Als er an der Tür klopfte, erschien ihm alles vertraut, und Hammond, der Butler, zuckte nicht einmal mit der Wimper. »Captain Rider«, sagte er, »welche Freude, Sir, darf ich Ihnen den Mantel abnehmen? Sie sollten einen Schirm mitnehmen, Sir.«
»Sie wissen doch, dass der Duke Regenschirme nie gebilligt hat, Hammond.«
»Der Duke of Wellington mag die Kleiderordnung für Soldaten bestimmen, Sir, aber Seine Gnaden besitzt kein Bestimmungsrecht über Londoner Fußgänger. Darf ich fragen, wie es Ihrer Mutter geht, Sir?«
»Sie ändert sich nicht, Hammond. Die Welt bekommt ihr schlecht.«
»Es tut mir Leid, das zu hören, Sir.« Hammond hängte Sandmans Mantel und Hut an einen Garderobenständer, an dem bereits viele andere Mäntel hingen. »Haben Sie eine Einladung?«, fragte er.
»Lady Forrest gibt einen musikalischen Nachmittag? Ich fürchte, ich war nicht eingeladen. Ich hatte gehofft, Sir Henry zu Hause anzutreffen, wenn nicht, kann ich ihm eine Nachricht hinterlassen.«
»Er ist zu Hause, Sir, ich bin sicher, dass er Sie gerne empfängt. Wenn Sie bitte im kleinen Salon warten würden?«
Der kleine Salon war doppelt so groß wie das Wohnzimmer des Hauses, das Sandman für seine Mutter und Schwester in Winchester gemietet hatte, was seine Mutter nie zu erwähnen vergaß, woran er aber im Augenblick nicht denken mochte. Also betrachtete er ein Gemälde mit weidenden Schafen und lauschte einem schmetternden Tenor, der hinter der Flügeltür zu den größeren Räumen im hinteren Teil des Hauses sang. Der Mann endete trällernd, Beifall erklang, und dann ging die Tür zur Diele auf und Sir Henry Forrest kam herein. »Mein lieber Rider!«
»Sir Henry.«
»Ein neuer französischer Tenor«, sagte Sir Henry bekümmert, »den man in Dover hätte aufhalten sollen.« Sir Henry hatte noch nie viel für die musikalischen Nachmittagsgesellschaften seiner Frau übrig gehabt und war gewöhnlich sorgsam darauf bedacht, sie zu meiden. »Ich hatte völlig vergessen, dass heute Nachmittag eine Gesellschaft stattfindet, sonst wäre ich in der Bank geblieben«, erklärte er und grinste Sandman verschmitzt an. »Wie geht es Ihnen, Rider?«
»Danke, gut. Und Ihnen, Sir?«
»Immer beschäftigt, Rider, immer beschäftigt. Der Stadtrat nimmt viel Zeit in Anspruch, Europa braucht Geld, das wir bereit stellen, zumindest klauben wir die Geschäfte auf, die Rothschild und Baring nicht wollen. Haben Sie die Getreidepreise gesehen? Letzte Woche kostete es in Norwich dreiundsechzig Schillinge. Können Sie das glauben?« Mit einem raschen Blick hatte Sir Henry Sandmans Kleidung gemustert, um festzustellen, ob seine Lage sich gebessert habe, und war zu dem Schluss gekommen, dass dies nicht der Fall war. »Wie geht es Ihrer Mutter?«
»Sie jammert«, sagte Sandman.
Sir Henry verzog das Gesicht. »Jammert, ja. Arme Frau.« Er schauderte. »Hat sie immer noch die Hunde?«
»Ich fürchte ja, Sir.« Sandmans Mutter überschüttete zwei laute, schlecht erzogene und stinkende Schoßhündchen mit ihrer Liebe.
Sir Henry holte zwei Zigarren aus der Schublade einer Anrichte. »Heute kann ich nicht im Wintergarten rauchen«, sagte er, »also lassen wir uns dafür hängen, dass wir den Salon verräuchern, was?« Er zündete eine Zunderbüchse und dann seine Zigarre an. Mit seiner leicht gebeugten Haltung, dem silbergrauen Haar und der bekümmerten Miene hatte er Sandman schon immer an Don Quixote erinnert, dieser Eindruck täuschte jedoch, wie zahlreiche seiner Konkurrenten zu spät erkannt hatten. Sir Henry, Sohn eines Apothekers, besaß ein Gespür für Geld, wie man es verdiente, einsetzte und vermehrte. Diese Fähigkeiten hatten dazu beigetragen, die Schiffe zu bauen, die Armee zu verpflegen und die Kanonen zu gießen, mit denen Napoleon besiegt wurde, und Sir Henry hatten sie den Adelstitel eingebracht, wofür seine Frau mehr als dankbar war. Kurz, er war ein talentierter Mann, wenn auch zögerlich im Umgang mit Menschen. »Es ist schön, Sie zu sehen, Rider«, sagte er nun aufrichtig, denn Sandman war einer der wenigen Menschen, in deren Gesellschaft Sir Henry sich wohl fühlte. »Wir haben uns viel zu lange nicht gesehen.«
»Ja, Sir Henry.«
»Was treiben Sie denn so?«
»Ich habe einen recht ungewöhnlichen Auftrag, Sir, der mich veranlasst, Sie um eine Gefälligkeit zu bitten.«
»Eine Gefälligkeit?« Sir Henry klang immer noch freundlich, aber aus seinem Blick sprach Vorsicht.
