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»Hier in London«, antwortete Lord Alexander, »auf dem Thomas-Lord-Platz.«

Sandman verzog das Gesicht. »Auf diesem elenden Hügel?«

»Der Platz ist völlig in Ordnung«, sagte Lord Alexander beleidigt, »vielleicht ein bisschen abschüssig. Außerdem habe ich schon fünfzig Guineen auf den Ausgang des Spiels gesetzt. Deshalb möchte ich ja, dass du mitspielst. Wenn du in meiner Mannschaft bist, erhöhe ich den Einsatz noch.«

Sandman stöhnte. »Geld verdirbt das Spiel, Alexander.«

»Deshalb müssen wir alle, die wir gegen Korruption sind, das Spiel tatkräftig unterstützen«, beharrte Lord Alexander. »Also, spielst du?«

»Ich bin ganz aus der Übung«, warnte Sandman seinen Freund.

»Dann solltest du anfangen zu trainieren«, erklärte Lord Alexander gereizt und zündete sich eine neue Pfeife an. Er musterte Sandman stirnrunzelnd. »Glaubst du, Miss Hood hätte Spaß an Kricket?«

»Ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass sie Kricket spielt.«

»Sei nicht absurd, Rider, ich meine doch als Zuschauerin.«

»Da musst du sie schon selbst fragen, Alexander«, antwortete Sandman und beugte sich über die Balustrade, um in den Saal zu schauen, wo ein Grüppchen aus dem Wheatsheaf sich anschickte, Sally zuzujubeln. Zwei Dirnen, die am Orchestergraben vorübergingen und bemerkten, dass er nach unten schaute, bedeuteten ihm mit Gesten, dass sie gern bereit wären, in die Loge hinaufzukommen. Hastig schüttelte Sandman den Kopf und zog sich außer Sichtweite zurück. »Und wenn sie tot ist?«, sagte er unvermittelt.

»Miss Hood? Tot? Warum sollte sie?« Lord Alexander wirkte sehr besorgt. »War sie krank? Das hättest du mir sagen müssen!«

»Ich spreche doch von dieser Zofe Meg.«

»Ach, von der«, sagte Lord Alexander geistesabwesend und musterte nachdenklich seine Pfeife. »Erinnerst du dich an diese spanischen Zigarren, die so in Mode waren, als du in Spanien gegen die Truppen der Aufklärung gekämpft hast?«

»Selbstverständlich.«

»Sie sind nirgendwo zu bekommen, dabei mochte ich sie gern.«

»Versuche es mal bei Pettigrews in der Old Bond Street«, empfahl Sandman leicht verärgert, weil sein Freund seine Sorge um Meg völlig ignorierte.

»Da habe ich es schon versucht. Sie haben keine. Dabei mochte ich sie wirklich gern.«

»Ich kenne jemanden, der überlegt, sie zu importieren«, sagte Sandman, dem plötzlich Sergeant Berrigans Vorhaben einfiel.

»Sag mir Bescheid, wenn es so weit ist.« Lord Alexander blies den Rauch in Richtung der vergoldeten Cherubim an die Decke. »Wissen deine Freunde aus dem Seraphim Club, dass du hinter Meg her bist?«

»Nein.«

»Sie haben also keinen Grund, sie zu suchen und zu töten. Und sollten sie ihren Tod bereits beim Mord der Countess gewollt haben – vorausgesetzt, sie haben diese grauenhafte Tat wirklich begangen –, dann hätten sie ihre Leiche neben der ihrer Herrin liegen lassen, damit Corday für beide Morde verurteilt würde. Das deutet doch wohl darauf hin, dass dieses Mädchen noch lebt. Rider, mir scheint, dein Ermittlungsauftrag verlangt sehr viel logisches Denken, und deshalb bist du eine ganz schlechte Wahl für dieses Amt. Aber du kannst mich jederzeit um Rat fragen.«

»Das ist sehr nett von dir, Alexander.«

»Ich gebe mir alle Mühe, immer nett zu sein, mein Lieber«, strahlte Lord Alexander selbstzufrieden.

Jubel wurde laut, als einige Jungen im Saal herumgingen und die Lampen löschten. Die Musiker zupften ein letztes Mal versuchsweise auf ihren Instrumenten und warteten dann auf den Einsatz des Dirigenten. Einige Zuschauer im Saal forderten mit Pfiffen, dass der Vorhang sich öffne. Das Kulissenschieben erledigten meist Matrosen, die den Umgang mit Seilen und das Arbeiten in großer Höhe gewohnt waren, und wie auf See wurden auch die Kommandos durch Pfiffe erteilt und das Pfeifen des Publikums verriet die Ungeduld, aber der Vorhang blieb beharrlich geschlossen. Weitere Lampen wurden gelöscht und schließlich die Scheinwerfer am Bühnenrand geöffnet. Ein Trommelwirbel erschallte, und ein Schauspieler in wehendem Umhang sprang hinter dem Vorhang hervor, um den Prolog des Stückes auf der breiten Vorbühne zu rezitieren.

