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»Alles bereit, Sir, alles bereit«, antwortete Botting, nahm . die vier weißen Säcke und steckte sie in eine Tasche.

»Wir können uns beim Frühstück unterhalten«, sagte der Sheriff zu Sir Henry. »Scharfe Nierchen! Ich habe sie schon im Vorbeigehen gerochen.« Er zog eine Zwiebeluhr aus seinem Uhrtäschchen und ließ den Deckel aufspringen. »Zeit zu gehen, denke ich, Zeit zu gehen.«

Der Sheriff führte die Prozession aus dem Aufenthaltsraum über den schmalen Presshof. Reverend Cotton hatte eine Hand in den Nacken des Mädchens gelegt, um es zu führen, während er laut die Totengebete sprach, die er bereits am Tag zuvor in der Kapelle beim Seelenamt für die zum Tode Verurteilten gebetet hatte. Die vier Gefangenen hatten in der berüchtigten schwarzen Kirchenbank neben dem aufgebahrten Sarg gekniet, und der Ordinarius hatte ihnen das Seelenamt gelesen und gepredigt, sie würden für ihre Sünden bestraft, wie Gott es befohlen habe. Er hatte die Flammen der Hölle geschildert, die sie erwarteten, die teuflischen Qualen, die man ihnen bereiten würde, und hatte das Mädchen und einen der beiden Mörder zu Tränen gerührt. Auf der Empore der Kapelle hatten sich Zuschauer gedrängt, die einen Schilling sechs Pence bezahlt hatten, um den letzten Gottesdienst der vier verdammten Seelen mitzuerleben.

Die Gefangenen in den Zellen am Presshof riefen Beschimpfungen und Abschiedsgrüße, als die Prozession nun vorüberzog. Sir Henry erschrak über den Lärm und wunderte sich über eine Frauenstimme, die Verwünschungen schrie. »Männer und Frauen teilen sich doch nicht etwa die Zellen?«, fragte er.

»Nicht mehr«, erklärte Logan und folgte dem Blick seines Freundes, »ich vermute, sie ist keine Gefangene, sondern eine Dirne, Sir Henry. Sie zahlen den Wärtern ein so genanntes ›Sündengeld‹, damit sie hier ihren Lebensunterhalt verdienen können.«

»Sündengeld? Gütiger Gott!« Sir Henry wirkte bekümmert. »Und das erlauben wir?«

»Wir schauen weg«, sagte Logan gelassen, »in der Einsicht, dass es besser ist, Dirnen im Gefängnis zu haben als einen Aufruhr der Gefangenen.« Der Sheriff hatte die Prozession eine Steintreppe hinunter in einen Tunnel geführt, der unter dem Hauptgefängnis hindurch bis zum Torhaus verlief. In diesem finsteren Gang kamen sie an einer leeren Zelle vorüber, deren Tür offen stand. »Hier haben sie ihre letzte Nacht verbracht«, sagte Logan. Als das zum Tode verurteilte Mädchen schwankte, nahm ein Wärter seinen Ellbogen und schob es weiter.

»Mit nichts kamen wir auf diese Welt«, hallte die Stimme Reverend Cottons dumpf von den Granitwänden des Tunnels wider, »und mit Gewissheit können wir nichts mitnehmen. Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen, gepriesen sei der Name des Herrn.«

»Ich habe nichts gestohlen!«, schrie das Mädchen unvermittelt.

»Ruhig, Kind, ruhig!«, knurrte der Gefängnisverwalter. Die Männer waren nervös. Sie wollten, dass die Gefangenen keine Scherereien machten, aber das Mädchen war einem hysterischen Anfall nahe.

»Herr, lass mich wissen, wann mein Ende naht und meine Tage gezählt sind«, betete der Ordinarius.

»Bitte!«, flehte das Mädchen. »Nein, Nein! Bitte.« Ein zweiter Wärter trat an seine Seite, falls es zusammenbrechen sollte und den Rest des Weges getragen werden müsste, aber sie stolperte weiter.

»Wenn sie sich allzu heftig wehren, werden sie an einen Stuhl gebunden und so gehenkt«, erklärte Logan Sir Henry. »Aber ich muss gestehen, dass ich das schon Jahre nicht mehr erlebt habe, allerdings erinnere ich mich, dass Langley es einmal so machen musste.«

»Langley?«

»Bottings Vorgänger.«

»Du warst schon öfter dabei?«, fragte Sir Henry.

»Einige Male«, bestätigte Logan. »Und du?«

»Noch nie. Aber heute hielt ich es für meine Pflicht.« Sir Henry sah die Gefangenen die Treppe am Ende des Tunnels hinaufsteigen und wünschte, er wäre nicht gekommen. Er hatte noch nie einen gewaltsamen Tod gesehen. Rider Sandman, der sein Schwiegersohn hatte werden sollen, hatte als Soldat manchen gewaltsamen Tod miterlebt, und Sir Henry wünschte, der junge Mann wäre bei ihm. Er hatte Sandman immer gemocht. Eine Schande, was seiner Familie zugestoßen war.

