»Ah, mein Prinz«, fuhr er fort, als sei nichts gewesen, »es genügt, daß ihr zurück seid. Erweist Hor Vastus die hohe Ehre, als erster sein Schwert zu euren Füßen niederlegen zu dürfen.« Mit diesen Worten schnallte er das Schwert samt Hülle ab und warf mir beides vor Füße.
Wären dem Leser die Bräuche und das Wesen der roten Marsmenschen bekannt, wüßte er diese einfache Geste und ihre tiefere Bedeutung für mich und alle Anwesenden richtig einzuschätzen. Sie drückte soviel aus wie: »Mein Schwert, mein Leib, meine Seele sind dein – dein Wille sei ihnen Befehl. Bis zum Tod und danach werde ich nur mit deinem Einverständnis handeln. Seiest du nun im Recht oder Unrecht – dein Wort soll meine einzige Wahrheit sein. Derjenige, der die Hand gegen dich erhebt, soll meinem Schwert Rede und Antwort stehen.«
Einen solchen Treueschwur leistet gelegentlich ein Gefolge seinem aufgrund seines edlen Charakters und ritterlichen Auftretens abgöttisch geliebten Jeddak. Nie zuvor habe ich miterlebt, daß einem niederen Sterblichen diese hohe Ehre zuteil wurde. Darauf konnte ich nur auf eine Weise antworten. Ich bückte mich, hob das Schwert auf, führte das Heft an die Lippen, trat dann zu Hor Vastus und band ihm die Waffe eigenhändig wieder um.
»Hor Vastus«, sagte ich und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Du kennst am besten die Regungen deines Herzens. Ich bezweifle, daß ich dein Schwert brauche, doch laß dir von John Carter bei seiner heiligen Ehre versichern, daß er dich nie zu sich rufen wird, um dieses Schwert anders als im Kampf für Wahrheit, Gerechtigkeit und Gesetz zu erheben.«
»Das wußte ich, mein Prinz, bevor ich meine geliebte Klinge vor deine Füße geworfen habe«, entgegnete er.
Während unserer Unterhaltung hielten andere Flieger Kontakt zwischen Boden und Kriegsschiff. Bald wurde von oben ein größeres Boot losgeschickt, das vielleicht ein Dutzend Menschen an Bord nehmen konnte, es glitt in unserer Nähe sanft zu Boden. Gleich darauf sprang ein Offizier von Deck, trat auf Hor Vastus zu, entbot ihm seinen Gruß und sagte: »Kantos Kan wünscht, daß diese Gruppe, die wir befreit haben, sofort zu ihm an Deck der Xavarian gebracht wird.«
Als wir auf das kleine Fahrzeug zutraten, blickte ich mich nach meinen Leuten um und bemerkte zum ersten Mal, daß Thuvia nicht dabei war. Eine Befragung ergab, daß sie niemand mehr gesehen hatte, seit Carthoris, um sie zu retten, ihr Thoat im wilden Galopp in Richtung Berge geschickt hatte.
Sofort sandte Hor Vastus ein Dutzend Luftaufklärer in alle Richtungen aus, um nach ihr zu suchen. Sie konnte nicht weit gekommen sein, seit wir sie zum letzten Mal gesehen hatten. Währenddessen begaben wir uns an Deck des Fahrzeuges, das uns holen sollte, und einen Augenblick später standen wir auf der Xavarian.
Als erster begrüßte mich Kantos Kan selbst. Mein alter Freund hatte es in der Luftwaffe von Helium zu den höchsten Ämtern gebracht, doch für mich war er noch immer derselbe mutige Gefährte, der mit mir die Entbehrungen im Kerker der Warhoon geteilt, die fürchterlichen Verbrechen bei den Großen Spielen miterlebt und sich später mit mir in der feindlichen Stadt Zodanga auf die gefahrvolle Suche nach Dejah Thoris gemacht hatte.
Damals war ich noch ein unbekannter Wanderer auf einem fremden Planeten gewesen und er ein einfacher Padwar der Luftwaffe von Helium. Heute war er der Befehlshaber vom heliumitischen Schrecken der Lüfte und ich Prinz des Hauses von Tardos Mors, dem Jeddak von Helium. Er fragte nicht, wo ich gewesen war. Wie Hör Vastus fürchtete auch er die Wahrheit und wollte nicht derjenige sein, der mich zu einem Geständnis zwang. Daß es eines Tages dazu kommen würde, wußte er, doch bis dahin schien er sich bereits damit zufrieden zu geben, zu wissen, daß ich wieder bei ihm war. Überschwenglich begrüßte er Carthoris und Tars Tarkas, fragte jedoch keinen von beiden, wo er gewesen war. Er konnte kaum von dem Jungen lassen.
