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»Wie ich höre, haben sie das Porträt in Auftrag gegeben, und der Marquess hat zugegeben, dass er die Tote kannte.« Sandman führte auf, was gegen Berrigans Arbeitgeber sprach. »Und sie weigern sich, Fragen zu beantworten. Ich traue ihnen nicht.«

Berrigan trank seinen Humpen leer und schenkte sich nach. Er schaute Sandman ein Weilchen an und zuckte die Achseln. »Das ist der Seraphim Club, Captain; es ist wahr, sie haben gemordet, gestohlen, bestochen und es sogar mit Straßenraub versucht. Sie bezeichnen das als Ulk. Aber die Countess umbringen? Davon habe ich nichts gehört.«

»Hätten Sie es denn erfahren?«, fragte Sandman.

»Nicht unbedingt«, räumte Berrigan ein. »Aber wir Dienstboten wissen meist, was sie treiben, weil wir hinter ihnen herräumen.«

»Weil sie sich wie die Ganoven benehmen?« Sally klang ärgerlich. Dass ihre Freunde im Wheatsheaf Straftaten begingen, war etwas völlig anderes, weil sie arm geboren wurden. »Warum wollen sie Ganoven sein? Sie sind doch schon reich, oder?«

Berrigan schaute sie an. Offensichtlich gefiel ihm, was er sah. »Genau aus dem Grund tun sie es: Eben weil sie reich sind«, sagte er. »Reich, adelig, privilegiert, und deshalb halten sie sich für besser als alle anderen. Und sie langweilen sich. Sie nehmen sich, was sie wollen, und was ihnen im Weg steht, vernichten sie.«

»Oder lassen es von Ihnen vernichten?«, vermutete Sandman.

Berrigan schaute Sandman fest an. »Es gibt achtunddreißig Seraphim und zwanzig Diener, das Küchenpersonal und die Stubenmädchen nicht mitgerechnet. Und wir zwanzig werden alle gebraucht, um ihren Dreck wegzuräumen. Sie sind reich genug, dass sie sich darum nicht zu kümmern brauchen.« Sein Ton schien Sandman warnen zu wollen. »Und sie sind Schweine, Captain, richtige Schweine.«

»Dennoch arbeiten Sie für sie«, stellte Sandman fest.

»Ich bin kein Heiliger, Captain«, sagte Berrigan, »und sie bezahlen mich gut.«

»Weil sie auf Ihr Stillschweigen angewiesen sind?«, fragte Sandman. Als er keine Antwort bekam, hakte er nach: »Über was sollen Sie Stillschweigen bewahren?«

Berrigan warf einen Seitenblick auf Sally und schaute wieder Sandman an. »Das wollen Sie gar nicht wissen.«

Sandman begriff, was der flüchtige Blick auf Sally besagen sollte. »Vergewaltigung?«

Berrigan nickte, sagte aber nichts.

»Ist das der Zweck dieses Clubs?«

»Der Zweck ist, dass sie tun können, was sie wollen«, antwortete Berrigan. »Sie sind alle Lords, Baronets oder stinkreich, und alle anderen auf der Welt sind für sie nur Bauern. Sie glauben, sie hätten das Recht, zu tun, was ihnen gefällt. Es ist nicht einer unter ihnen, der es nicht verdient hätte, gehenkt zu werden.«

»Sie inbegriffen?«, fragte Sandman. Als der Sergeant keine Antwort gab, fragte er: »Warum erzählen Sie mir das?«

»Lord Robin Holloway will Sie tot sehen, weil Sie ihn gedemütigt haben«, sagte Berrigan, »aber das lasse ich nicht zu, Captain, nicht nach Waterloo. Das war ein …« Er stockte auf der Suche nach dem passenden Wort. »Ich habe gedacht, das überlebe ich nicht«, gestand er schließlich. »Seitdem ist nichts mehr wie vorher. Wir sind durch die Hölle gegangen, Miss.« Er schaute Sally an. »Wir haben uns verbrannt, aber wir sind wieder herausgekommen.« Die Stimme des Sergeant war rau vor Erschütterung, was Sandman verstand. Er kannte viele Soldaten, die zu weinen anfingen, wenn sie nur an ihre Dienstjahre, die Kämpfe und die Kameraden dachten, die sie verloren hatten. Sam Berrigan sah hart wie Stein aus, was er zweifellos auch war, aber er war auch sehr sentimental. »Es ist kaum ein Tag vergangen, an dem ich Sie nicht vor meinem inneren Auge gesehen habe«, sagte Berrigan. »Da draußen auf dem Hügel in dem verdammten Rauch. Das ist das Einzige von der ganzen Schlacht, woran ich mich erinnere, und ich weiß nicht, warum. Deshalb will ich nicht, dass Ihnen ein lahmer Schwachkopf wie Lord Robin Holloway etwas tut.«

Sandman grinste. »Ich glaube, Sie sind hier, weil Sie den Seraphim Club verlassen wollen, Sergeant.«

Berrigan lehnte sich zurück, musterte Sandman und anschließend wohlwollender auch Sally. Unter seinem prüfenden Blick errötete sie. Er zog eine Zigarre aus seiner Innentasche und zündete mit einer Zunderbüchse ein Zündholz an. »Ich habe nicht vor, lange Diener fremder Herren zu sein«, erklärte er, als seine Zigarre brannte. »Aber wenn ich meinen Dienst quittiere, werde ich ein eigenes Geschäft eröffnen, Captain.«

»Womit?«, fragte Sandman.

