Ich blickte zu Xodar und dem Jungen und sah, daß sie über den Rand des Kais geschlüpft waren. Wie abgemacht, sollten sie im Wasser auf mich warten und sich an den Metallringen festhalten, mit denen das betonartige Material in Höhe des Wasserspiegels beschlagen war, so daß sich nur ihre Gesichter über Wasser befanden.
Die Versuchung mit den Schwertern im Wachhaus war stark, und ich zögerte einen Augenblick, halb geneigt, es zu riskieren und die wenigen Waffen, die wir benötigten, mitzunehmen. In dieser Hinsicht bestätigte sich das Wort, daß ein Zweifler unbeständig ist auf allen seinen Wegen, denn im nächsten Augenblick kroch ich vorsichtig auf die Tür des Wachhauses zu.
Sanft schob ich sie einen Spaltbreit auf und sah ein Dutzend Schwarze, die in tiefem Schlummer auf ihren Seidentüchern ausgestreckt dalagen. Auf der anderen Seite des Raumes befand sich ein Waffenregal mit den Schwertern und Feuerwaffen der Männer. Behutsam stieß ich die Tür weit genug auf, um mich durchzulassen. Eine Türangel gab ein verärgertes Stöhnen von sich. Einer der Männer regte sich, und mein Herz setzte einen Moment aus. Ich verfluchte mich für meine Dummheit, auf diese Weise unsere Flucht zu gefährden, doch nun mußte ich den einmal betretenen Weg zuende gehen.
Mit der Schnelligkeit und Lautlosigkeit eines Tigers setzte ich zu dem Soldaten, der sich bewegt hatte. Meine Hände schwebten über ihm, bereit, ihm an die Kehle zu fahren, sobald er die Augen aufschlug. Das Warten kam meinen angespannten Nerven wie eine Ewigkeit vor. Schließlich drehte sich der Mann auf die Seite und nahm die gleichmäßigen Atemzüge eines tief Schlafenden wieder auf.
Vorsichtig tastete ich mich zwischen den Soldaten entlang und über sie hinweg, bis ich am Waffenregal auf der anderen Seite angekommen war. Hier wandte ich mich um und warf einen Blick auf die Schläfer. Niemand regte sich. Ihr regelmäßiger Atem hob und senkte sich in einem beruhigendem Rhythmus. Es war meinen Ohren die süßeste Musik, die ich jemals vernommen hatte.
Behutsam nahm ich eines der langen Schwerter aus dem Regal. Mit einem Geräusch, als wenn man Gußeisen mit einer großen Raspel bearbeitet, stieß die Scheide gegen die Halterung, als ich die Hand zurückzog. Schon sah ich alle Wachposten aufspringen und mich angreifen. Doch nichts geschah.
Mit dem zweiten Schwert hatte ich mehr Glück, doch das dritte klirrte mit schrecklichem Getöse in der Scheide. Ich wußte, daß es mindestens einige der Männer aufwecken würde, und wollte schon ihrem Angriff durch einen schnellen Sprung zur Tür zuvorkommen, als sich zu meinem äußersten Erstaunen wieder keiner der Schwarzen bewegte. Entweder sie waren begnadet tiefe Schläfer, oder der von mir verursachte Lärm war in Wirklichkeit viel leiser, als er mir vorgekommen war.
Ich wollte gerade das Regal verlassen, als mein Blick auf die Revolver fiel. Mir war klar, daß ich nicht mehr als einen mitnehmen konnte, da ich bereits zu schwer beladen war, um mich lautlos und schnell bewegen zu können. Als ich einen von ihnen aus seiner Halterung holte, sah ich zum ersten Mal, daß sich neben dem Regal ein offenes Fenster befand. Es bot einen ausgezeichneten Fluchtweg, denn es blickte direkt auf das Dock, und das Wasser war keine zwanzig Fuß von mir entfernt.
Als ich mir bereits gratulierte, öffnete sich die Tür mir gegenüber, und in ihr stand der Offizier der Wache und blickte mir geradewegs in die Augen. Offensichtlich erfaßte er die Lage mit einem Blick und schätzte auch ihre Ernsthaftigkeit ebenso schnell ein wie ich, denn unsere Revolver fuhren gleichzeitig nach oben, und es gab nur einen Knall, als wir gleichzeitig am Abzug drückten und die Geschosse explodierten.
Ich spürte den Luftzug, als die Kugel an meinem Ohr vorbeipfiff, und sah meinen Gegner zu Boden gehen. Wo ich ihn getroffen hatte, oder ob ich ihn gar tötete, weiß ich nicht, denn kaum begann er zu taumeln, hechtete ich durch das Fenster hinter mir. In der nächsten Sekunde schlossen sich die Wogen von Omean über meinem Kopf, und wir drei strebten auf den kleinen Flieger einhundert Yards vor uns zu.
