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»Ein Diener«, übersetzte Sally für Sandman und fragte: »Welcher Herr hat das Hinterzimmer reserviert?«

»Das muss Lord Alexander gewesen sein«, erklärte Sandman. »Er wollte, dass Sie und ich mit ihm zu Abend essen.« Er nahm den Brief von Mister Jenkins und lächelte Sally an. »Sie haben doch nichts gegen Alexanders Gesellschaft?«

»Gegen Lord Alexander? Er starrt mich doch bloß wieder an wie ein Stockfisch, oder?«

»Wie unbeständig Ihre Zuneigung doch ist, Miss Hood«, sagte Sandman und erntete dafür einen Schlag gegen die Schulter.

»Es stimmt doch«, sagte Sally und ahmte Lord Alexanders stieräugige Ergebenheit grausam treffend nach. »Der arme Krüppel«, sagte sie mitfühlend und musterte den kurzen Schottenrock unter ihrem Umhang. »Ich ziehe mir besser etwas Anständiges an, sonst fallen ihm noch die Augen raus.«

Sandman tat, als bräche es ihm das Herz. »Mir gefällt der Schottenrock.«

»Und ich dachte, Sie wären ein Gentleman, Captain«, antwortete Sally und lief lachend nach oben, während Sandman die Tür zum Hinterzimmer öffnete und erleichtert auf einen Stuhl sank. Es war dunkel im Zimmer, da die Fensterläden geschlossen und die Kerzen nicht angezündet waren. Sandman beugte sich vor, zog den Laden des nächst gelegenen Fensters auf und sah, dass nicht Lord Alexander das Hinterzimmer reserviert hatte, sondern ein anderer Herr, obwohl man Sergeant Berrigan wohl nicht unbedingt als Gentleman bezeichnen konnte.

Der Sergeant räkelte sich auf dem Sofa, hob aber nun seine Pistole und richtete sie auf Sandmans Stirn. »Sie wollen Ihren Tod, Captain«, sagte er. »Sie wollen Ihren Tod und haben mich geschickt, denn wenn man eine schmutzige Arbeit ordentlich erledigt wissen will, schickt man einen Soldaten. Stimmt’s? Man schickt einen Soldaten.«

Also hatten sie Sam Berrigan geschickt.

Sandman wusste, dass er sofort etwas unternehmen sollte. Sich auf den Mann stürzen? Aber sein Knöchel pochte schmerzhaft, und er wusste, dass er sich auf keinen Fall würde schneller bewegen können als Berrigan, der gesund, kräftig und erfahren war. Er überlegte, ob er die Pistole ziehen sollte, die er seinem Angreifer im Theater abgenommen hatte, aber bis er sie aus seiner Tasche geholt hätte, hätte Berrigan längst geschossen, also beschloss Sandman, den Sergeant in ein Gespräch zu verwickeln, bis Sally wiederkäme und Alarm schlüge. Er hob den linken Fuß und legte ihn auf einen Stuhl. »Ich habe mir den Knöchel verstaucht, als ich auf die Bühne gesprungen bin«, erklärte er.

»Bühne?«

»Bei Miss Hoods Vorstellung. Jemand hat versucht, mich umzubringen.«

»Wir nicht, Captain«, sagte Berrigan.

»Jemand mit einem Gewehr.«

»Davon sind viele noch aus dem Krieg übrig«, sagte Berrigan. »Eine gebrauchte Baker ist für sieben oder acht Schillinge zu haben. Außer dem Seraphim Club will also noch jemand Ihren Tod, was?«

Sandman starrte den Sergeant an. »Sind Sie sicher, dass es nicht der Seraphim Club war?«

»Sie haben mich geschickt, Captain, nur mich«, erklärte Berrigan. »Und ich war nicht im Theater.«

Sandman überlegte, wer wohl einen Preis auf seinen Kopf ausgesetzt haben mochte. »Schlecht zu sein, muss eine große Erleichterung sein.«

Berrigan grinste. »Erleichterung?«

»Niemand versucht, einen umzubringen, man hat keine Skrupel, Tausende Guineen anzunehmen. Ich würde sagen, das ist eine Erleichterung. Wissen Sie, Sergeant, ich hatte solche Angst, zu werden wie mein Vater, dass ich anfing, mich genau gegenteilig zu verhalten. Ich wurde gewissenhaft und tugendsam. Es war aufsässig von mir und ärgerte meinen Vater sehr. Vermutlich tat ich es aus diesem Grund.«

Falls Berrigan über dieses seltsame Geständnis verwundert oder peinlich berührt war, ließ er es sich nicht anmerken. Er wirkte vielmehr interessiert. »Ihr Vater war schlecht?«

Sandman nickte. »Wenn es in dieser Welt Gerechtigkeit gäbe, wäre er am Galgen in Newgate geendet, Sergeant. Er war kein Gauner, wie sie hier wohnen. Er raubte keine Postkutschen aus, war kein Taschendieb oder Einbrecher, aber er machte faule Geschäfte mit dem Geld anderer und würde es immer noch tun, wäre er nicht an einen noch schlaueren Mann geraten, der es mit ihm ebenso machte. Und ich beanspruchte für mich, tugendhaft zu sein, nahm aber mein Leben lang sein Geld, nicht wahr?«

