»Wenn ich je nach Helium zurückkehre, Thuvia, sollst du mich begleiten, doch als mir Gleichgestellte und nicht als Sklavin. Du wirst dort viele hübsche, junge Edelleute kennenlernen, die Issus persönlich entgegentreten würden, um eines Lächelns von dir willen, und wir werden dich binnen kürzester Zeit mit einem von ihnen verheiratet sehen. Vergiß deine kindliche, auf Dankbarkeit beruhende Zuneigung, die du in deiner Unschuld für Liebe hältst. Ich möchte lieber deine Freundschaft, Thuvia.«
»Du bist mein Herr, es soll so sein, wie du sagst«, entgegnete sie, doch war auch Traurigkeit in ihrer Stimme.
»Wie kommst du hierher, Thuvia? Und wo ist Tars Tarkas?« frage ich.
»Ich fürchte, der große Thark ist tot«, erwiderte sie traurig. »Er war ein großer Kämpfer, doch eine Übermacht grüner Krieger von einem anderen Stamm überwältigte ihn. Als letztes sah ich, wie sie ihn verwundet und blutend in das Zentrum der verlassenen Stadt schleppten, von wo sie zum Angriff auf uns losgezogen sind.«
»Und du bist dir demzufolge nicht sicher, ob er tot ist?« fragte ich. »Wo liegt die Stadt, von der du sprichst?«
»Sie liegt direkt hinter diesem Gebirgszug. Aufgrund unserer geringen Navigationskenntnisse konnten wir mit dem Flugzeug, in dem du so edelmütig um unser Entkommen willen deinen Platz opfertest, nicht viel ausrichten. Ungefähr zwei Tage lang trieben wir ziellos umher. Dann beschlossen wir, das Fahrzeug zu verlassen und uns zu Fuß auf den Weg zur nächsten Wasserstraße zu machen. Gestern überquerten wir diese Berge und erreichten die dahinterliegende Stadt. Wir bewegten uns gerade durch ihre Straßen auf den Zentralplatz zu, als wir an einer Kreuzung einen Trupp grüner Krieger auf uns zukommen sahen. Sie erblickten Tars Tarkas, der voranging, doch nicht mich. Der Thark sprang zurück neben mich und schob mich in einen nahen Eingang, wo ich mich nach seinen Worten verstecken sollte, bis sich eine Fluchtgelegenheit ergab, um mich dann, wenn möglich, nach Helium zu begeben.«
»Es wird für mich kein Entkommen geben, denn dies sind die Warhoon vom Süden. Wenn sie mein Metall sehen, ist das mein Tod«, sagte er. Dann trat er ihnen entgegen. Ach, mein Prinz, es war ein solcher Kampf! Eine ganze Stunde warfen sie sich auf ihn, bis die toten Warhoon haufenweise dalagen, wo er gestanden hatte. Doch schließlich überwältigten sie ihn, indem die hinten Stehenden die vordersten auf ihn zuschoben, bis er das Schwert nicht mehr zu schwingen vermochte. Dann stolperte er und ging zu Boden, und sie fegten über ihn hinweg wie eine Woge. Als sie ihn Richtung Stadtzentrum fortschleppten, war er tot, glaube ich, denn er bewegte sich nicht.
»Bevor wir weitergehen, müssen wir das genau wissen«, sagte ich. »Ich kann Tars Tarkas nicht lebend unter den Warhoon zurücklassen. Heute abend werde ich mich in die Stadt begeben und mich davon überzeugen.«
»Und ich komme mit«, sagte Carthoris. »Ich auch«, sagte Xodar.
»Keiner von euch wird das tun. Das ist eine Angelegenheit, die ein stilles und überlegtes Hervorgehen erfordert und keine Kraft. Einem Mann allein kann es gelingen, während mehrere ein Unheil anrichten können. Ich mache mich allein auf den Weg. Wenn ich eure Hilfe brauche, komme ich zurück.«
Ihnen gefiel das nicht, doch beide waren gute Soldaten, und es war abgemacht, daß ich befehlen sollte. Die Sonne stand bereits niedrig, so hatte ich nicht lange zu warten, bis uns die jäh einbrechende Dunkelheit von Barsoom einhüllte.
Nachdem ich Xodar und Carthoris einige letzte Anweisungen erteilt hatte, für den Fall, daß ich nicht zurückkehrte, verabschiedete ich mich von ihnen und machte mich im schnellen Laufschritt in Richtung der Stadt auf den Weg.
Als ich die Berge verließ, wanderte der erste Marsmond unaufhaltsam über dem Himmel dahin und verwandelte mit seinen hellen Strahlen die unverdorbene Pracht der alten Metropole in gleißendes Silber. Man hatte die Stadt auf sanften Hügeln erbaut, deren Anhöhen in der fernen Vergangenheit am Meer geendet hatten. Aus diesem Grunde hatte ich keinerlei Schwierigkeiten, unbemerkt die Straßen zu betreten.
