölf Schritte getan, als auch ich mich zum Boden hinabließ und ihnen im gemächlichen Tempo folgte. Als ich an dem Wachhaus vorbeikam, dachte ich an all die scharfen Klingen, die sich darin befanden, und blieb stehen, denn wenn jemals Männer Schwerter brauchten, waren es meine Gefährten und ich bei diesem gefahrvollen Unternehmen, das wir in Angriff genommen hatten.