Sergeant Berrigan sicherte die Pistole und legte sie auf den Tisch. »Mein Vater war ein ehrlicher Mann.«

»War? Ist er es nicht mehr?«

Berrigan zündete zwei Kerzen an und hob einen Krug Bier vom Boden auf. »Mein Vater starb vor einigen Jahren. Er war Schmied in Putney und wollte, dass ich das Handwerk lerne, aber das wollte ich natürlich nicht. Ich wusste es ja besser, nicht wahr?« Er klang, als bereue er es. »Ich wollte es einfacher haben im Leben und nicht ständig Pferde beschlagen und Ketten schmieden.«

»Sie gingen also zur Armee, um der Schmiede zu entkommen?«

Berrigan lachte. »Ich ging zur Armee, um dem Galgen zu entkommen.« Er schenkte Bier ein und schob Sandman den Krug hinüber. »Ich war ein Kofferjäger. Wissen Sie, was das ist?«

»Vergessen Sie nicht, dass ich hier wohne«, antwortete Sandman. Kofferjäger waren Männer, die das hinten an einer Kutsche festgeschnallte Gepäck stahlen. Wenn man es geschickt anstellte, merkten Kutscher und Passagiere nichts davon. Um dies zu verhindern, sicherten viele Kutscher das Gepäck mit Stahlketten, aber ein guter Kofferjäger hatte immer ein Brecheisen bei sich, um die Ketten aus ihrer Verankerung im Chassis der Kutsche zu brechen.

»Ich wurde erwischt«, erzählte Berrigan, »und der Richter sagte, ich könnte mich verurteilen lassen oder zur Armee gehen. Neun Jahre später war ich Sergeant.«

»Und ein guter, nicht wahr?«

»Ich konnte Ordnung halten«, sagte Berrigan ausdruckslos.

»Das konnte ich merkwürdigerweise auch«, sagte Sandman, was keineswegs so befremdlich war, wie es klang. Viele Offiziere verließen sich voll und ganz auf ihre Feldwebel, wenn es um die Erhaltung der Ordnung ging, aber Sandman besaß eine natürliche Autorität und war ein guter Offizier, was er durchaus wusste. Wenn er ehrlich war, vermisste er das Militär. Er vermisste den Krieg, die Gewissheiten der Armee, die Erregung der Feldzüge und die Kameradschaft. »Spanien war das Beste«, sagte er. »In Spanien hatten wir schöne Zeiten. Natürlich auch blutige Zeiten, aber daran erinnere ich mich nicht. Waren Sie in Spanien?«

»Von 1812 bis 1814«, sagte Berrigan.

»Das waren größtenteils gute Zeiten«, sagte Sandman, »aber Waterloo war grauenhaft.«

Der Sergeant nickte. »Ja, es war schlimm.«

»In meinem ganzen Leben habe ich noch nie solche Angst gehabt«, gestand Sandman. Er hatte gezittert, als die kaiserliche Garde den Hügel stürmte. Er erinnerte sich, wie sein rechter Arm gezittert und er sich geschämt hatte, seine Angst zu zeigen. Erst sehr viel später fiel ihm auf, dass die meisten Männer auf dem Hügel und die meisten der Angreifer ebenso viel Angst hatten und sich ebenso schämten, ihre Angst zu zeigen. »Es war heiß«, sagte er, »als hätte jemand eine Backofentür aufgemacht. Erinnern Sie sich?«

»Heiß«, bestätigte Berrigan stirnrunzelnd. »Viele Leute wollen Ihren Tod, Captain.«

»Das wundert mich«, gab Sandman zu. »Als Skavadale mir das Geld anbot, war ich überzeugt, dass er oder Lord Robin die Countess ermordet haben, aber jetzt? Es gibt da noch jemanden. Vielleicht sind es die wahren Mörder, aber ich habe nicht die geringste Ahnung, wer es sein könnte. Es sei denn, die Antwort stünde hier drin.« Er hielt den Brief hoch, den der Wirt ihm gegeben hatte. »Können Sie mir eine Kerze herüberschieben?«

Der Brief war auf blassgrünem Papier in einer Handschrift geschrieben, die er nur zu gut kannte. Er kam von Eleanor. Ihm fiel ein, wie sein Herz jedes Mal einen Satz getan hatte, wenn einer ihrer Briefe in Spanien oder Frankreich eingetroffen war. Er erbrach ihr grünes Siegel und faltete den dünnen Briefbogen auseinander. Er hatte gehofft, aus dem Brief den Aufenthaltsort der Zofe Meg zu erfahren, aber Eleanor bat Sandman lediglich, sich am nächsten Morgen mit ihr in der Konditorei Gunter am Berkeley Square zu treffen. In einer Nachschrift hatte sie hinzugefügt: Ich glaube, ich habe Neuigkeiten, aber das war alles.