Xodar trug den Jungen und ich die drei langen Schwerter. Den Revolver hatte ich fallengelassen, und obwohl wir beide gute Schwimmer waren, schien mir, als kämen wir kaum voran. Ich schwamm unter Wasser, doch Xodar mußte oft nach oben, um den Jungen Luft holen zu lassen. Es war ein Wunder, daß wir nicht eher entdeckt wurden, als es schließlich der Fall war.
Tatsächlich sah uns die Wache des Kriegsschiffes, durch die Schüsse alarmiert, erst als wir uns bereits an Bord befanden. Dann gab man vom Gewehr am Bug des Schiffes Warnschüsse ab, deren tiefes Dröhnen mit ohrenbetäubender Lautstärke im felsigen Himmelsgewölbe von Omean widerhallte.
Augenblicklich waren Tausende auf den Beinen. Auf den Decks unzähliger riesiger Fahrzeuge wimmelte es von Kriegern, denn ein Alarm war auf Omean eine nicht alltägliche Angelegenheit.
Wir machten bereits Fahrt, als der Widerhall der ersten Schüsse verklungen war, und stiegen in der nächsten Sekunde schnell vom Meer auf. Ich lag in voller Länge auf Deck, die Schalthebel und Steuerknöpfe vor mir. Xodar und der Junge hatten sich bäuchlings hinter mir ausgestreckt, um der Luft so wenig Widerstand wie möglich zu bieten.
»Geh weit nach oben«, flüsterte Xodar. »Sie trauen sich nicht, ihre schweren Geschütze in Richtung der Kuppel abzufeuern, da ihre eigenen Schiffe sonst von den herabfallenden Bruchstücken getroffen werden. Vor Gewehrfeuer schützen uns dann unsere Kielplatten, wenn wir hoch genug sind.«
Ich tat wie mir geheißen. Unter uns konnte ich sehen, wie sich die Männer zu Hunderten in das Wasser warfen, um sich an Deck der kleinen Kreuzer und einsitzigen Fahrzeuge zu begeben, die um die großen Schiffe herum vertäut waren. Die größeren Fahrzeuge machten schon Fahrt, sie folgten uns schnell, ohne jedoch von der Wasseroberfläche aufzusteigen.
»Ein Stück zu deiner Rechten«, rief Xodar. Auf Omean gibt es keine Kompaßeinteilung, denn es kann nur nach Norden gehen.
Unter uns war ein ohrenbetäubendes Höllenspektakel ausgebrochen. Gewehrschüsse ertönten, Offiziere erteilten schreiend Befehle, Männer im Wasser und auf den Decks der unzähligen Boote brüllten einander Anweisungen zu, während all das vom Schwirren unzähliger Propeller durchdrungen wurde, die Luft und Wasser aufwirbelten.
Ich hatte nicht gewagt, den Hebel für die Geschwindigkeit weiter nach oben zu stellen, in der Befürchtung, die Mündung des Schachtes zu verpassen, der Omean mit der Außenwelt verband. Doch nichtsdestoweniger hatten wir ein Tempo eingeschlagen, von dem ich zweifle, daß es auf der windstillen See schon einmal erreicht worden ist.
Die kleineren Flieger begannen sich in unsere Richtung zu erheben, als Xodar rief: »Der Schacht! Der Schacht! Direkt vor uns!« Ich erblickte die schwarze Öffnung, die sich mit einemmal in der schimmernden Kuppel dieser Unterwelt auftat.
Ein Kreuzer mit zehn Mann Besatzung erhob sich direkt vor uns, um unsere Flucht zu verhindern. Nur dieses einzige Gefährt stand uns im Weg, doch bei seiner Geschwindigkeit hätte es sich ohne Schwierigkeiten rechtzeitig zwischen uns und den Schacht begeben und unsere Pläne durchkreuzen können.
Im Winkel von fünfundvierzig Grad stieg es vor uns auf, mit der offenkundigen Absicht, uns mit Enterhaken von oben abzukämmen, während es langsam über unserem Deck hinwegflog.
Wir hatten nur eine winzige Chance, und auf diese setzte ich. Es hatte keinen Zweck, zu versuchen, über dem Schiff hinwegzugehen, denn das hätte es ihnen ermöglicht, uns gegen das felsige Gewölbe zu drängen, und diesem waren wir schon nahe genug. Beim Versuch, unter ihnen hinwegzutauchen, wären wir ihnen vollkommen ausgeliefert gewesen, und genau dorthin wollten sie uns haben. Von allen Seiten schwirrten Hunderte von Fliegern auf uns zu. Die Alternative barg lauter Risiken in sich – eigentlich stellte sie selbst ein einziges Risiko dar, doch bot sie auch eine geringe Chance auf Erfolg.