»Deine Haltung, dein Auftreten, die Unbändigkeit, mit der du das Schwert handhabst, sind so, wie sie mir meine Mutter tausendemale beschrieben hat – doch trotz solcher Beweise erschien mir die Wahrheit unglaublich, so sehr ich es mir auch gewünscht habe. Weißt du, welche Sache mich mehr überzeugt hat als alles andere?«
»Was denn, mein Junge?« fragte ich.
»Deine ersten Worte – sie betrafen meine Mutter. Niemand anders als jener Mann, der sie so liebte, wie es nach ihren Worten mein Vater tat, hätte zuallererst an sie gedacht.«
»In all den vielen Jahren kann ich mich kaum eines Augenblickes entsinnen, an dem ich ihr strahlendes, schönes Antlitz nicht vor Augen hatte. Erzähle mir von ihr.«
»Jene, die sie schon länger kennen, sagen, daß sie sich nicht geändert hat, sondern lediglich noch schöner geworden ist –wenn das noch geht. Nur, wenn sie sich allein wähnt, wird ihr Gesicht sehr traurig und, oh, so sehnsüchtig. Sie denkt immer an dich, meinen Vater, und ganz Helium trauert mit ihr und um sie. Das Volk ihres Großvaters liebt sie. Auch dich liebte es, und es betet dein Andenken als Retter von Barsoom förmlich an. Jedes Jahr, wenn sich der Tag jährt, an dem du über eine beinahe sterbende Welt gestürmt bist, um mit Hilfe des Geheimnisses, das du herausgefunden hattest, das schreckliche Portal zu öffnen, hinter dem sich seit unzähligen Millionen von Jahren die riesige Lebensmaschine befindet, wird um deiner Ehre willen ein großes Fest abgehalten. Doch in die Danksagung mischen sich auch Tränen – Tränen aufrichtiger Trauer, da jener, dem wir das Glück zu verdanken haben, nicht unter uns weilt, um die Lebensfreude mit uns zu teilen. Auf ganz Barsoom gibt es keinen angeseheneren Namen als John Carter.«
»Und welchen Namen hat dir deine Mutter gegeben, mein Junge?« fragte ich.
»Das Volk von Helium bat darum, mich nach meinem Vater zu benennen, doch meine Mutter wollte das nicht, da sie mit ihm bereits einen Namen für mich ausgesucht hatte, und da dein Wunsch vor allen anderen respektiert werden mußte. So nannte sie mich, wie du dir es wünschtest, in einer Kombination von ihrem und deinem Namen – Carthoris.«
Xodar hatte während unserer Unterhaltung das Steuer übernommen und rief mich nun zu sich.
»Unseren Bug zieht es ziemlich stark nach unten, John Carter«, sagte er. »Solange wir uns steil nach oben bewegten, machte sich das nicht bemerkbar. Doch jetzt, da ich die Maschine in der Waagerechten zu halten versuche, ist es anders. Durch den Zusammenprall hat einer der vorderen Speicher der Auftriebsstrahlen am Bug Leck geschlagen.«
Er hatte recht. Als ich den Schaden genauer untersuchte, fand ich ihn viel ernster als erwartet. Der steile Winkel, in dem wir den Bug zu halten gezwungen waren, um vorwärtszukommen, behinderte jedoch nicht nur unser Vorankommen aufs äußerste. Bei der Schnelligkeit, in der wir aus den vorderen Speichern Auftriebsstrahlen verloren, war es nur eine Frage von wenigen Stunden, bis wir kieloben hilflos vor uns dahintreiben würden.
Wir hatten unsere Geschwindigkeit leicht verringert, sobald wir uns einigermaßen in Sicherheit gewähnt hatten. Nun jedoch griff ich erneut ans Ruder und ging aufs Ganze, so daß wir wieder in einem schrecklichen Tempo gen Norden rasten. In der Zwischenzeit werkelten Carthoris und Xodar an dem großen Riß im Bug herum, im sinnlosen Versuch, dem Ausströmen der Strahlen Einhalt zu gebieten.
Es war noch dunkel, als wir die Nordgrenze der Eisdecke und des Wolkengebietes überflogen. Unter uns eröffnete sich eine typische Marslandschaft: Der hüglige, ockerfarbene Grund eines längst ausgetrockneten Meeres, umgeben von flachen Anhöhen; hier und da die düsteren, stillen und ausgestorbenen Städte der Vergangenheit; hoch aufragende und mächtige Bauwerke, in denen allein die jahrhundertealten Erinnerungen an ein einst machtvolles Volk und die großen weißen Affen von Barsoom noch am Leben waren.
