»Sprich, John Carter, Prinz von Helium«, rief ein mächtiger Edelmann aus dem Zuschauerraum, und die Menge wiederholte seine Worte, bis das Gebäude unter ihren lärmvollen Bekundungen vibrierte.
Zat Arrras wußte Besseres als sich in die Gefühle einzumischen, die an jenem Tag im Tempel der Vergeltung geäußert wurden, und so redete ich zwei Stunden lang zu den Menschen von Helium.
Doch als ich geendet hatte, erhob sich Zat Arrras, wandte sich an die Richter und sagte leise: »Meine Edelleute, ihr habt John Carters Verteidigungsrede vernommen, er hatte jede Möglichkeit, seine Unschuld zu beweisen, falls dies der Fall ist, doch statt dessen hat er die Zeit nur für weitere Gotteslästerungen verwendet. Wie, meine Herren, lautet euer Urteil?«
»Tod dem Gotteslästerer!« rief einer, sprang auf und im nächsten Augenblick waren ihm alle einunddreißig Richter gefolgt, die Schwerter erhoben als Zeichen ihrer Einstimmigkeit.
Wenn die Leute Zat Arrras’ Anschuldigung nicht vernahmen, hörten sie mit Sicherheit das Urteil des Gerichtshofes. Das dumpfe Murmeln, das durch die vollgestopften Reihen des Kolosseums ging, wurde immer lauter, dann hob Kantos Kan, der noch immer bei mir auf dem Podest stand, die Hand und bat um Ruhe. Als die Lautstärke annehmbar geworden war, sprach er seine Leute mit kühler und eintöniger Stimme an.
»Ihr habt vernommen, welches Schicksal die Menschen von Zodanga dem edelsten Helden von Helium zugedacht haben. Die Menschen von Helium mögen sich dazu verpflichtet fühlen, dieses Urteil als endgültig anzuerkennen. Doch jeder Mann soll nach seinem Herzen handeln. Dies ist die Antwort Kantos Kans, Oberbefehlshaber der Marine von Helium, an Zat Arrras und seine Richter.« Mit diesen Worten löste er sein Schwert und warf mir die Waffe vor die Füße.
Einen Augenblick später drängten sich Soldaten, Offiziere und Edelleute an den Soldaten von Zodanga vorbei und bahnten sich den Weg zum Thron der Gerechtigkeit. Einhundert Mann strömten auf das Podest, einhundert Klingen klirrten und klapperten zu meinen Füßen. Zat Arrras und seine Offiziere waren wütend, doch konnten sie nichts tun. Ich führte ein Schwert nach dem anderen an die Lippen und legte es seinem Besitzer wieder um.
»Kommt«, sagte Kantos Kan. »Wir werden John Carter und seine Leute zu seinem Palast geleiten.« Sie scharten sich um uns und wandten sich zu den Stufen, die zum Gang der Hoffnung hinunterführten. »Halt!« rief Zat Arrras. »Soldaten von Helium, erlaubt keinem Gefangenen, den Thron der Gerechtigkeit zu verlassen.«
Die Soldaten von Zodanga waren der einzige geordnete Trupp im Tempel, und das ließ Zat Arrras wohl glauben, daß seine Befehle befolgt werden würden. Doch ich bezweifle, daß er mit dem Widerstand gerechnet hatte, der sich in dem Moment zeigte, als die Soldaten auf den Thron zutraten.
In jedem Teil des Kolosseums blitzten Klingen auf, und aufgebrachte Männer stürmten auf die Zodanganer zu. Eine Stimme wurde laut: »Tardos Mors ist tot – tausend Jahre John Carter, dem Jeddak von Helium.« Als ich das hörte und die bedrohliche Einstellung der Menschen von Helium zu den Soldaten von Zat Arrras sah, wußte ich, daß nur durch ein Wunder der Zusammenstoß vermieden werden konnte, der einen Bürgerkrieg zur Folge haben würde.
»Haltet ein!« rief ich und sprang wieder zum Podest der Wahrheit. »Kein Mann soll sich bewegen, bis ich geendet habe. Ein einziger Schwertstoß hier und heute kann Helium in einen bitteren und blutigen Krieg stürzen, dessen Ausgang niemand vorhersehen kann. Er wird Bruder gegen Bruder wenden und Vater gegen Sohn. Niemandes Leben ist dieses Opfer wert. Lieber möchte ich mich dem ungerechten Urteil von Zat Arrras beugen, als der Auslöser eines Bürgerkrieges in Helium zu sein. Laßt jeden von uns vorläufig ein Stück nachgeben, und die ganze Angelegenheit soll ruhen, bis Tardos Mors oder Mors Kajak, sein Sohn, zurückkehrt. Sollte keiner von ihnen am Ende des Jahres wieder da sein, so soll ein zweiter Prozeß abgehalten werden – dafür gibt es bereits einen Präzedenzfall.«
Dann wandte ich mich an Zat Arrras und sagte leise: »Wenn du nicht ein größerer Narr bist, als ich annehme, dann nutze die Chance, die ich dir hiermit biete, bevor es zu spät ist. Hat erst die Mehrheit das Schwert gegen deine Soldaten gezogen, kann kein Mensch auf Barsoom – nicht einmal Tardos Mors selbst – die Folgen abwenden. Was sagst du? Schnell!«
Der Jed vom zodanganischen Helium rief mit vor Zorn bebender Stimme der verärgerten Menge unter uns zu: »Haltet ein, Menschen von Helium. Das Gericht hat sein Urteil gesprochen, doch der Tag der Vollstreckung ist noch nicht festgesetzt. Ich, Zat Arrras, Jed von Zodanga, gewähre dem Gefangenen in Anerkennung seiner Verbindungen zum Königshaus und seiner bisherigen Verdienste für Helium und Barsoom eine Frist von einem Jahr oder bis zur Rückkehr von Mors Kajak oder Tardos Mors. Gebt Frieden und geht nach Hause! Geht!«
Keiner bewegte sich. Statt dessen standen alle in gespannter Stille da und blickten zu mir, als warteten sie auf das Zeichen zum Angriff.