Die Treppe mündete im Torhaus, dessen höhlenartiger Innenraum auf die Straße namens Old Bailey führte. Die Tür zur Straße, die man Schuldnerpforte nannte, stand offen, ließ aber kein Tageslicht herein, da man unmittelbar davor das Galgengerüst aufgestellt hatte. Hier war das Lärmen der Menge laut zu hören, während die Gefängnisglocke gedämpft klang, aber die Glocke der Kirche Saint Sepulchre am anderen Ende der Newgate Street läutete ebenfalls für die Todgeweihten.

»Meine Herren?« Der Sheriff, der nun die Verantwortung für das morgendliche Verfahren trug, wandte sich an die Frühstücksgäste. »Wenn Sie die Treppe zum Galgenpodest hinaufgehen, finden Sie rechts und links Stühle. Wären Sie bitte so nett, zwei in der vorderen Reihe für uns frei zu lassen?«

Als Sir Henry durch den hoch aufragenden Bogen der Schuldnerpforte trat, sah er vor sich den dunklen Hohlraum unter dem Galgenpodest und entdeckte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Unterbau einer Bühne, die auf rohen Holzbalken ruhte. Da Front und Seiten mit schwarzem Boy verhängt waren, drang Licht lediglich durch die Ritzen zwischen den Brettern, die den Boden der erhöhten Plattform bildeten. Rechts von Sir Henry führte eine Holzstiege in den Schatten hinauf, knickte scharf links ab und mündete in einem überdachten Pavillon im hinteren Teil des Podests. Treppe und Plattform machten einen soliden Eindruck, der vergessen ließ, dass sie erst einen Tag vor einer Hinrichtung aufgestellt und im Anschluss sofort wieder abgebaut wurden. Der überdachte Pavillon sollte Ehrengästen bei schlechter Witterung Schutz bieten, aber heute schien die Sonne auf Old Bailey so hell, dass Sir Henry blinzeln musste, als er in den Pavillon trat.

Lauter Jubel begrüßte die Gäste. Wer sie waren, kümmerte niemanden, aber ihr Erscheinen kündete die Ankunft der Gefangenen an. Auf Old Bailey herrschte Gedränge. Jedes Fenster zur Straße war dicht besetzt, und selbst auf den Dächern saßen Leute.

»Zehn Schillinge«, sagte Logan.

»Zehn Schillinge?« Sir Henry begriff wieder einmal nichts.

»Für einen Fensterplatz«, erklärte Logan. »Wenn ein berühmter Verbrecher hingerichtet wird, steigen die Preise auf zwei bis drei Guineen.« Er deutete auf eine Taverne unmittelbar gegenüber vom Galgen. »Die besten Plätze hat das Magpie and Stump, weil man von da direkt in die Fallgrube schauen kann, in die sie fallen.« Er kicherte. »Beim Wirt kann man ein Fernrohr leihen, um sie sterben zu sehen. Aber wir haben natürlich die besten Plätze.«

Sir Henry wollte sich in den Schatten im hinteren Teil des Pavillons zurückziehen, aber da Logan bereits in der vorderen Stuhlreihe Platz genommen hatte, setzte Sir Henry sich neben ihn. Sein Kopf dröhnte von dem entsetzlichen Lärm auf der Straße. Er fühlte sich wie auf einer Theaterbühne, war überwältigt und benommen. So viele Menschen! Überall richteten sich Gesichter auf das schwarz verhängte Podest. Der eigentliche Galgen vor dem Pavillon war dreißig Fuß lang und fünfzehn Fuß breit, überragt von einem dicken Holzbalken, der vom Dach des Pavillons bis zur Plattformkante reichte. Schwarze Metzgerhaken waren in seine Unterseite geschraubt, und eine Leiter stand an ihn gelehnt.

Höhnischer Jubel grüßte die Sheriffs in ihren pelzbesetzten Roben. Sir Henry saß auf einem harten Holzstuhl, der etwas zu schmal und äußerst unbequem war. »Zuerst kommt das Mädchen an die Reihe«, sagte Logan.

»Warum?«

»Weil die Leute ihretwegen gekommen sind«, erklärte Logan. Offenkundig genoss er das Spektakel, was Sir Henry verwunderte. Wieder wünschte er, Rider Sandman wäre bei ihm, denn er vermutete, dass der Soldat einen so leichtfertigen Umgang mit dem Tod nicht billigen würde. Oder war Sandman abgehärtet gegen Gewalt?