»Sicher war er ein Mann der Kirche, aber was hat das mit der Sache zu tun? Ich bin auch ein Mann der Kirche, verleiht das meinen Argumenten göttliche Macht? Manchmal bist du wirklich absurd.« Lord Alexander hatte seine Pfeife zerbrochen, als er sie seinem Freund fest auf die Brust drückte, und musste sich nun eine neue anzünden. »Ich gebe natürlich zu, dass Thomas Jefferson den gleichen Standpunkt vertritt, aber seine Begründung finde ich eleganter als Paleys.«
»Soll heißen, dass Jefferson einer deiner Helden ist und sich nicht irren kann«, merkte Sandman an.
»Ich hoffe doch, dass ich besser differenzieren kann, als du mir unterstellst«, entgegnete Lord Alexander verstimmt, »und selbst du musst zugeben, dass Jefferson politische Gründe für seine Überzeugungen hat.«
»Was sie um so tadelnswerter macht«, sagte Sandman, »außerdem stehst du in Flammen«.
»Ja, wahrhaftig.« Lord Alexander schlug auf seinen Gehrock. »Eleanor hat nach dir gefragt, soweit ich mich erinnere.«
»Ach ja?«
»Habe ich das nicht gerade gesagt? Und ich habe sicher geantwortet, dass du in bester Verfassung bist. Ja, guter Treffer, Sir, guter Treffer. Budd schlägt fast so kraftvoll wie du! Ich habe sie in der Ägyptischen Halle getroffen. Es gab da einen Vortrag über«, er stockte stirnrunzelnd und starrte auf den Schlagmann, »meine Güte, ich habe völlig vergessen, weshalb ich da war, jedenfalls war Eleanor mit Doktor Vaux und seiner Frau da. Gott, ist der Mann dumm.«
»Vaux?«
»Nein, der neue Schlagmann! Es hat keinen Sinn, den Schläger in der Luft zu schwenken! Schlag zu, Mann, schlag zu, dafür ist der Schläger da! Ich sollte dir etwas von Eleanor ausrichten.«
»Wirklich?« Sandmans Herz schlug schneller. Seine Verlobung mit Eleanor mochte zwar gelöst sein, aber er liebte sie immer noch. »Was denn?«
»Ja, was war es noch gleich?« Lord Alexander runzelte die Stirn. »Es ist mir entfallen, Rider, völlig entfallen. Aber es kann nichts Wichtiges gewesen sein. Überhaupt nicht wichtig. Und was die Countess of Avebury angeht!« Er schauderte, offensichtlich außer Stande, eine Meinung über die Ermordete zu äußern.
»Was ist mit Ihrer Ladyschaft?«, fragte Sandman, denn er wusste, dass es sinnlos wäre, ihn weiter nach Eleanors vergessener Nachricht auszufragen.
»Ladyschaft! Ha!« Lord Alexanders Ausruf war so laut, dass hundert Zuschauer sich nach ihm umsahen. »Dieses Luder!«, sagte er. Doch dann fiel ihm sein geistlicher Stand ein. »Arme Frau, aber sicher ist sie nun an einem glückseligeren Ort. Wenn jemand ihren Tod gewünscht hat, dann war es ihr Mann, sollte ich meinen. Der Ärmste muss unter der Last seiner Hörner förmlich zusammengebrochen sein.«
»Du glaubst, der Earl hat sie getötet?«, fragte Sandman.
»Sie lebten getrennt, Rider, ist das kein Indiz?«
»Getrennt?«
»Du klingst überrascht. Darf ich fragen, wieso? Die Hälfte der Ehemänner in England scheinen doch von ihren Ehefrauen getrennt zu sein. Das ist ja wohl kaum etwas Ungewöhnliches.«
Sandman war überrascht, weil er hätte schwören können, dass Corday gesagt hatte, der Earl habe das Porträt seiner Frau in Auftrag gegeben, aber warum sollte er das tun, wenn sie getrennt lebten? »Bist du sicher, dass sie getrennt waren?«, fragte er noch einmal nach.
»Ich weiß es aus erster Quelle«, erklärte Lord Alexander abwehrend. »Ich bin mit dem Sohn des Earl befreundet. Er heißt Christopher und ist ein überaus herzlicher Mann. Er war in Brasenose, als ich am Trinity College war.«
»Herzlich?« Die Wortwahl erschien Sandman merkwürdig.
