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»Jemand, dem man gehörig den Kopf zurechtrücken sollte«, schimpfte der Sergeant und blieb stehen, um die Granitfassade des Gefängnisses Newgate zu betrachten. Die tristen, finsteren Mauern mit ihren spärlichen Fensteröffnungen wirkten massiv und abweisend. Es regnete inzwischen stärker, aber der Sergeant starrte immer noch offensichtlich fasziniert auf das Gebäude. »Finden hier die Hinrichtungen statt?«

»Unmittelbar vor der Schuldnerpforte, welche das auch sein mag.«

»Ich war hier noch nie bei einer Hinrichtung«, gab Berrigan zu.

»Ich auch nicht.«

»Habe mal eine im Gefängnis in der Horsemonger Lane gesehen, aber da hängen sie sie auf dem Dach des Torhauses auf, von der Straße aus sieht man nicht viel. Ein bisschen Gezappel, das ist alles. Meine Mutter ging immer nach Tyburn.«

»Ihre Mutter?«

»Es war für sie eine Abwechslung.« Berrigan hatte die Verwunderung in Sandmans Ton gehört und klang entschuldigend. »Sie hat gern mal eine Abwechslung und sagt, bis Old Bailey ist es ihr zu weit – eines Tages miete ich eine Kutsche und bringe sie her.« Er grinste, als er die Stufen zum Gefängnis hinaufging. »Ich hatte immer gedacht, dass ich eines Tages mal hier enden würde.«

Ein Wärter begleitete sie durch den Tunnel zum Presshof und deutete auf die große Zelle, in der die zum Tode Verurteilten ihre letzte Nacht verbrachten. »Wenn Sie eine Hinrichtung sehen wollen, sollten Sie am Montag kommen«, sagte er leutselig zu Sandman. »Dann befreien wir England von zwei Verbrechern, aber viele werden nicht kommen. Es ist keine große Hinrichtung, weil keiner von ihnen ein berüchtigter Verbrecher ist. Wenn Sie eine große Menge locken wollen, müssen Sie einen berüchtigten Verbrecher hängen, Sir, einen berüchtigten Verbrecher oder eine Frau. Am letzten Montag hat das Magpie and Stump so viel Bier ausgeschenkt wie sonst in vierzehn Tagen, und das nur, weil wir eine Frau aufgeknüpft haben. Die Leute sehen es gern, wenn eine Frau zappelt. Haben Sie gehört, wie die Sache ausgegangen ist?«

»Ausgegangen?«, fragte Sandman verständnislos. »Ich nehme an, sie ist gestorben.«

»Gestorben und in die Anatomie gewandert, Sir, die schneiden gern mal eine Junge auf. Aber sie wurde gehenkt, weil sie eine Perlenkette gestohlen hatte, und wie ich gehört habe, hat die Besitzerin die Kette letzte Woche wiedergefunden.« Der Mann kicherte. »War hinten in ein Sofa gerutscht! Vielleicht ist es ja bloß ein Gerücht.« Er schüttelte den Kopf über die Willkür des Schicksals. »Aber komisch ist die Sache schon, oder?«

»Der Tod ist merkwürdig«, sagte Sandman bitter.

Der Wärter fummelte am Vorhängeschloss des Presshofs herum, ohne zu merken, dass seine Oberflächlichkeit Sandman verärgert hatte. Berrigan sah es jedoch und versuchte, den Captain abzulenken. »Warum gehen wir überhaupt zu diesem Corday?«, fragte er.

Sandman zögerte. Er hatte dem Sergeant noch nichts von der vermissten Zofe Meg erzählt, da er nicht sicher war, ob Berrigan tatsächlich die Seiten gewechselt hatte. Hatte der Seraphim Club ihn vielleicht als Spion geschickt? Es erschien ihm jedoch unwahrscheinlich. Er hatte den Eindruck, dass Berrigans Sinneswandel glaubwürdig war, auch wenn Sallys Anziehungskraft wohl mehr damit zu tun hatte als echte Reue. »Es gab eine Zeugin, und ich muss mehr über sie erfahren«, erklärte er Berrigan. »Wenn ich sie finde …« Er ließ den Satz unbeendet.

»Und wenn Sie sie finden?«

»Dann wird jemand hängen«, sagte Sandman, »allerdings nicht Corday.« Er bedankte sich mit einem knappen Kopfnicken bei dem Wärter, der das Tor aufgeschlossen hatte, und ging Berrigan voraus über den stinkenden Hof in den Aufenthaltsraum. Es herrschte Gedränge, da der Regen die Gefangenen und ihre Besucher hineingetrieben hatte. Sie starrten Sandman und seinen Begleiter feindselig an, als die beiden sich zwischen den Tischen in den dunklen rückwärtigen Teil des Raumes schlängelten, wo Sandman Corday zu finden hoffte. Der Maler war offensichtlich völlig verändert, denn er hielt nun an dem Tisch am Kaminfeuer Hof, wo er mit einem dicken Stapel Papier und Kohlestiften das Porträt der Ehefrau eines Gefangenen zeichnete. Ein Grüppchen hatte sich um ihn gesammelt, bewunderte sein Können und ließ Sandman nur widerstrebend durch. Corday zuckte zusammen, als er seine Besucher erkannte, schaute aber rasch fort. »Ich muss mit Ihnen reden«, sagte Sandman.