»Damit.« Berrigan tippte auf seine Zigarre. »Viele Herren haben während des Spanienkrieges eine Vorliebe für diese Zigarren entwickelt, aber sie sind erstaunlich schwer zu bekommen. Ich treibe sie für die Clubmitglieder auf und verdiene damit genauso viel, wie ich an Lohn bekomme. Sie verstehen, Captain?«

»Ich bin nicht ganz sicher.«

»Ich brauche Ihren Rat nicht, ich brauche Ihre Predigten nicht und ich brauche Ihre Hilfe nicht. Sam Berrigan kann selbst auf sich aufpassen. Ich bin nur gekommen, um Sie zu warnen, sonst nichts. Verschwinden Sie aus der Stadt, Captain.«

»Im Himmel herrscht Freude über einen Sünder, der bereut«, sagte Sandman.

»O nein. Nein, nein, nein«, wehrte Berrigan kopfschüttelnd ab. »Ich habe Ihnen bloß einen Gefallen getan, Captain!« Er stand auf. »Nur deshalb bin ich hergekommen.«

Sandman grinste. »Ich könnte Hilfe brauchen, Sergeant, wenn Sie sich also entschließen sollten, den Club zu verlassen, kommen Sie zu mir. Morgen verlasse ich London, aber am Donnerstagnachmittag bin ich wieder zurück.«

»Das will ich doch hoffen«, warf Sally ein.

Amüsiert hob Sandman eine Augenbraue.

»Wegen der Privatvorstellung«, erklärte Sally. »Sie kommen doch nach Covent Garden, um mir zuzujubeln, oder? Wir spielen Aladdin.«

»Aladdin?«

»Ein verdammt schlecht geprobter Aladdin. Morgen früh muss ich hin, um die Schritte zu lernen. Sie kommen doch, Captain?«

»Aber sicher«, sagte Sandman und schaute Berrigan an. »Ich bin also am Donnerstag wieder hier. Danke für das Bier, und falls Sie sich entschließen sollten, mir zu helfen, wissen Sie ja, wo Sie mich finden.«

Berrigan starrte ihn einen Augenblick lang an, sagte aber nichts. Dann nickte er Sally zu und ging, nachdem er einige Münzen auf den Tisch geworfen hatte. Sandman schaute ihm nach. »Ein überaus bekümmerter junger Mann, Sally.«

»Ich fand ihn gar nicht bekümmert. Aber gut sah er aus, nicht?«

»Ach ja?«

»Na klar!«, sagte Sally nachdrücklich.

»Trotzdem ist er bekümmert«, sagte Sandman. »Er möchte gut sein, aber das Schlechtsein fällt ihm leichter.«

»Willkommen im Leben«, sagte Sally.

»Dann müssen wir ihm wohl helfen, gut zu werden, nicht wahr?«

»Wir?« Sie klang beunruhigt.

»Ich habe beschlossen, dass ich die Welt nicht ganz allein auf den rechten Weg bringen kann«, erklärte Sandman. »Ich brauche Verbündete, meine Liebe, und Sie sind eine der Auserwählten. Bislang gehören Sie dazu sowie jemand, den ich heute Nachmittag aufgesucht habe, vielleicht Sergeant Berrigan …« Sandman drehte sich um, als ein neuer Gast einen Stuhl umstieß, sich ausgiebig entschuldigte, mit seinem Gehstock fuchtelte und sich den Kopf an einem Deckenbalken stieß. »… und Ihr Verehrer, das macht vier«, schloss Sandman.

Vielleicht sogar fünf, denn Lord Alexander war in Begleitung eines jungen Mannes mit offenem Gesicht und bedrückter Miene. »Sind Sie Captain Sandman?« Der junge Mann wartete nicht, bis man ihn vorgestellt hatte, sondern kam durch den Raum geeilt und streckte die Hand aus.

»Zu Diensten«, sagte Sandman vorsichtig.

»Gott sei Dank, dass ich Sie gefunden habe!«, sagte der junge Mann. »Mein Name ist Carne, Christopher Carne.«

»Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen«, antwortete Sandman höflich, obwohl ihm der Name nichts sagte und das Gesicht des jungen Mannes ihm nicht bekannt vorkam.