»Räumt den Tempel«, befahl Zat Arrras mit leiser Stimme einem seiner Offiziere.
Da ich die Dinge fürchtete, die dabei herauskommen mochten, wenn man diesen Befehl mit Gewalt durchsetzte, trat ich an den Rand des Podestes, wies auf das Hauptportal und bat alle, den Saal zu verlassen. Einmütig folgten alle meiner Bitte, wandten sich um und marschierten still und bedrohlich an den Soldaten von Zat Arrras, dem Jed von Zodanga, vorbei, der vor ohnmächtiger Wut finster dreinblickend dastand.
Kantos Kan und jene, die mir ihre Lehnstreue geschworen hatten, befanden sich noch immer neben mir auf dem Thron der Gerechtigkeit.
»Komm, wir begleiten dich zu deinem Palast, Prinz«, sagte Kantos Kan zu mir. »Kommt, Carthoris und Xodar. Komm, Tars Tarkas.« Mit einem hochmütigen Lächeln für Zat Arrras auf den schön geschwungenen Lippen wandte er sich um und schritt die Podeststufen hinab zum Gang der Hoffnung. Wir vier und unsere einhundert Getreuen folgten. Niemand versuchte uns zurückzuhalten, obwohl glühende Augen unseren Triumphzug durch den Tempel beobachteten.
Die Straßen waren voller Menschen, die uns jedoch einen Weg öffneten. Zahlreiche Schwerter wurden mir auf dem Marsch durch die Innenstadt von Helium bis zu meinem Palast am Stadtrand vor die Füße geworfen. Hier knieten meine alten Sklaven vor mir nieder und küßten mir die Hände, als ich sie begrüßte. Ihnen war gleich, wo ich gewesen war, Hauptsache, ich war zu ihnen zurückgekehrt.
»Ach, Herr, wäre nur unsere göttliche Prinzessin noch bei uns, dann wäre dies wirklich ein Tag.«
Tränen stiegen mir in die Augen, so daß ich mich abwenden mußte, um meine Gefühle zu verbergen. Carthoris weinte in aller Öffentlichkeit, als ihn die Sklaven mit Bekundungen ihrer Zuneigung und Worten des Mitgefühles wegen unseres gemeinsamen Verlustes bedrängten. Nun erfuhr Tars Tarkas auch, daß seine Tochter, Sola, Dejah Thoris auf die lange Pilgerfahrt begleitet hatte. Ich hatte es nicht übers Herz gebracht, ihm Kantos Kans Bericht mitzuteilen. Gelassen wie die grünen Marsmenschen sind, zeigte er sein Leid nicht, und doch wußte ich, daß sein Kummer ebenso tief war wie der meinige. In deutlichem Unterschied zu seinem Volk waren in ihm die menschlichen Gefühle wie Liebe, Freundschaft und Nächstenliebe gut ausgeprägt.
Es war eine traurige und düstere Gesellschaft, die sich an diesem Tag beim Willkommensfest im großen Speisesaal des Palastes vom Prinz von Helium versammelt hatte. Wir waren über einhundert Personen, nicht mitgezählt die Mitglieder meines kleinen Hofes, denn Dejah Thoris und ich hatten ein Haus geführt, wie es sich unseres königlichen Standes geziemte.
Die Tafel besaß entsprechend dem Brauch der roten Marsmenschen dreieckige Form, da wir in der Familie zu dritt waren. Carthoris und ich saßen in der Mitte unserer Tischseiten – in der Mitte der dritten Seite stand Dejah Thoris’ hoher geschnitzter Stuhl, leer bis auf den prächtigen Hochzeitsstaat und die Juwelen, mit denen man ihn verziert hatte. Hinter ihm stand ein Sklave, wie in den Tagen, wenn seine Herrin ihren Platz an der Tafel eingenommen hatte, bereit, ihren Befehlen Folge zu leisten. Es war auf Barsoom so üblich, so erduldete ich diese Qual, obwohl es mir das Herz zerriß, den Platz still zu sehen, wo meine lachende und lebhafte Prinzessin sitzen und die große Halle mit ihrem ansteckenden Frohsinn erfüllen sollte.