»Er redet mit Ihnen, wenn er fertig ist«, knurrte ein großer Mann mit schwarzem Haar, langem Bart und breiter Brust, der neben Corday auf der Bank saß. »Und es dauert noch eine Weile, bis er fertig ist, ihr müsst also warten, Leute.«

»Und wer sind Sie?«, fragte Berrigan.

»Ich bin der Bursche, der sagt, dass ihr warten müsst«, antwortete der Mann. Seinem Akzent nach zu urteilen stammte er aus dem West County. Er trug schmutzige Kleider und einen verfilzten Bart. Während er Berrigan streitlustig anstarrte, steckte er einen Finger in sein großes Naseloch und inspizierte den Popel, den er herausgepult hatte. Nachdem er ihn an seinem Bart abgestreift hatte, schaute er Sandman aufsässig an. »Charlies Zeit ist kostbar, viel hat er nicht mehr davon.«

»Es ist Ihr Leben, Corday«, sagte Sandman.

»Hör dir den an, Charlie!«, sagte der große Mann. »Du hast keine Freunde auf dieser Welt außer mir, und ich weiß, was …« Er verstummte abrupt, stöhnte und riss die Augen auf. Sergeant Berrigan war hinter ihn getreten und ließ den großen Mann mit einem Ruck seiner rechten Hand nun erneut vor Schmerz aufheulen.

»Sergeant!«, schaltete Sandman sich in gespielter Sorge ein.

»Ich bring dem Burschen nur Manieren bei«, sagte Berrigan und presste dem Mann ein zweites Mal die Daumen in die Nieren. »Wenn der Captain mit dir reden will, du Miststück, dann stehst du gefälligst stramm, Augen geradeaus, Mund zu, Hacken zusammen und Rücken gerade! Du sagst ihm nicht, dass er warten soll, das ist unhöflich.«

Corday schaute besorgt auf den Bärtigen. »Alles in Ordnung?«

»Dem geht’s gut«, antwortete Berrigan für sein Opfer. »Red du nur mit dem Captain, Junge, denn er versucht, dein armseliges Leben zu retten. Willst du Zicken machen, Freundchen?« Der Bärtige war aufgestanden und versuchte, Berrigan den Ellbogen in den Bauch zu rammen, aber der Sergeant packte ihn am Ohr, und schleuderte ihn mit Wucht gegen einen Tisch. Er drückte das Gesicht des Mannes fest nach unten. »Bleib ja da, Freundchen, bis wir fertig sind.« Zur Bekräftigung klopfte er dem Mann auf den Hinterkopf, bevor er wieder an Cordays Tisch kam. »Alles angetreten, Captain«, meldete er.

Sandman schob eine Frau beiseite, um sich Corday gegenüberzusetzen. »Ich muss mit Ihnen über die Zofe sprechen«, sagte er leise, »über Meg. Ihren Nachnamen kennen Sie nicht zufällig? Nein? Wie sah diese Meg denn aus?«

»Ihr Freund hätte ihn nicht schlagen dürfen!« beschwerte Corday sich bei Sandman, immer noch vom Schmerz seines Kameraden abgelenkt.

»Wie sah sie aus, verdammt noch mal?«, brüllte Berrigan in bester Feldwebelmanier. Corday zuckte vor Schreck zusammen, schob das halb fertige Porträt beiseite und zeichnete wortlos auf einem sauberen Blatt Papier eine neue Skizze. Er arbeitete schnell. In der Stille des großen Raumes war das leise Schaben der Kohle deutlich zu hören.

»Sie ist jung«, sagte Corday, »vierundzwanzig, vielleicht fünfundzwanzig. Ihre Haut ist pockennarbig, ihr Haar mausbraun. Ihre Augen sind grünlich, und hier hat sie ein Muttermal.« Er zeichnete ein Mal auf die Stirn des Mädchens. »Ihre Zähne sind gut. Ich habe nur ihr Gesicht gezeichnet, aber sie sollten noch wissen, dass sie breite Hüften und eine schmale Brust hat.«

»Kleine Brüste, meinst du?«, knurrte Berrigan.

Corday wurde rot. »Oberhalb der Taille war sie zierlich, aber darunter dick.« Er musterte die fertige Zeichnung eine Weile nachdenklich, nickte zufrieden und reichte sie Sandman.

Sandman betrachtete das Bild. Das Mädchen war hässlich, eigentlich mehr als hässlich, fand er. Es lag nicht nur an ihrer pockennarbigen Haut, dem schmächtigen Kinn, dem dünnen Haar und den kleinen Augen, sondern an einem Ausdruck, der Härte vermuten ließ und in einem derart jungen Gesicht seltsam anmutete. Falls das Porträt gut getroffen war, war Meg nicht nur abstoßend, sondern auch böse. »Warum hat die Countess ein solches Geschöpf eingestellt?«, fragte er.