»Ja, sehr!«, bekräftigte Lord Alexander. »Er machte einen ganz respektablen Abschluss und ging dann an die Sorbonne, um bei Lasalle zu studieren. Sein Fachgebiet ist die Etymologie.«
»Käfer?«
»Wörter, Rider, Wörter.« Lord Alexander verdrehte die Augen über Sandmans Unwissenheit. »Das Studium der Herkunft von Wörtern. Kein ernsthaftes Wissensgebiet, finde ich immer, aber Christopher schien zu glauben, dass man daran arbeiten müsse. Die Tote war natürlich seine Stiefmutter.«
»Hat er mit dir über sie gesprochen?«
»Wir sprechen über ernsthafte Dinge«, sagte Alexander vorwurfsvoll, »aber im Laufe jeder Bekanntschaft erfährt man natürlich auch Banalitäten. Viel Liebe gab es nicht in der Familie, das kann ich dir sagen. Der Vater verachtet seinen Sohn und seine Ehefrau, die Frau verabscheut den Ehemann und der Sohn hegt gegen beide bittere Gefühle. Ich muss sagen, der Earl und die Countess of Avebury sind ein Lehrbeispiel für die Gefahren des Familienlebens. Guter Schlag! Guter Schlag! Hervorragender Mann! Gute Arbeit! Hüpf, hüpf!«
Sandman applaudierte dem Schlagmann und trank den Rest Tee aus. »Es wundert mich zu hören, dass der Earl und die Countess getrennt waren«, sagte er, »denn Corday behauptete, der Earl habe das Porträt in Auftrag gegeben. Warum sollte er das tun, wenn sie sich getrennt hatten?«
»Da musst du ihn selbst fragen«, sagte Lord Alexander, »aber ich könnte mir vorstellen, dass Avebury zwar eifersüchtig, aber immer noch vernarrt in sie war. Sie war eine anerkannte Schönheit, und er ist ein anerkannter Narr. Rider, ich möchte niemandem etwas anlasten. Ich behaupte lediglich, wenn jemand die Dame gern tot gesehen hätte, könnte es durchaus ihr Mann gewesen sein, obwohl ich bezweifele, dass er den Todesstoß selbst ausgeführt hat. Selbst Avebury besitzt genug Verstand, jemand anderen für die schmutzige Arbeit anzuheuern. Außerdem leidet er an Gicht. Aah, guter Treffer! Guter Treffer! Geh rann, los!«
»Ist der Sohn immer noch in Paris?«
»Er ist wieder zurück. Ab und an treffe ich ihn, auch wenn unsere Verbindung nicht mehr so eng ist wie in Oxford. Schau dir das an! Fuchtelt mit dem Schläger herum. Es hat doch keinen Sinn, so nach den Bällen zu stochern!«
»Könntest du mich mit ihm bekannt machen?«
»Mit Aveburys Sohn? Ich denke schon.«
Kurz nach acht Uhr war das Spiel beendet, als die Mannschaft des Marquess zusammenbrach, obwohl ihr nur noch dreiundneunzig Läufe zum Sieg fehlten. Ihre Niederlage freute Lord Alexander, schürte allerdings in Sandman den Verdacht, dass Bestechung wieder einmal ein Spiel zunichte gemacht hatte, aber er konnte es nicht beweisen. Lord Alexander tat die Vermutung ab und wollte nichts davon hören, als Sandman seinen Wettgewinn ablehnte. »Natürlich musst du ihn nehmen«, beharrte Lord Alexander. »Wohnst du immer noch im Wheatsheaf? Du weißt ja wohl, dass es eine Unterweltspelunke ist?«
»Inzwischen weiß ich es«, gab Sandman zu.
»Wieso essen wir nicht da zusammen zu Abend? Vielleicht kann ich ja ein paar volkstümliche Unterweltausdrücke lernen, aber Unterweltausdrücke sind wohl immer volkstümlich, oder? Hughes? Lassen Sie die Pferde anspannen und sagen Sie Williams, dass wir in die Drury Lane fahren.«
Die Londoner Unterwelt und die ihr eigene Sprache nannten sich Flash. Niemand stahl eine Geldbörse, sondern man filzte, rupfte Kohl oder ließ eine Tasche mitgehen. Das Gefängnis hieß Schafweide oder Kittchen, Newgate war der King’s Head Inn, und die Wärter hießen Schinder. Ein guter Dieb war ein Halunke und sein Opfer eine Mumme. Als solche galt Lord Alexander, wenngleich als geniale. Er lernte das Flash-Vokabular, zahlte für jedes neue Wort mit Bier und Gin und ging erst weit nach Mitternacht. Als Lord Alexander an seiner Kutsche stand, die eigentlich eine Ratter war und statt Lampen ein Paar Schimmer besaß, wie er zu seiner Freude erfahren hatte, kam Sally Hood am Arm ihres Bruders nach Hause, beide recht angeheitert. Lord Alexander hielt sich an einem Rad fest, als Sally vorübereilte. Er starrte ihr mit offenem Mund nach. »Ich bin verliebt, Rider«, erklärte er allzu laut.
Sally schaute über die Schulter zurück und bedachte Sandman mit einem strahlenden Lächeln. »Du bist nicht verliebt, Alexander«, erklärte Sandman bestimmt.