Einige Minuten herrschte Stille. Dejah Thoris in den Händen der Erstgeborenen! Ich erschauderte bei dem Gedanken, doch plötzlich flackerte in mir wieder mein altes grenzenloses Selbstvertrauen auf. Ich sprang auf und gelobte mit entschlossener Haltung und erhobenem Schwert feierlich, mich auf den Weg zu meiner Prinzessin zu machen, sie zu befreien und zu rächen.
Einhundert Schwerter fuhren aus einhundert Scheiden, und einhundert Kriegsmänner sprangen zum Kopfende der Tafel und versprachen mir, mich mit ihrem Leben und Vermögen bei der Expedition zu unterstützen. Meine Pläne standen bereits fest. Ich dankte einem jeden meiner treuen Freunde, und zog mich, Carthoris leistete ihnen weiter Gesellschaft, mit Kantos Kan, Tars Tarkas, Xodar und Hor Vastus in mein Audienzzimmer zurück.
Hier besprachen wir bis tief in die Nacht die Einzelheiten unseres Vorgehens. Xodar war davon überzeugt, daß Issus sowohl Dejah Thoris als auch Thuvia für ein Jahr als Dienerinnen zu sich holen würde.
»So lange werden sie zumindest verhältnismäßig sicher sein, und wir wissen, wo wir nach ihnen suchen müssen«, sagte er.
Die Einzelheiten der Ausrüstung der Flotte, mit der wir uns nach Omean begeben würden, wurden Kantos Kan und Xodar überlassen. Ersterer erklärte sich bereit, so schnell wie möglich solche Fahrzeuge, wie wir sie benötigten, ins Dock zu nehmen, wo Xodar ihre Ausrüstung mit Wasserpropellern leiten würde.
Jahrelang war der Schwarze dafür verantwortlich gewesen, die geraubten Fahrzeuge so umzubauen, daß sie Omean beschiffen konnten. Demzufolge war er bestens mit der Bauart der benötigten Propeller, der Unterkünfte und der zusätzlichen Getriebe vertraut.
Unsere Vorbereitungen würden schätzungsweise etwa sechs Monate in Anspruch nehmen, angesichts der Tatsache, daß das Projekt vor Zat Arrras absolut geheimgehalten werden mußte. Kantos Kan war überzeugt, daß der Ehrgeiz des Mannes erwacht war und er sich mit nichts Geringerem als dem Rang des Jeddaks von Helium zufrieden geben würde.
»Ich zweifle sogar daran, daß er Dejah Thoris’ Rückkehr begrüßen würde, denn dann gäbe es jemanden, der dem Thron näher stünde als er. Wärest du und Carthoris ihm nicht mehr im Weg, so hielte ihn nur wenig davon ab, den Titel des Jeddaks anzunehmen, und du kannst davon ausgehen, daß ihr beide nicht sicher seid, so lange er hier an der Macht ist.«
»Es gibt einen Weg, ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen, und zwar einen endgültigen«, rief Hor Vastus.
»Welchen?« fragte ich.
Er lächelte. »Ich werde es hier nur flüstern, doch eines Tages werde ich es vom Dach des Tempels der Vergeltung den jubelnden Massen verkünden.«
»Und was?« fragte Kantos Kan.
»John Carter, Jeddak von Helium«, sagte Hor Vastus leise.
Die Augen meiner Freunde leuchteten auf, und ein freudiges und hoffnungsvolles Lächeln trat in ihre finsteren Gesichter. Sie blickten mich fragend an. Doch ich schüttelte den Kopf und sagte lächelnd: »Nein, meine Freunde, ich danke euch, doch es kann nicht sein. Zumindest noch nicht. Wenn wir erfahren, daß Tardos Mors und Mors Kajak nie wieder zurückkehren, werde ich, sollte ich hier sein, mich zu euch gesellen und dabei zusehen, wie das Volk von Helium von seinem Recht Gebrauch macht, seinen nächsten Jeddak zu wählen. Wen, das mag von der Treue meines Schwertes abhängen, doch werde ich diese Ehre nicht für mich suchen. Bis dahin ist Tardos Mors der Jeddak von Helium und Zat Arrras sein Vertreter.«
»Wie du meinst, John Carter«, sagte Hor Vastus, »Doch – was war das?« flüsterte er und wies auf das Fenster zum Garten.