»Du weißt nicht, John Carter, wie sehr ganz Helium deinen Sohn liebt. Es ist, als ob wir all die Liebe, die wir seinem edlen Vater und seiner armen Mutter entgegenbrachten, auf ihn konzentrierten. Als bekannt wurde, daß er vermißt wurde, brachen zehn Millionen Menschen in Tränen aus«, sagte er zu mir.
»Was meinst du, Kantos Kan, mit ›seine arme Mutter‹?« flüsterte ich, denn seine Worte verhießen nichts Gutes, und ich verstand nicht, was.
Er zog mich zur Seite und begann: »Seit Carthoris’ Verschwinden vor einem Jahr trauerte und weinte Dejah Thoris um ihren Jungen. Als du vor einigen Jahren nicht von der Atmosphärenfabrik zurückkehrtest, linderten die Mutterpflichten ihr Leid, denn dein Sohn durchbrach in eben jener schicksalsschweren Nacht seine weiße Schale. Ganz Helium wußte, wie sehr sie litt, denn trauerte nicht ganz Helium um seinen Herren? Doch als der Junge verschwand, blieb der Prinzessin nichts mehr. Nachdem eine Expedition nach der anderen mit demselben traurigen Bericht zurückkehrte, nichts über seinen Aufenthaltsort herausgefunden zu haben, wurde die Prinzessin immer schwermütiger, bis alle, die sie sahen, spürten, daß es nur noch eine Sache von Tagen sein konnte, bis sie sich zu den geliebten Angehörigen ins Tal Dor begab. Als letzten Ausweg übernahmen Mors Kajak, ihr Vater, und Tardos Mors, ihr Großvater, das Kommando über zwei riesige Expeditionen und segelten vor einem Monat fort, um jeden Zoll des Bodens auf der nördlichen Halbkugel von Barsoom abzusuchen. Seit zwei Wochen haben wir schon keine Nachricht von ihnen erhalten, aber es heißt, daß ihnen ein schreckliches Unglück zugestoßen sei und keiner überlebte. Ungefähr zu dieser Zeit erneuerte Zat Arrras seine Bemühungen um Dejah Thoris’ Hand. Seit deinem Verschwinden war er hinter ihr her. Sie haßte und fürchtete ihn, doch da sowohl ihr Vater als auch ihr Großvater nicht da waren, besaß Zat Arrras sehr viel Macht, denn er ist noch immer Jed von Zodanga, wozu ihn Tardos Mors ernannte, nachdem du dieses ehrenvolle Amt ausgeschlagen hattest. Vor sechs Tagen hatte er mit ihr eine geheime Unterredung. Niemand weiß, was vorgefallen ist, doch am nächsten Tag war Dejah Thoris verschwunden, und mit ihr ein Dutzend von ihrer Leibgarde und von ihren Bediensteten, einschließlich Sola, der grünen Frau – Tars Tarkas’ Tochter, wie du sicherlich noch weißt. Sie haben hinsichtlich ihrer Absichten keine Nachricht zurückgelassen, doch das ist immer bei denjenigen der Fall, die sich auf die freiwillige Pilgerfahrt begeben, von der niemand zurückkehrt. Wir müssen davon ausgehen, daß Dejah Thoris sich in die eisige Umarmung von Iss begeben hat, und daß ihre treuen Diener sich ihr angeschlossen haben. Zat Arrras hielt sich bei ihrem Verschwinden gerade in Helium auf. Er ist Befehlshaber dieser Flotte, die seitdem nach ihrem Verbleib forscht. Wir haben keine Spur von ihr gefunden, und ich fürchte, die Suche ist sinnlos.«
Während unserer Unterhaltung waren Hor Vastus’ Aufklärer wieder auf der Xavarian eingetroffen. Niemand hatte einen Hinweis auf Thuvias Verbleib entdeckt. Ich schwebte bereits wegen Dejah Thoris’ Verschwinden in tausend Ängsten, und nun quälte mich auch noch die Sorge, was mit Thuvia geschehen war, die meines Erachtens aus einem achtenswerten Haus von Barsoom stammen mußte. Ich hatte mir vorgenommen, alles zu unternehmen, sie zu ihrem Volk zurückzubringen.
Ich wollte Kantos Kan gerade darum bitten, eine weitere Suche nach ihr anzustrengen, als ein Flugzeug vom Flaggschiff der Flotte auf der Xavarian mit einem Offizier an Bord eintraf, der eine Nachricht von Arrras für Kantos Kan hatte.
Mein Freund las die Depesche und wandte sich an mich.
»Zat Arrras befiehlt, die ›Gefangenen‹ zu ihm zu bringen. Es bleibt uns nichts anderes übrig. Er ist der oberste Befehlshaber auf Helium, doch entspräche es bei weitem mehr der Höflichkeit und dem guten Geschmack, wenn er hierher käme und den Retter von Barsoom mit den Ehren willkommen hieße, die diesem gebühren.«