»Eigentlich möchte ich Hammond um etwas bitten, Sir.«
»Hammond?« Sir Henry schaute Sandman an, als sei er nicht sicher, ob er recht gehört habe. »Meinen Butler?«
»Vielleicht sollte ich es erst einmal erklären«, sagte Sandman.
»Das sollten Sie wohl.« Immer noch vor Verwunderung die Stirn runzelnd ging Sir Henry an die Anrichte und schenkte zwei Glas Brandy ein. »Sie trinken doch ein Gläschen mit mir? Es ist immer noch merkwürdig, Sie ohne Uniform zu sehen. Was möchten Sie denn nun von Hammond?«
Doch bevor Sandman zu einer Erklärung kam, öffnete sich die Flügeltür und Eleanor erschien. Das Licht aus dem großen Salon, das sie von hinten beschien, ließ ihr rotes Haar wie einen Heiligenschein wirken. Sie schaute Sandman an, atmete tief durch und strahlte dann ihren Vater an. »Mutter macht sich Sorgen, dass du das Duett versäumst, Papa.«
»Das Duett?«
»Die Schwestern Pearman haben wochenlang geübt, Papa«, erklärte Eleanor und schaute erneut Sandman an. »Rider«, sagte sie leise.
»Miss Eleanor«, sagte er förmlich und verbeugte sich.
Sie starrte ihn an. Hinter ihr im Salon saßen eine Reihe Gäste auf vergoldeten Stühlen mit Blick zum Wintergarten, wo zwei junge Damen gerade auf der Klavierbank Platz nahmen. Eleanor warf einen Blick auf sie und machte entschlossen die Tür zu. »Ich glaube, die Schwestern Pearman kommen auch ohne mich aus. Wie geht es dir, Rider?«
»Danke, gut.« Einen Augenblick hatte er gedacht, er bringe kein Wort über die Lippen. Er spürte Tränen in den Augen. Eleanor trug ein blassgrünes Seidenkleid mit gelben Spitzen an Brust und Manschetten. Ihr goldenes Halsband mit Bernstein hatte Sandman noch nie an ihr gesehen, was eine seltsame Eifersucht auf ihr Leben in den letzten sechs Monaten in ihm weckte. Ihm fiel ein, dass sie verlobt war und bald heiraten sollte, was ihn zutiefst verletzte, aber er bemühte sich, es nicht zu zeigen. »Mir geht es gut, und dir?«, wiederholte er.
»Ich bin untröstlich, dass es dir gut geht«, sagte Eleanor mit gespieltem Ernst. »Zu denken, dass es dir ohne mich gut gehen kann? Das ist Elend, Rider.«
»Eleanor«, mahnte ihr Vater.
»Ich mache nur Spaß, Papa, das ist erlaubt, was für so Weniges gilt.« Sie wandte sich an Sandman. »Bist du nur heute in der Stadt?«
»Ich wohne hier«, antwortete Sandman.
»Das wusste ich nicht.« Ihre grauen Augen wirkten riesig. Was hatte Sir George Phillips über sie gesagt? Ihre Nase sei zu lang, ihr Kinn zu spitz, ihr Haar zu rot und ihr Mund zu üppig. Alles das entsprach der Wahrheit, aber wenn Sandman sie nur anschaute, wurde ihm ganz schwindelig, als ob er die ganze Flasche Brandy getrunken hätte und nicht nur zwei Schluck. Er starrte sie an, sie erwiderte seinen Blick unverwandt, keiner sagte ein Wort.
»Hier in London?« Sir Henry brach das Schweigen.
»Sir?« Sandman zwang sich, Sir Henry anzusehen.
»Sie wohnen hier, Rider? In London?«
»In der Drury Lane, Sir.«
Sir Henry runzelte die Stirn. »Ist das nicht ein bisschen …«, er stockte, »gefährlich?«
»Es ist ein Gasthaus«, erklärte Sandman. »Ein Schütze aus Winchester hat es mir empfohlen, und erst als ich mich dort eingemietet hatte, merkte ich, dass es vielleicht keine sonderlich empfehlenswerte Adresse ist. Aber mir gefällt es.«
»Bist du schon lange hier?«, fragte Eleanor.