»Nein«, sagte er, »noch habe ich die Wahrheit nicht herausgefunden, aber ich glaube, dass ich sie bald erfahren werde.« Er legte den Brief beiseite. »Sollten Sie mich nicht erschießen?«
»In einer Schänke?« Berrigan schüttelte den Kopf. »Wohl eher die Kehle durchschneiden. Das ist leiser. Aber ich überlege, ob Miss Hood je wieder mit mir reden wird, wenn ich es tue.«
»Das bezweifle ich«, sagte Sandman grinsend.
»Und als ich das letzte Mal auf Ihrer Seite stand, sah es zwar schlimm aus, aber wir haben gewonnen«, sagte Berrigan.
»Und zwar gegen die Garde des Kaisers«, bestätigte Sandman.
»Also stelle ich mich wohl jetzt wieder auf Ihre Seite, Captain«, erklärte der Sergeant.
Lächelnd hob Sandman seinen Bierkrug zu einem scherzhaften Trinkspruch. »Können Sie denn in den Seraphim Club zurück, wenn Sie mich nicht töten, Sergeant? Oder wird man Ihren Ungehorsam als Grund für eine Entlassung nehmen?«
»Zurück kann ich nicht«, sagte Berrigan und deutete auf eine schwere Tasche, einen Proviantbeutel und einen alten Armeerucksack, die auf dem Boden lagen.
Sandman zeigte sich weder erfreut noch verwundert. Zwar freute er sich, aber überrascht war er nicht, da er von Anfang an gespürt hatte, dass Berrigan nach einem Weg, den Seraphim Club zu verlassen, suchte. »Erwarten Sie einen Lohn?«, fragte er den Sergeant.
»Wir teilen uns die Belohung, Captain.«
»Es gibt eine Belohnung?«
»Vierzig Pfund zahlt der Magistrat jedem, der einen echten Verbrecher überführt«, erklärte Berrigan. »Vierzig.« Als er sah, dass Sandman zum ersten Mal von einer solchen Belohnung hörte, schüttelte er fassungslos den Kopf. »Was dachten Sie denn, wovon die Wachleute leben?«
Sandman kam sich vor wie ein Narr. »Ich hatte keine Ahnung.«
Berrigan füllte beide Bierkrüge nach. »Zwanzig für Sie, Captain, und zwanzig für mich.« Er grinste. »Und was machen wir morgen?«
»Morgen gehen wir als Erstes nach Newgate«, sagte Sandman. »Anschließend treffe ich eine Dame, und Sie, nun ja, ich weiß nicht, was Sie vorhaben, aber das werden wir dann sehen, nicht wahr?« Er drehte sich um, als sich hinter ihm die Tür öffnete.
»Verdammt noch mal«, sagte Sally stirnrunzelnd, als sie die Pistole auf dem Tisch sah, und funkelte Berrigan wütend an. »Was zum Teufel machen Sie denn hier?«
»Ich bin natürlich gekommen, um mit Ihnen zu Abend zu essen«, sagte Berrigan.
Sally errötete, und Sandman schaute aus dem Fenster, um sie nicht in Verlegenheit zu bringen. Er überlegte, dass zu seinen Verbündeten mittlerweile ein adeliger Priester mit Klumpfuß und radikalen Ansichten, eine scharfzüngige Schauspielerin, ein verbrecherischer Sergeant und, wie er zu hoffen wagte, Eleanor zählten.
Es blieben ihnen noch drei Tage, um gemeinsam einen Mörder zu fangen.
6
Als Sandman und Berrigan am nächsten Morgen nach Newgate gingen, regnete es. Sandman humpelte immer noch stark und verzog jedes Mal das Gesicht, wenn er den linken Fuß belastete. Er hatte den Stiefel mit einer festen Bandage umwickelt, aber der Knöchel fühlte sich immer noch an wie glühend heißes Gelee. »Sie sollten nicht laufen«, sagte Berrigan.
»Ich hätte auch nicht laufen sollen, als ich mir damals den anderen Knöchel in Burgos verstauchte«, sagte Sandman, »aber ich konnte entweder laufen oder mich von den Franzen gefangen nehmen lassen. Also ging ich zu Fuß zurück nach Portugal.«
»Sie, als Offizier?« Berrigan war amüsiert. »Ohne Pferd?«
»Mein Pferd hatte ich jemandem geliehen, der wirklich verwundet war«, sagte Sandman.
Berrigan ging ein Weilchen schweigend weiter. »Wir hatten wirklich eine ganze Reihe guter Offiziere«, sagte er schließlich.
