Der Anflug eines Lächelns huschte über Skavadales Gesicht. »Sie sind ein Gentleman, Captain, Sie stammen aus vornehmem Haus, aber man hat Ihnen Ihren Anteil am Wohlstand versagt. Wenn Sie erlauben, möchten wir«, er deutete auf den blassen Lord Robin Holloway, »und mit wir meine ich sämtliche Mitglieder des Seraphim Clubs, diesem Mangel abhelfen.« Er zog ein Blatt Papier aus der Tasche, legte es auf den Tisch und schob es Sandman zu.
»Abhelfen?«, fragte Sandman verständnislos, aber Skavadale deutete nur schweigend auf das Papier, das Sandman nahm und auseinander faltete. Als Erstes sah er Lord Robin Holloways großzügige Unterschrift und als Zweites die Zahl.
Er starrte darauf und schaute Lord Skavadale an, der lächelte. Sandman schaute erneut auf das Papier. Es war ein Wechsel über zwanzigtausend Guineen, auszuzahlen an Rider Sandman, ausgestellt auf Lord Robin Holloways Konto bei der Courts Bank.
Zwanzigtausend. Seine Hände zitterten leicht. Er zwang sich, tief durchzuatmen.
Das löste all seine Probleme. Alle.
Mit zwanzigtausend Guineen könnte er die kleineren Schulden seines Vaters begleichen, seiner Mutter und Schwester ein hübsches Haus kaufen, und es bliebe noch genug übrig, um ein Einkommen von sechs- bis siebenhundert Pfund im Jahr zu sichern, was zwar wenig war im Vergleich zu dem, was seine Mutter gewohnt war, aber mit sechshundert Pfund im Jahr konnte eine Frau mit ihrer Tochter ihre Stellung im Landadel aufrecht erhalten. Es war ein respektables Einkommen. Sie konnten sich vielleicht keine Kutsche mit Pferden leisten, aber doch immerhin ein Dienstmädchen und eine Köchin, und sie konnten jeden Sonntag ein Goldstück in den Klingelbeutel werfen und ihre Nachbarinnen ausreichend stilvoll empfangen. Sie würden sich nicht länger bei Rider Sandman über ihre Armut beklagen.
Mit lautem Hufschlag und Kettengerassel fuhr ein Tafelwagen in den Hof, aber Sandman bemerkte den Lärm gar nicht. Er hing dem verlockenden Gedanken nach, die Ansprüche der Kaufleute zu ignorieren, die der Selbstmord seines Vaters an den Rand des Ruins gebracht hatte, da er schließlich nicht für die Schulden seines Vaters verantwortlich sei; damit könnte er seiner Mutter sogar ein Jahreseinkommen von achthundert Pfund sichern. Das Beste aber war, dass zwanzigtausend Guineen ein ausreichend großes Vermögen darstellen dürften, um Lady Forrests Vorbehalte gegen seine Heirat mit Eleanor zunichte zu machen. Er starrte den Wechsel an. Alles wäre wieder möglich. Eleanor, dachte er, Eleanor; er dachte an das Geld, das Eleanor mit in die Ehe bringen würde, und wusste, dass er wieder reich wäre, Pferde im Stall hätte, den ganzen Sommer Kricket spielen und den ganzen Winter zur Jagd gehen könnte. Er wäre wieder ein richtiger Gentleman und brauchte nicht mehr auf den Penny zu achten oder sich selbst um seine Wäsche zu kümmern.
Er schaute in Lord Robin Holloways Augen. Der junge Mann war ein Dummkopf, der Sandman zum Duell hatte herausfordern wollen, und nun wollte er ihm ein Vermögen schenken? Lord Robin ignorierte Sandmans Blick und starrte auf ein Spinnennetz an der Zimmerdecke. Lord Skavadale lächelte Sandman an. Es war das wohlwollende Lächeln eines Mannes, der sich über das Glück eines anderen freute, ein Lächeln, das Sandman beschämte. Er schämte sich, weil er in Versuchung geraten war, in echte Versuchung. »Sie glauben, wir wollen Sie bestechen?«, fragte Lord Skavadale besorgt, als er die Veränderung in Sandman Miene bemerkte.
»Mit solcher Großzügigkeit von Lord Robin habe ich nicht gerechnet«, sagte Sandman trocken.