Die grünen Horden, die in diesen verlassenen Städten halt machen, besetzen selten mehr als einige wenige Viertel in der unmittelbaren Umgebung des Zentralplatzes. Da sie immer über die ausgetrockneten Meeresböden kommen und gehen, ist es eine vergleichsweise ungefährliche Angelegenheit, den Fuß von der Hügelseite aus in die Stadt zu setzen.
Unterwegs hielt ich mich im dunklen Schatten der Gebäude. Bei Kreuzungen blieb ich einen Augenblick stehen, um mich zu vergewissern, daß niemand in Sicht war, bevor ich dann schnell in den Schatten auf der gegenüberliegenden Seite sprang. So gelangte ich unbemerkt in die Nähe des Zentralplatzes. Als ich in die bewohnten Gegenden gelangte, teilte mir das Schreien und Brummen der Thoats und Zitidars, die in den hohen Innenhöfen der Viertel eingepfercht waren, mit, daß es zu den Kriegerunterkünften nicht mehr weit war.
Als ich diese altbekannten Geräusche vernahm, die so typisch für den Alltag der grünen Marsmenschen sind, durchfuhr mich ein freudiger Schauer. So könnte man sich fühlen, wenn man nach langer Abwesenheit wieder nach Hause zurückkehrt. Inmitten solcher Laute hatte ich in den jahrhundertealten Marmorhallen der toten Stadt Korad um die unvergleichliche Dejah Thoris geworben.
Als ich im Schatten der abgewandten Ecke des ersten von den Horden bewohnten Viertels stand, sah ich aus mehreren Gebäuden Krieger strömen. Alle begaben sich in dieselbe Richtung, zu einem großen Gebäude, das sich direkt auf dem Platz befand. Da ich die Bräuche der grünen Marsmenschen kannte, wußte ich, daß dies entweder die Unterkunft des Anführers war oder das Audienzzimmer, wo der Jeddak seine Jeds und niederen Befehlshaber empfing. In jedem Falle war offensichtlich etwas im Gange, das mit der kürzlichen Gefangennahme von Tars Tarkas im Zusammenhang stehen konnte.
Um zu diesem Gebäude zu gelangen – und ich spürte die Notwendigkeit dazu sehr deutlich – mußte ich an einem ganzen Viertel vorbei, über eine breite Promenade sowie einen Teil des Platzes hinweg. Den Tiergeräuschen nach, die aus den Innenhöfen zu mir drangen, hielten sich viele Leute in den Gebäuden in meiner Nähe auf – offenbar gar einige Gemeinschaften der südlichen Horden der Warhoon.
Allein an all diesen unbemerkt vorbeizugelangen, war eine schwierige Angelegenheit. Doch wollte ich den großen Thark finden und befreien, hatte ich sogar noch schrecklichere Hindernisse zu überwinden, bevor mir der Erfolg sicher sein konnte. Ich war von Süden her in die Stadt gekommen und stand nun vor der Kreuzung, an der sich die Straße, auf der ich gekommen war, und die letzte Promenade vor dem Platz trafen. Die nach Süden blickenden Gebäude dieses Viertels schienen unbewohnt, da ich kein Licht sehen konnte, und so beschloß ich, durch eines davon den Innenhof zu betreten.
Nichts gebot meinem Vorwärtskommen durch das verlassene Bauwerk Einhalt, welches ich gewählt hatte, und unbemerkt erreichte ich den Innenhof in der Nähe des Ostflügels. Im Hof selbst streifte rastlos eine große Herde von Thoats und Zitidars umher, stutzte das ockerfarbene Moosgewächs, das es fast in allen unbebauten Gegenden auf dem Mars gibt. Der Wind kam von Nordwesten, so daß nur geringe Gefahr bestand, daß mich die wilden Tiere witterten. In diesem Fall wäre ihr Geschrei und Brummen derartig angeschwollen, daß es die Krieger in den Gebäuden auf die Beine gebracht hätte.
Ich kroch unter den hervorstehenden Balkons des ersten Stockwerkes an der Ostwand entlang, hielt mich fortwährend im tiefen Schatten, bis ich am anderen Ende des Hofes angekommen war und hinter den Häusern an der Nordseite stand. Die untersten drei Stockwerke waren beleuchtet, doch darüber war alles dunkel.
Es war völlig ausgeschlossen, mich durch die beleuchteten Räume zu begeben, da es darin zweifellos von grünen Männern und Frauen wimmelte. Der einzig mögliche Weg führte durch die oberen Geschosse, und um in diese zu gelangen, mußte ich die Wand erklimmen. Es war nicht weiter schwierig, den Balkon im ersten Stockwerk zu erreichen – ein Satz, und ich hing an seinem Steingeländer. Im nächsten Augenblick zog ich mich auf den Balkon.