»Und ich dachte, ich wäre einzigartig«, entgegnete Sandman.
»Die schlechten Offiziere hielten sich nicht lang«, fuhr Berrigan fort, »besonders nicht im Kampf. Wunderbar, was eine Kugel im Rücken bewirkt.« Der Sergeant hatte im Hinterzimmer des Wheatsheaf übernachtet, nachdem klar wurde, dass Sally ihn nicht in ihr Bett einladen würde. Allerdings hatte Sandman, der die beiden den ganzen Abend beobachtete, den Eindruck, dass dazu nicht viel gefehlt hätte.
Lord Alexander hatte gar nicht bemerkt, dass er Sally an einen Rivalen niederen Standes verlor, und hatte Sally in gebannter Bewunderung angestarrt, bis er sich zu einem Scherz durchgerungen hatte, dessen Pointe jedoch eine genaue Kenntnis des lateinischen Gerundiums erforderte und daher jämmerlich fehlschlug. Als Lord Alexander schließlich eingeschlafen war, hatte der Sergeant ihn in seine Kutsche getragen, die ihn nach Hause brachte. »Der Bursche kann einen Stiefel vertragen«, sagte Berrigan voller Bewunderung.
»Er verträgt gar nichts, das ist sein Problem«, entgegnete Sandman. Insgeheim überlegte er, dass Lord Alexander sich langweilte und deshalb trank, während Sandman alles andere als gelangweilt war. Er hatte die ganze Nacht wach gelegen und nachgedacht, wer außer den Mitgliedern des Seraphim Clubs seinen Tod wünschen konnte. Erst als die Uhr der Paulskirche zwei schlug, war ihm die Lösung mit solcher Klarheit und Macht eingefallen, dass er sich schämte, nicht früher darauf gekommen zu sein. Als sie nun unter tief hängenden Wolken, die fast die rauchenden Schornsteine zu streifen schienen, durch Holborn gingen, teilte er Berrigan seine Erkenntnis mit.
»Ich weiß jetzt, wer dafür bezahlt, mich zu töten.«
»Der Seraphim Club ist es nicht«, beharrte Berrigan. »Sie hätten es mir gesagt, um sicherzugehen, dass ich dem anderen Burschen nicht in die Quere komme.«
»Der Club ist es nicht«, bestätigte Sandman, »denn sie wollten mich kaufen, aber das einzige Mitglied, das sofort über ausreichende Mittel verfügte, war Lord Robin Holloway, und er verabscheut mich.«
»Das stimmt, aber sie haben alle einen Beitrag geleistet«, wandte Berrigan ein.
»Nein, das haben sie nicht«, entgegnete Sandman. »Die meisten Mitglieder sind auf dem Land, es dürfte keine Zeit geblieben sein, sie zu Rate zu ziehen. Skavadale besitzt das Geld nicht. Vielleicht haben ein oder zwei Mitglieder etwas gestiftet, aber ich wette, der größte Teil der zwanzigtausend Pfund stammte von Lord Robin Holloway, und er stellte sie lediglich bereit, weil Skavadale ihn darum gebeten, es ihm befohlen oder dringend geraten hatte. Ich glaube, er willigte zwar ein, mich zu kaufen, arrangierte aber insgeheim, mich töten zu lassen, bevor ich das Angebot annehmen oder mir, Gott bewahre, seinen Wechsel auszahlen lassen konnte.«
Berrigan dachte darüber nach und nickte zögernd. »Zuzutrauen wäre es ihm. Ein übler Kerl ist er.«
»Aber vielleicht pfeift er seine Hunde jetzt zurück, wo er weiß, dass ich sein Geld nicht nehme«, sagte Sandman.
»Wenn er die Countess getötet hat, will er vielleicht immer noch, dass Sie sterben«, vermutete Berrigan. »Was ist denn hier los?« Seine Frage bezog sich auf die Tatsache, dass sich auf Newgate Hill nur noch ein Abwasserrinnsal in der Gosse bewegte. Fuhrwerke und Kutschen standen reglos auf der Straße, behindert durch einen Wagen, der an der Ecke Old Bailey und Newgate Street seine Ladung Birnensetzlinge verloren hatte. Männer schrien durcheinander, Peitschen knallten, Pferde gruben ihre Nasen in Futtersäcke. Es ging nicht weiter. Berrigan schüttelte den Kopf. »Wer will schon eine halbe Tonne Birnbäume?«
»Vielleicht jemand, der gern Birnen mag?«