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Sandman hörte, wie die Tür sich öffnete und wieder schloss und die Schritte des Sergeant leiser wurden.

Zwanzigtausend Guineen, dachte er. Dahin.

Reverend Lord Alexander Pleydell hatte sich für die Vorstellung eine Loge im Covent-Garden-Theater gesichert. »Ich kann nicht sagen, dass ich große Kunst erwarte«, erklärte er, als er Sandman durch die Menge folgte, »außer von Miss Hood. Ich bin sicher, sie wird mehr als hinreißend sein.« Seine Lordschaft hielt ebenso wie Sandman die Hände fest in den Taschen, da das dichte Gedränge im Theater ein berüchtigtes Jagdrevier für Taschendiebe war. Mit schriller Stimme fragte er: »Weißt du eigentlich, dass es bei Taschendieben eine richtige Hierarchie gibt?«

»Ich habe das Gespräch mit angehört, Alexander«, antwortete Sandman. Bevor sie das Wheatsheaf verlassen hatten, hatte Lord Alexander sich eine weitere Lektion in der Unterweltsprache erteilen lassen, dieses Mal von dem Wirt Jenkins, dem es gefiel, einen adeligen Reverend zu seinen Gästen zählen zu dürfen. Lord Alexander hatte sich Notizen gemacht und zu seiner Freude erfahren, dass der niedrigste Rang der Taschendiebe die Kinder waren, die Taschentücher stahlen, während die Könige dieses blühenden Gewerbes die Diebe von Taschenuhren waren. Es gab unterschiedliche Bezeichnungen für die verschiedenen Taschendiebe wie auch für die einzelnen Taschenarten. »Garret, Hoxter, Kickseys, Pit, Rough-fammy, Salt Box Cly und Slip«, leierte Lord Alexander herunter. »Habe ich eine vergessen?«

»Ich habe nicht aufgepasst.« Sandman schob sich näher an das hell erleuchtete Vordach des Theaters heran.

»Garret, Hoxter, Kickseys, Pit, Rough-fammy, Salt Box Cly und Slip«, wiederholte Lord Alexander sehr zur Verwirrung der Umstehenden. Garret war das Uhrtäschchen in einer Weste, Rough-fammies waren die unteren Westentaschen, Hoxter hieß die Innentasche eines Gehrocks, Kickseys die Hosentaschen, Pit eine Brusttasche ohne Klappe, eine Jackentasche mit Klappe hieß Salt Box Cly und eine hintere Tasche, die am einfachsten auszuräubern war, hieß Slip. »Meinst du, Miss Hood geht nach der Vorstellung mit uns essen?«, rief Lord Alexander über den Lärm der Menge hinweg.

»Ich bin überzeugt, sie schwelgt nur zu gern in der Bewunderung einer ihrer Verehrer.«

»Einer ihrer Verehrer?«, fragte Lord Alexander besorgt. »Du denkst doch wohl nicht an Kit Carne, oder?«

Sandman dachte keineswegs an Lord Christopher Carne, zuckte aber die Achseln, als sei der Erbe des Earl of Avebury tatsächlich ein Rivale um Sallys Gunst. Lord Alexander schaute ihn äußerst missbilligend an. »Kit ist als Mann nicht ernst zu nehmen, Rider.«

»Ich fand ihn sehr ernsthaft.«

»Ich habe den Eindruck, dass er schwach ist«, sagte Lord Alexander hochmütig.

»Schwach?«

»Neulich Abend hat er Miss Hood ständig mit abwesendem Blick angestarrt!«, sagte Lord Alexander. »Lächerliches Benehmen. Ich unterhielt mich mit ihr, und er stierte nur mit offenem Mund! Weiß Gott, was sie von ihm dachte.«

»Das kann ich mir nicht vorstellen«, sagte Sandman.

»Er stierte wie ein Fisch!« Als ein Kind aufschrie, drehte Lord Alexander sich erschrocken um. »Was ist passiert?«, fragte er besorgt.

»Jemand hat wohl Angelhaken in seiner Tasche, und ein kleiner Taschendieb hat sich die Finger aufgerissen«, vermutete Sandman. Es war eine gängige Methode, sich vor Taschendieben zu schützen.