»Alle Mitglieder des Seraphim Clubs haben sich beteiligt«, erklärte der Marquess, »und mein Freund Robin hat das Geld eingesammelt. Es ist natürlich ein Geschenk, kein Bestechungsgeld.«
»Ein Geschenk?«, wiederholte Sandman bitter. »Keine Bestechung?«
»Selbstverständlich ist es keine Bestechung«, bekräftigte Skavadale bestimmt, »wahrhaftig nicht.« Er stand auf, trat ans Fenster und beobachtete, wie die Bierfässer vom Tafelwagen über eine Planke heruntergerollt wurden. Schließlich drehte er sich lächelnd wieder um. »Ich empfinde es als Beleidigung, wenn ein Gentleman in Not gerät, Captain Sandman. So etwas verstößt gegen die natürliche Ordnung, finden Sie nicht auch? Und wenn dieser Gentleman ein Offizier ist, der ritterlich für sein Land gekämpft hat, ist die Beleidigung umso größer. Wie ich Ihnen bereits erklärt habe, besteht der Seraphim Club aus Männern, die bestrebt sind, die Besten zu sein. Was sind Engel denn anderes als Wesen, die Gutes tun? Wir sähen Sie und Ihre Familie also gern wieder an Ihrem angestammten Platz in der Gesellschaft. Das ist alles.« Er zuckte die Achseln, als handele es sich tatsächlich bloß um eine kleine Geste.
Sandman hätte ihm nur zu gern geglaubt. Lord Skavadale klang so vernünftig und ruhig, als ob dieser Vorgang etwas ganz Alltägliches sei. Aber Sandman wusste es besser. »Sie bieten mir ein Almosen an«, sagte er.
Lord Skavadale schüttelte den Kopf. »Lediglich eine Korrektur blinden Schicksals, Captain.«
»Und was erwarten Sie von mir als Gegenleistung, wenn ich mein Schicksal von Ihnen korrigieren lasse?«, fragte Sandman.
Lord Skavadale schaute gekränkt drein, als sei es ihm nicht im Traum eingefallen, von Sandman als Gegenleistung für ein kleines Vermögen eine Gefälligkeit zu erwarten. »Ich erwarte lediglich, dass Sie sich wie ein Gentleman verhalten, Captain«, antwortete er steif.
Sandman warf einen Blick auf Lord Robin Holloway, der immer noch kein Wort gesprochen hatte. »Ich denke, das tue ich immer«, erwiderte Sandman frostig.
»Dann wissen Sie ja wohl, dass Gentlemen keine bezahlte Tätigkeit ausüben, Captain«, sagte Skavadale spitz.
Sandman schwieg.
Lord Skavadale schien leicht pikiert über sein Schweigen. »Daher werden Sie selbstverständlich jegliche bezahlte Tätigkeit aufgeben, wenn Sie diesen Wechsel annehmen, Captain.«
Sandman schaute auf das kleine Vermögen in seiner Hand. »Ich schreibe also an den Innenminister und lege das Amt als sein Ermittler nieder?«
»Das wäre sicherlich die ehrenwerteste Handlungsweise«, stellte Skavadale fest.
»Wie ehrenhaft ist es, einen Unschuldigen hinrichten zu lassen?«, fragte Sandman.
»Ist er unschuldig?«, fragte Skavadale. »Sie haben dem Sergeant gesagt, Sie wollten von Ihrer Reise aufs Land Beweise mitbringen. Ist es Ihnen gelungen?« Er wartete, aber Sandmans Miene ließ deutlich erkennen, dass er keine Beweise hatte. Skavadale zuckte die Achseln, als wolle er sagen, dann könne Sandman ja durchaus einen hoffnungslos Verlorenen aufgeben und das Geld annehmen.
Sandman war in Versuchung, ernstlich in Versuchung, aber zugleich schämte er sich dafür. So zwang er sich, den Wechsel in Stücke zu reißen. Beim ersten Riss sah er Lord Skavadale verwundert blinzeln und gleich darauf zornig werden. Plötzlich überfiel Sandman Angst, nicht vor Skavadales Wut, sondern vor seiner eigenen Zukunft und der ungeheuren Größe des Vermögens, das er ausgeschlagen hatte.
Er streute die Schnipsel auf den Tisch. Der Marquess of Skavadale und Lord Robin Holloway standen auf. Keiner sagte ein Wort. Sie schauten Sergeant Berrigan an, als erteilten sie ihm einen unausgesprochenen Befehl, und gingen, ohne Sandman eines Blickes zu würdigen. Ihre Schritte hallten noch durch den Flur, als Sandman kaltes Metall im Nacken spürte und erkannte, dass es die Pistole war. Sandman spannte sämtliche Muskeln an und überlegte, sich nach hinten zu werfen, um Berrigan aus dem Gleichgewicht zu bringen, aber der Sergeant grub den kalten Lauf fest in Sandmans Nacken. »Sie hatten Ihre Chance, Captain.«
»Sie haben immer noch eine Chance, Sergeant«, antwortete Sandman.
»Aber ich bin kein Narr«, sagte Berrigan, »und ich werde Sie nicht hier töten. Nicht hier und jetzt. Zu viele Leute in der Schänke. Wenn ich Sie hier töte, tanze ich in Newgate, Captain.« Der Druck der Pistole wich, und der Sergeant flüsterte Sandman ins Ohr: »Passen Sie auf sich auf, Captain, passen Sie auf sich auf.« Den gleichen Rat hatte ihm auch Jack Hood gegeben.