In Afrika, der Heimat fern,

ein Junge streift umher so gern,

Aladdin war unseres Helden Name …

Weiter kam er nicht, da das Publikum ihn mit einer Kakophonie aus Rufen und Pfiffen übertönte. »Wir wollen die Beine des Mädchens sehen!«, brüllte ein Mann aus der Loge neben Sandman. »Zeig uns ihre Beine!«

»Ich glaube, die Anhänger der Vestris sind hier!«, brüllte Lord Alexander seinem Freund ins Ohr.

Mister Spofforth wirkte besorgter denn je. Die Zeitungsschreiber wurden allmählich aufmerksam, nachdem die Menge laut grölte, aber die Musiker, die das alles schon kannten, begannen unbeirrt zu spielen, was die Zuschauer ein wenig beruhigte. Sie jubelten, als der Prolog abgebrochen wurde und der schwere scharlachrote Vorhang sich öffnete. Auf einer Lichtung in Afrika rahmten Eichen und gelbe Rosen ein Götzenbild, das den Eingang einer Höhle bewachte, wo ein Dutzend weiße Eingeborene schliefen. Sally war eine der Eingeborenen, die aus unerfindlichen Gründen weiße Strümpfe, schwarze Samtjäckchen und sehr kurze Schottenröckchen trugen. Lord Alexander johlte, als die zwölf Mädchen aufstanden und zu tanzen begannen. Auch die Stammkunden des Wheatsheaf, die unten im Saal saßen, jubelten laut, während die Vestris-Anhänger höhnische Kommentare grölten, da sie annahmen, der Jubel stamme von Spofforths Claqueuren. »Bringt das Mädchen raus!«, brüllte der Mann in der Nachbarloge. Eine Pflaume flog in hohem Bogen auf die Bühne und zerplatzte an dem Götzenbild, das dem Totempfahl der Indianer verdächtig ähnlich sah. Mister Spofforth versuchte mit hilflosen Gesten, das Publikum zu beruhigen, das offenbar fest entschlossen war, Unruhe zu stiften. Zumindest galt das für die Hälfte der Zuschauer, die von den Vestris-Anhängern angeheuert waren, während die andere Hälfte, von Mister Spofforth bezahlt, zu eingeschüchtert war, um dagegen anzukämpfen. Einige Zuschauer hatten Rasseln, die den hohen vergoldeten Saal mit lautem Knattern erfüllten. »Das wird übel«, sagte Lord Alexander genüsslich. »Herrlich!«

Die Theaterleitung nahm offenbar an, Miss Sacharissa Lasordas Auftritt würde die Menge beruhigen, denn das Mädchen wurde vorzeitig auf die Bühne geschoben. Mister Spofforth stand auf und klatschte, als sie von der Seite auf die Bühne stolperte. Seine Claqueure verstanden das Signal und jubelten so inbrünstig, dass sie die Buhrufe tatsächlich für eine Weile übertönten. Miss Lasorda, die die Tochter des Sultans von Afrika spielte, war dunkelhaarig und durchaus hübsch, ob aber ihre Beine den gleichen Ruhm verdienten wie die der Vestris, blieb vorerst ein Geheimnis, da sie einen langen, mit Halbmonden, Kamelen und Krummsäbeln bestickten Rock trug. Für einen Augenblick wirkte sie erschrocken, sich auf der Bühne wiederzufinden, doch dann verbeugte sie sich vor ihren Anhängern und begann zu tanzen.

»Zeig deine Beine!«, grölte der Mann in der Nachbarloge.

»Rock aus! Rock aus! Rock aus!«, skandierte die Menge auf den Sperrsitzen, und Pflaumen und Äpfel regneten auf die Bühne. »Rock aus! Rock aus! Rock aus!« Mister Spofforth machte immer noch beruhigende Handzeichen, was ihn jedoch nur zur Zielscheibe machte. Er duckte sich, als ein gut gezielter Früchtehagel seine Loge traf.

Lord Alexander liefen vor Lachen Tränen über die Wangen. »Ich liebe das Theater«, sagte er. »Mein Gott, wie ich das liebe. Das muss diesen jungen Narren mindestens zweitausend Pfund gekostet haben.«

Da Sandman seinen Freund nicht verstanden hatte, beugte er sich vor und fragte: »Was?«