»Diese Lektion wird das Kind wohl nicht so bald vergessen«, erklärte Lord Alexander fromm. »Aber ich darf nicht so hart über Kit urteilen. Er hat wenig Erfahrung mit Frauen und ist gegen ihre Reize nicht gefeit, fürchte ich.«

»Von einem Mann, der darauf brennt, Sally Hood tanzen zu sehen, ist das ein starkes Urteil.«

Lord Alexander grinste. »Selbst ich bin nicht vollkommen. Kit wollte heute Abend ebenfalls kommen, aber ich habe ihm gesagt, er soll sich selbst eine Eintrittskarte kaufen. Meine Güte, wahrscheinlich hätte er sogar anschließend mit zu dem Abendessen mit Miss Hood gehen wollen! Glaubst du, sie würde mit uns nach Newgate gehen?«

»Nach Newgate?«

»Zu einer Hinrichtung! Ich habe dir doch gesagt, dass ich die Gefängnisverwaltung um einen bevorzugten Platz bitten würde. Ich habe bereits einen Brief geschrieben, aber bisher noch keine Antwort bekommen. Ich bin aber sicher, dass sie meiner Bitte nachkommen werden.«

»Und ich bin sicher, dass ich nicht mitkommen werde«, rief Sandman über den Lärm hinweg. In diesem Augenblick ging es aus unerfindlichen Gründen ruckartig vorwärts, und Sandman erreichte den Eingang. Wenn das Gedränge durch bezahlte Zuschauer verursacht war, hatte Mister Spofforth ein kleines Vermögen dafür zahlen müssen. Mister Spofforth war der Mann, der das Theater an diesem Abend für seinen Schützling, Miss Sacharissa Lasorda, gemietet hatte, die als neue Vestris angekündigt wurde. Die alte Vestris war eine erst zwanzigjährige italienische Schauspielerin von atemberaubender Schönheit, die in dem Ruf stand, die Abendeinnahmen eines Theaters um dreihundert Pfund zu erhöhen, indem sie nur ihre Beine entblößte. Den Durchbruch zu einer ähnlich einträglichen Karriere versuchte Mister Spofforth nun für Miss Lasorda zu organisieren.

»Kennst du Spofforth?«, fragte Sandman seinen Freund. Sie befanden sich inzwischen im Inneren des Theaters, wo eine alte Frau sie eine muffige Treppe zu ihrer Loge hinaufführte.

»Selbstverständlich kenne ich William Spofforth.« Lord Alexanders Klumpfuß schlug laut gegen die Stufen, als er sich mannhaft die dunkle Treppe hinaufkämpfte. »Er war in Marlborough. Ein ziemlich dummer Bursche, dessen Vater ein Vermögen mit Zucker gemacht hat. Der junge Spofforth, der heute Abend unser Gastgeber ist, konnte beim Kricket zwar den Dreistab verteidigen, hatte aber keine Ahnung, wie man Feldspieler aufstellt.«

»Ich finde, das ist Aufgabe des Mannschaftskapitäns oder des Werfers«, wandte Sandman nachsichtig ein.

»Eine absurde Behauptung«, fuhr Lord Alexander ihn an. »Kricket ist kein Kricket mehr, wenn der Torhüter seine Pflicht vernachlässigt, die Spielaufstellung zu bestimmen. Er sieht genauso gut wie der Schlagmann, wer wäre also in einer besseren Position, die Aufstellung zu bestimmen, als er? Wirklich, Rider, ich bewundere deine Qualitäten als Schlagmann wie kein anderer, aber wenn es um ein theoretisches Spielverständnis geht, bist du wahrhaftig wie ein Kind.« Es war ein uralter Streit, auf den sie sich auch nun munter einließen, während sie ihre Plätze oberhalb der Bühne einnahmen. Lord Alexander hatte sein Pfeifenetui mit und zündete sich die erste Pfeife des Abends an. Der Rauch zog in Kringeln an einem großen Schild vorüber, das Rauchen im Theater verbot. Das Haus war mit über dreihundert Zuschauern voll besetzt, sie waren allerdings rüpelhaft und viele schon angetrunken, was vermuten ließ, dass Mister Spofforths Diener die Claqueure aus den Schänken geholt hatten. In einer gegenüberliegenden Loge wurden einige Zeitungsschreiber mit Champagner, Brandy und Austern bei Laune gehalten. In der benachbarten Loge saß Mister Spofforth, ein reservierter Beau mit einem Kragen bis an die Ohren, und behielt besorgt die Journalisten im Auge, die ihn so viel Geld kosteten und mit ihrem Verdikt über Wohl und Wehe seiner Geliebten entscheiden würden. Schon jetzt war einer der Kritiker eingeschlafen, ein anderer machte sich an einer Frau zu schaffen, während die beiden Übrigen den Logenkellner bedrängten, mehr Champagner zu bringen. Ein Dutzend Musiker kamen nacheinander in den Orchestergraben und stimmten ihre Instrumente.

»Ich stelle eine Mannschaft aus Gentlemen zusammen, die Ende des Monats gegen Hampshire spielen soll«, sagte Lord Alexander. »Ich hatte gehofft, dass du mitspielst.«

»Ja, gern. Soll das Spiel in Hampshire stattfinden?«, fragte Sandman besorgt, weil ihm nicht sonderlich daran gelegen war, in die Nähe von Wiltshire zu fahren und sich dem Gejammer und den Ansprüchen seiner Mutter auszusetzen.