Die Worte waren kaum aus seinem Munde, als er schon hinaus auf den Balkon eilte.
»Dort läuft er!« rief er aufgeregt. »Wachen! Dort unten! Wachen!«
Wir standen dicht hinter ihm und sahen einen Mann über ein kleines Rasenstück rennen und dahinter im Gebüsch verschwinden.
»Er war auf dem Balkon, als ich ihn erblickte. Schnell, hinterher!« rief Hor Vastus.
Wir stürmten in den Garten, doch obwohl wir die Anlage stundenlang mit der ganzen Wache absuchten, war keine Spur des nächtlichen Eindringlings zu finden.
»Was hältst du davon, Kantos Kan?« fragte Tars Tarkas.
»Ein Spion von Zat Arrras. Das war schon immer seine Art«, entgegnete dieser.
»Dann wird er seinem Herren etwas sehr Interessantes zu berichten haben«, lachte Hor Vastus.
»Ich hoffe, er hat nur unsere Anspielungen auf einen neuen Jeddak vernommen«, sagte ich. »Sollte er unsere Pläne zur Befreiung Dejah Thoris’ mitangehört haben, bedeutet das Bürgerkrieg, denn dann wird er versuchen, uns daran zu hindern, und das lasse ich mir nicht gefallen. Dabei würde ich mich gegen Tardos Mors selbst wenden, wenn das nötig wäre. Ich werde weitermachen, um meiner Prinzessin zu dienen. Nichts außer dem Tod soll mich davon abhalten. Sollte ich sterben, meine Freunde, schwört ihr mir, daß ihr die Suche nach ihr fortsetzt und sie unbeschadet an den Hof ihres Großvaters zurückbringt?«
Bei der Klinge seines Schwertes gelobte ein jeder, zu tun, wie ich gebeten.
Wir beschlossen, die Kriegsschiffe, die umgebaut werden sollten, nach Hastor zu beordern, einer heliumitischen Stadt weit im Südwesten. Kantos Kan glaubte, die dortigen Docks könnten sich zusätzlich zu ihrer üblichen Arbeit noch auf jeweils mindestens sechs Kriegsschiffe einstellen. Als oberster Befehlshaber der Marine war es ihm ein Leichtes, die Fahrzeuge dorthin zu befehlen und danach die umgebaute Flotte in abgelegenen Gebieten des Reiches vor Anker gehen zu lassen, bis wir bereit waren, sie zum Sturm auf Omean zusammenzurufen.
Es war spät am Abend, als sich unsere Versammlung auflöste, doch jedem der Männer waren fest umrissene Pflichten zugeteilt worden, und jede Einzelheit des Planes war geklärt.
Kantos Kan und Xodar sollten sich um den Umbau der Schiffe kümmern. Tars Tarkas wollte mit den Thark in Verbindung treten und herausfinden, wie das Volk seine Rückkehr aus Dor aufnahm. Waren sie dieser wohlgesonnen, sollte er sich augenblicklich nach Thark begeben und die Zeit nutzen, eine große Horde grüner Krieger zusammenzuziehen, die unserem Plan nach mit Transportflugzeugen direkt zum Tal Dor und dem Tempel Issus gebracht werden sollten, während die Flotte in Omean eindringen und die Fahrzeuge der Erstgeborenen zerstören sollte.
Auf Hor Vastus’ Schultern ruhte die heikle Aufgabe, eine geheime Gruppe von Soldaten zu organisieren, die schwören mußten, John Carter zu folgen, wohin auch immer das sein mochte. Da wir schätzten, daß über eine Million Mann vonnöten waren, um die tausend großen Kriegsschiffe zu bemannen, die wir für Omean planten, die Transporflugzeuge für die grünen Menschen, als auch die Begleitschiffe, war es keine einfache Angelegenheit, die Hor Vastus zu bewältigen hatte.
Nach ihrem Aufbruch wünschte ich Carthoris eine gute Nacht, denn ich war sehr müde, begab mich in meine Gemächer, nahm ein Bad und legte mich auf meinen seidenen Schlaftüchern und Fellen zur ersten ruhigen Nacht seit meiner Rückkehr nach Barsoom nieder. Doch sogar jetzt sollte meine Hoffnung enttäuscht werden.