Hinter sich hörte er Schritte, doch bevor er sich umdrehen konnte, spürte er einen Pistolenlauf kalt an seinem Ohr. »Ein guter Soldat betreibt immer zuerst Aufklärung, was Captain?«, sagte Sergeant Berrigan. »Ich dachte mir schon, dass Sie zuerst hierher kommen.«
Als Sandman sich aufrichtete, sah er, dass der Sergeant sich freute, Sandman übertölpelt zu haben. »Und, was haben Sie jetzt vor, Sergeant?«, fragte er. »Wollen Sie mich erschießen?«
»Ich will mich lediglich vergewissern, dass Sie keine Waffe tragen«, sagte Berrigan, schob mit seinem Pistolenlauf Sandmans Rock auseinander und überzeugte sich, dass der Captain unbewaffnet war. Dann deutete er mit dem Kopf auf die Tür des Hinterzimmers. »Nach Ihnen, Captain.«
»Sergeant«, setzte Sandman an in der Absicht, an das Gute in Berrigan zu appellieren, aber von dieser Seite seines Wesens war nichts zu spüren, denn er richtete die Pistole auf Sandmans Brust. Sandman kam in den Sinn, den Lauf beiseite zu stoßen und Berrigan sein Knie zwischen die Beine zu rammen, aber der Sergeant schüttelte mit dem Anflug eines Grinsens fast unmerklich den Kopf, als wolle er Sandman warnen, es ja nicht zu versuchen. »Durch die Tür?«, fragte Sandman. Als Berrigan nickte, drehte er den Türknauf und betrat das Hinterzimmer.
Der Marquess of Skavadale und Lord Robin Holloway saßen auf dem Sofa hinter dem langen Tisch. Beide trugen elegant geschnittene schwarze Röcke, geblümte Krawatten und hautenge Hosen. Beim Anblick Sandmans flammte in Holloways Miene Zorn auf, aber Skavadale erhob sich höflich und lächelte. »Mein lieber Captain Sandman, wie nett, dass Sie sich zu uns gesellen.«
»Warten Sie schon lange?«, fragte Sandman aufsässig.
»Eine halbe Stunde«, antwortete Skavadale freundlich. »Wir hatten erwartet, Sie schon früher hier anzutreffen, aber das Warten war nicht übermäßig ermüdend. Nehmen Sie doch Platz, Sir.«
Zögernd setzte Sandman sich, nachdem er einen verstohlenen Blick auf Berrigan geworfen hatte, der die Tür des Hinterzimmers geschlossen und die Pistole gesenkt, aber nicht weggesteckt hatte. Der Sergeant blieb an der Tür stehen und beobachtete Sandman. Der Marquess of Skavadale nahm den Korken von einer Weinflasche und schenkte ein Glas ein. »Ein recht schlichter Claret, Captain, aber nach Ihrer Reise dürfte er Ihnen genehm sein. Schließlich ist das hier das Wheatsheaf, ein Etablissement nicht von Welt, sondern von Unterwelt. Das ist gut, Robin, nicht wahr? Nicht von Welt, sondern von Unterwelt?«
Lord Robin Holloway schwieg, lächelte nicht einmal, sondern starrte Sandman unverwandt an. Auf seinen Wangen prangten immer noch zwei rote Striemen, wo Sandman ihn mit dem Degen getroffen hatte. Skavadale schob das Glas Wein über den Tisch und wirkte bekümmert, als Sandman es mit einem Kopfschütteln ablehnte. »Ach kommen Sie, Captain, wir sind in freundlicher Absicht hier«, sagte Skavadale stirnrunzelnd.
»Und ich bin hier, weil man mich mit der Pistole bedroht hat.«
»Stecken Sie sie weg, Sergeant«, befahl Skavadale und prostete Sandman zu. »Ich habe in den letzten Tagen einiges über Sie erfahren, Captain. Dass Sie ein ausgezeichneter Kricketspieler sind, wusste ich selbstverständlich, aber Sie haben sich auch in anderer Hinsicht einen Namen gemacht.«
»In welcher Hinsicht?«, fragte Sandman düster.
»Sie waren ein guter Soldat«, sagte Skavadale.