Es wurde zusehends schwieriger, das kleine Gefährt waagerecht zu halten. Der Bug sank immer weiter nach unten, bis es sich als notwendig erwies, die Maschine zu stoppen, um unserer Reise nicht mit einem Sturzflug zu Boden ein Ende zu setzen.
Als die Sonne aufging, und das Licht des neuen Tages die nächtliche Finsternis vertrieb, tat unser Fahrzeug einen letzten, vereinzelten Hüpfer, legte sich halb auf die Seite und zog mit erschreckend geneigtem Deck einen großen Kreis, wobei sich der Bug mit jeder Sekunde weiter gen Boden neigte.
Wir klammerten uns an Geländer und Deckstütze. Als wir das Ende kommen sahen, hakten wir uns schließlich mit Hilfe der Schnallen unserer Lederausrüstungen an den Ringen der Flanken fest. Im nächsten Moment stellte sich das Deck quer, wir hingen in unserem Ledergeschirr, und unsere Füße baumelten tausend Yard über dem Boden.
Ich befand mich ziemlich nahe an den Steuergeräten, so griff ich nach dem Hebel, der die Auftriebsstrahlen reguliert. Das Boot gehorchte der Berührung, und sehr sanft begannen wir, in Richtung Boden zu sinken.
Nach einer reichlichen halben Stunde setzten wir auf. Nördlich von uns erhob sich ein ziemlich hoher Gebirgszug. Wir beschlossen, uns dorthin zu begeben, da sich dort mehr Möglichkeiten des Versteckens vor Verfolgern boten, die es unserer Überzeugung nach durchaus hierher verschlagen konnte.
Eine Stunde später befanden wir uns in den ausgehöhlten Schluchten zwischen den Bergen, umgeben von den wunderschönen Blütengewächsen, die in den unfruchtbaren Ödländern auf Barsoom beheimatet sind. Wir stießen auf unzählige milchgebende Büsche – jene seltsame Pflanze, die den wilden Horden der grünen Menschen reichhaltig Speis und Trank spendet. Es war tatsächlich ein Segen für uns, denn wir waren schon am Verhungern.
Unter einem dieser Büsche, der ein perfektes Versteck vor umherstreifenden Luftaufklärern darstellte, legten wir uns zum Schlafen nieder – für mich das erste Mal seit Stunden. Mein fünfter Tag auf Barsoom war angebrochen, seit ich von meiner Hütte am Fluß Hudson nach Dor versetzt worden war, dem Tal voller Schönheit und voller Schrecken. Seitdem hatte ich nur zweimal geschlafen, auch wenn, in der Lagerhalle der Therns, dabei gar einmal rund um die Uhr.
Es war heller Nachmittag, als ich dadurch geweckt wurde, daß jemand meine Hand ergriff und sie mit Küssen bedeckte. Ich schreckte hoch, schlug die Augen auf und blickte in das wunderschöne Gesicht Thuvias.
»Mein Prinz, mein Prinz!« rief sie vor Glück völlig außer sich. »Du bist’s, dessen Tod ich schon beweint habe. Meine Ahnen waren gut zu mir, ich habe nicht umsonst gelebt.«
Die Stimme des Mädchens weckte auch Xodar und Carthoris. Der Junge blickte die Frau überrascht an, doch sie schien die anderen überhaupt nicht zu bemerken. Sie hätte mich umarmt und mit Liebkosungen überhäuft, hätte ich mich nicht sanft, doch entschieden von ihr gelöst.
»Komm, komm Thuvia«, sagte ich beschwichtigend. »Die Gefahren und Schwierigkeiten, die du durchgemacht hast, haben dich zermürbt. Du vergißt dich, und du vergißt auch, daß ich der Ehemann der Prinzessin von Helium bin.«
»Ich vergesse nichts, mein Prinz«, erwiderte sie. »Du hast kein Wort der Liebe zu mir gesagt, auch erwarte ich nicht, daß du es jemals tun wirst. Ich möchte nicht die Stelle von Dejah Thoris einnehmen. Mein sehnlichster Wunsch ist, dir für immer als Sklavin zu dienen. Um eine größere Gnade kann ich nicht bitten, eine größere Ehre könnte mir nicht zuteil werden, und auf mehr Glück wage ich nicht zu hoffen.«
Wie schon an früherer Stelle gesagt, bin ich kein Frauenheld, und ich muß zugeben, daß ich mich selten so unwohl in meiner Haut gefühlt und in einer solchen Verlegenheit befunden habe wie in diesem Moment. Obwohl ich den Brauch auf dem Mars kannte, der es einem Mann erlaubte, Sklavinnen zu haben, da seine hohe und ritterliche Würde einer jeden Frau seines Hauses ausreichend Schutz bot, hatte ich mir als Bedienstete bisher nur Männer ausgewählt.