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Der Earl schüttelte den Kopf und starrte auf das Schlachtenmodell, um Sandmans Blick auszuweichen. »Ich wollte keine Namen wissen«, sagte er leise. Zum ersten Mal empfand Sandman Mitleid mit dem alten Mann.

»Und die Dienstboten, Mylord? Die Dienstboten aus Ihrem Londoner Haus. Was ist aus ihnen geworden?«

»Woher zum Teufel soll ich das wissen? Hier sind sie nicht«, schimpfte er. »Wieso sollte ich das Personal dieser Hexe hier haben wollen? Ich habe Faulkner gesagt, er soll sehen, dass er sie los wird, einfach los wird.«

»Faulkner?«

»Ein Anwalt, einer der Treuhänder, und wie alle Anwälte ein kriecherisches Miststück.« Der Earl schaute zu Sandman auf. »Ich weiß nicht, was aus Celias verdammten Dienstboten geworden ist, und es kümmert mich auch nicht. So, und jetzt holen Sie Maddox und sagen Sie ihm, dass Sie und ich zum Abendessen Rindfleisch möchten, und dann erzählen Sie mir verdammt noch mal, was passiert ist, als die kaiserliche Garde angegriffen hat.«

Und das tat Sandman.

Er hatte Meg zwar nicht gefunden, aber doch etwas erfahren. Ob es allerdings ausreichte, wusste er nicht.

Am nächsten Morgen fuhr er zurück nach London.

5

Am späten Donnerstagnachmittag traf Sandman wieder in London ein. Er hatte die Postkutsche genommen und die Ausgabe mit der Zeitersparnis vor sich gerechtfertigt, aber kurz vor Thatcham hatte eines der Pferde ein Hufeisen verloren, und anschließend hatte ein Heuwagen mit Achsbruch eine Brücke bei Hammersmith blockiert. Sandman vermutete, dass er die letzten Meilen bis London zu Fuß schneller zurückgelegt hätte, als wenn er abwartete, bis die Straße geräumt war, aber nachdem er die Nacht in unruhigem Schlaf im Stroh des King’s Head in Marlboruogh verbracht hatte, war er müde und blieb in der Kutsche sitzen. Außerdem ärgerte er sich, weil er die Reise nach Wiltshire für vergebens hielt. Er bezweifelte, dass der Earl of Avebury seine Frau getötet hatte oder hatte töten lassen, aber er hatte ohnehin nie an seine Schuld geglaubt. Das einzig Nützliche, was Sandman erfahren hatte, war, dass die Countess ihren Lebensunterhalt mit der Erpressung ihrer Liebhaber bestritten hatte, aber das half ihm nicht herauszufinden, wer diese Liebhaber waren.

Er betrat das Wheatsheaf durch den Hofeingang, wo er sich Wasser in einen Blechbecher pumpte, der mit einer Kette am Schwengel befestigt war. Er trank ihn aus, pumpte noch einmal und drehte sich um, als er Hufschläge im Eingang zum Stall hörte. Jack Hood sattelte einen großen, prachtvollen Rappen. Der Straßenräuber grüßte Sandman mit einem knappen Kopfnicken und beugte sich herunter, um den Sattelgurt zu schließen. Jack Hood war ebenso schwarz und groß wie sein Pferd. Er trug schwarze Stiefel, eine schwarze Hose und dazu einen eng taillierten schwarzen Rock, sein langes, dunkles Haar hatte er mit einem schwarzen Seidenband im Nacken zusammengebunden. Als er sich aufrichtete, bedachte er Sandman mit einem schiefen Grinsen. »Sie sehen müde aus, Captain.«

»Müde, arm, hungrig und durstig«, bestätigte Sandman und pumpte sich einen dritten Becher Wasser.

»Das kommt vom rechtschaffenen Leben«, erklärte Hood munter und steckte zwei Pistolen in die Satteltaschen. »Sie sollten es mit der schiefen Bahn versuchen wie ich.«

Sandman trank das Wasser aus und ließ den Becher los. »Und was machen Sie, wenn man Sie erwischt, Mister Hood?«

Hood führte das Pferd in das Licht der untergehenden Sonne. Es war ein hochgezüchtetes, nervöses Tier, hochtrabend und kapriziös. Ein Pferd, das schnell war wie der Nachtwind, wenn man fliehen musste, vermutete Sandman. »Wenn ich erwischt werde?«, fragte Hood. »Dann komme ich zu Ihnen und bitte Sie um Hilfe. Sally sagt, Sie sind ein Strangmopser.«

»Ein Galgendieb.« Sandman hatte die Gaunersprache mittlerweile gut genug kennen gelernt, um den Ausdruck übersetzen zu können. »Bis jetzt habe ich aber noch niemanden vor dem Galgen bewahrt.«

»Und ich bezweifle, dass es Ihnen je gelingen wird«, sagte Hood finster. »So läuft es nicht in der Welt. Denen da oben ist doch völlig egal, wie viele sie henken, solange wir Übrigen nur merken, dass sie Leute aufknüpfen, Captain.«

»Es ist ihnen durchaus nicht gleichgültig, warum hätten sie mir sonst diesen Auftrag erteilen sollen«, entgegnete Sandman.