»So?«
»Aber Sie hatten wenig Glück mit Ihrem Vater«, sagte Skavadale taktvoll. »Wie ich höre, unterstützen Sie nun Ihre Mutter und Ihre Schwester, nicht wahr, Captain?« Er wartete auf eine Antwort, aber Sandman rührte sich nicht. »Eine Schande, wenn Menschen von Stand zur Armut verdammt sind. Ohne Sie wäre Ihre Mutter schon lange auf Almosen angewiesen und Ihre Schwester wäre was? Gouvernante? Mätresse? Aber mit einer kleinen Mitgift könnte sie immer noch eine recht ordentliche Partie machen, nicht wahr, Captain?«
Sandman sprach immer noch nicht, aber Lord Skavadale hatte nichts als die Wahrheit gesagt. Sandmans Schwester Belle war neunzehn Jahre alt, und ihre einzige Chance, der Armut zu entkommen, bestand in einer vorteilhaften Heirat, aber ohne Mitgift konnte sie nicht auf einen respektablen Ehemann hoffen. Mit etwas Glück fände sich vielleicht ein Kaufmann, der bereit wäre, sie zu heiraten, doch Sandman wusste, dass sie einen solchen Ehemann nie akzeptieren würde, da sie ebenso wie ihre Mutter einen übertriebenen Standesdünkel hegte. Vor einem Jahr, noch vor dem Tod ihres Vaters, hatte Belle mit einer Mitgift von mehreren tausend Pfund rechnen dürfen, die ausgereicht hätten, einen Aristokraten zu reizen und ein solides Einkommen zu sichern. Diesen Aussichten trauerte sie immer noch nach und machte aus unerfindlichen Gründen Sandman dafür verantwortlich, dass sie sich zerschlagen hatten. Sandman war in London, weil er die Vorwürfe seiner Mutter und Schwester nicht länger ertragen hatte, die von ihm erwarteten, dass er seinen Vater ersetzte und ihnen grenzenlosen Luxus bot.
»Nun«, sagte Skavadale, »die Spielsucht Ihres Vaters hat Ihre Familie in Not gebracht, nicht wahr, Captain? Aber Sie bemühen sich, einen Teil der Schulden abzutragen. Sie haben den schwierigen Weg gewählt, und das ist ehrenhaft, äußerst ehrenhaft. Ist das nicht ehrenhaft, Robin?«
Lord Robin Holloway schwieg, zuckte lediglich die Achseln und musterte Sandman mit kaltem Blick.
»Was haben Sie nun vor, Captain?«, fragte Skavadale.
»Was ich vorhabe?«
»Mutter und Schwester ernähren, Schulden bezahlen und keine Anstellung, außer gelegentlich ein Kricketspiel?«, fragte Skavadale und hob in gespielter Verwunderung die Augenbrauen. »Soviel ich gehört habe, ist der Auftrag des Innenministers sehr vorübergehender Natur und dürfte wohl kaum zu dauerhaften Einkünften führen. Was haben Sie also vor?«
»Was haben Sie vor?«, gab Sandman die Frage zurück.
»Verzeihung?«
»Soweit ich weiß, geht es Ihnen nicht viel besser als mir«, erwiderte Sandman, dem einfiel, was Lord Alexander ihm über den Marquess of Skavadale erzählt hatte. »Ihre Familie besaß früher ein beträchtliches Vermögen, aber es hat auch Spieler gegeben.«
Der Marquess wirkte für einen Moment verärgert, ging aber nicht auf die Beleidigung ein, sondern antwortete leichthin: »Ich werde eine gute Partie machen, also reich heiraten. Und Sie?«
»Vielleicht mache ich ja auch eine gute Partie«, sagte Sandman.
»Tatsächlich?« Skavadale hob skeptisch die Augenbrauen.
»Ich erbe den Titel eines Herzogs, Sandman, das ist für ein Mädchen eine große Verlockung. Und was haben Sie zu bieten? Ihr Können im Kricket? Faszinierende Erinnerungen an Waterloo?« Der Ton Seiner Lordschaft war immer noch höflich, aber sein Zorn war unverkennbar. »Mädchen mit Geld heiraten entweder Geld oder Adel, Captain, weil Geld und Adel das einzige ist, was in dieser Welt zählt.«
»Und was ist mit Ehrlichkeit? Und Ehre?«, fragte Sandman.
»Nur Geld und Adel«, wiederholte Skavadale ausdruckslos. »Meine Familie mag kurz vor dem Bankrott stehen, aber wir besitzen einen Adelstitel. Bei Gott, wir haben einen Adelstitel, und der wird uns wieder zu Geld verhelfen.«
»Geld und Adel«, sagte Sandman nachdenklich. »Welchen Trost haben Sie dann für einen Mann wie Sergeant Berrigan, der von niederem Stand ist und, wie ich annehme, nur über armseligen Besitz verfügt?«
Skavadale ließ den Blick müßig zum Sergeant schweifen. »Ich rate ihm, sich einem Mann von Adel und Besitz anzuschließen, Captain. So geht es in dieser Welt nun mal zu. Er dient, ich gebe ihm seinen Lohn, und es ist zu unser beider Nutzen.«
»Und wie passe ich in diesen gottgegebenen Plan?«, fragte Sandman.