Hood bedachte Sandman mit einem skeptischen Blick, stellte den Fuß in den Steigbügel und saß auf. »Wollen Sie mir sagen, dass man Ihnen diesen Auftrag aus reiner Herzensgüte gegeben hat?«, fragte er, während er den linken Fuß in den Steigbügel schob. »Sind dem Innenminister plötzlich Zweifel an der Rechtsprechung in Black Jacks Gericht gekommen?«

»Nein«, räumte Sandman ein.

»Sie wurden beauftragt, weil jemand Einflussreiches wollte, dass Cordays Fall überprüft wird. Jemand Mächtiges, habe ich Recht?«

Sandman nickte. »Genau.«

»Ein Bursche kann unschuldig sein wie ein Neugeborenes, aber wenn er keine einflussreichen Freunde hat, hängt er hoch, stimmt es nicht?«, sagte Hood wütend, warf seine Rockschöße über den Rücken seines Pferdes und griff nach den Zügeln. »Und wahrscheinlich ende ich auf James Bottings Tanzboden, aber das raubt mir weder den Schlaf, noch weine ich eine Träne darüber. Der Galgen ist da, Captain, und wir leben damit, bis wir daran sterben, das werden wir nicht ändern, weil die Schweine es nicht ändern wollen. Das ist ihre Welt, nicht unsere, und sie kämpfen darum, sie so zu erhalten, wie sie sie haben wollen. Sie bringen uns um, schicken uns nach Australien oder brechen uns den Rücken in der Tretmühle, und wissen Sie, warum? Weil sie Angst vor uns haben. Sie haben Angst, dass wir es machen wie der französische Pöbel. Sie haben Angst vor einem Schafott in Newgate. Vielleicht lassen sie zu, dass Sie einen Mann retten, Captain, aber glauben Sie ja nicht, dass Sie etwas ändern könnten.« Er zog dünne schwarze Lederhandschuhe über. »Im Hinterzimmer warten ein paar Burschen auf Sie, Captain. Aber bevor Sie mit ihnen reden, sollten Sie wissen, dass ich gestern Abend im Dog and Duck gegessen habe.«

»In St. George’s Field?«, fragte Sandman, verwundert über diese Bemerkung, die scheinbar in keinerlei Zusammenhang zu der vorherigen Mitteilung stand.

»Da wohnen und essen viele Straßenritter«, sagte Hood, »weil es bequem für die westlichen Landstraßen ist.« Er meinte, dass in der Schänke viele Straßenräuber verkehrten. »Und da habe ich etwas flüstern hören, Captain. Fünfzig Mäuse für Ihr Leben.« Er hob eine Augenbraue. »Sie haben wohl jemanden geärgert, Captain. Im ‘Sheaf habe ich klar gemacht, dass niemand Ihnen ein Haar krümmen darf, weil Sie nett zu meiner Sal waren, und ich passe auf jeden auf, der auf sie aufpasst, aber ich habe nicht jede Spelunke in London im Griff.«

Sandmans Herz stockte. Fünfzig Guineen für sein Leben? War das ein Kompliment oder eine Beleidigung? »Sie wissen nicht zufällig, wer die Belohnung ausgesetzt hat?«, fragte er.

»Ich habe gefragt, aber niemand wusste es. Aber es ist eine Menge Geld, Captain, also passen Sie auf sich auf. Vielen Dank.« Der Dank galt der Tatsache, dass Sandman ihm das Hoftor geöffnet hatte.

Sandman schaute zu dem Reiter auf. »Sie schauen sich heute Abend Sally nicht auf der Bühne an?«

Hood schüttelte den Kopf. »Hab sie schon oft genug gesehen«, sagte er kurz und bündig. »Und ich habe selbst was zu erledigen, was sie sich auch nicht anschaut.« Grußlos gab er seinem Pferd die Sporen und ritt nordwärts hinter einem Fuhrwerk her, das frisch gebrannte Ziegel geladen hatte.

Sandman schloss das Tor. Als Viscount Sidmouth ihm diesen Auftrag erteilt hatte, hatte er angedeutet, es sei eine leichte Aufgabe, ein Monatsgehalt für einen Tag Arbeit, doch plötzlich stand für ein Monatsgehalt sein Leben auf dem Spiel. Sandman drehte sich um und starrte auf die schmutzigen Fenster des Hinterzimmers, da sich aber die Abendsonne in den kleinen Fensterscheiben spiegelte, konnte er nicht hineinsehen. Aber wer immer dort warten mochte, hatte ihn im Blick. Daher ging er nicht geradewegs ins Hinterzimmer, sondern nahm den Umweg durch das Fasslager zu dem Flur, wo sich eine Durchreiche befand. Vorsichtig schob er das Schiebefenster ein Stückchen auf und beugte sich herunter, um durch den Spalt zu lauern.