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»Ich sollte ihn sie heiraten lassen«, murmelte er.

»Was?« Logan musste die Stimme erheben, da die Menge nach den Gefangenen rief.

»Nichts«, sagte Sir Henry.

»Ich werde meine Zunge im Zaum halten, solange ich schaue das Gottlose.« Reverend Cottons Stimme wurde lauter, als er hinter dem Mädchen die Stiege heraufkam.

Als Erster erschien ein Wärter, hinter ihm das Mädchen, immer noch unbeholfen, da es nicht mehr gewohnt war, ohne Fußeisen zu gehen. Als es auf der obersten Stufe beinahe stolperte, musste der Wärter es stützen.

Nun sah auch die Menge sie. »Hüte ab! Hüte ab!« Der Ruf setzte vorne ein und hallte hinten wider. Er entsprang keineswegs dem Respekt, sondern dem Umstand, dass die hohen Hüte der vorderen Zuschauer den hinteren die Sicht nahmen. Das Grölen der Menge schwoll ohrenbetäubend an, und dann drängten die Menschen vor, bis der Marschall der Stadt und seine Männer, die den Galgen schützten, ihre Lanzen heben mussten. Sir Henry fühlte sich bedrängt von dem Lärm und den Tausenden lauthals grölender Menschen. Unter den Zuschauern waren ebenso viele Frauen wie Männer. Sir Henry bemerkte eine respektabel wirkende Matrone, die sich im Fenster des Magpie and Stump über ein Fernrohr beugte. Neben ihr aß ein Mann Brot mit Spiegelei. Eine andere Frau hielt ein Opernglas. In einem Hauseingang bot ein Straßenhändler Pasteten feil. Aufgescheucht von dem Lärm, kreisten Tauben, rote Milane und Spatzen am Himmel. Benommen sah Sir Henry mit einem Mal vier Särge am Rand des Podests stehen. Sie waren aus ungehobelten, harzigen Fichtenbrettern. Das Mädchen stand mit offenem Mund da, sein eben noch bleiches Gesicht war nun rot und verquollen. Tränen liefen ihm über die Wangen, als Botting es an den gefesselten Ellbogen in die Mitte des Podests führte. Hier befand sich eine Falltür, die unter ihrem Gewicht knarrte. Das Mädchen zitterte und stöhnte, während Botting es am vorderen Ende des Podests unter den Galgenbaum stellte. Sobald es an der richtigen Stelle stand, holte er einen Baumwollsack aus der Tasche und setzte ihn ihm auf wie einen Hut. Bei seiner Berührung schrie es auf und versuchte, sich ihm zu entwinden, aber Reverend Cotton legte ihm die Hand auf den Arm, während der Henker den Strang von seinen Schultern nahm und die Leiter hinaufstieg. Die Sprossen knarrten beängstigend unter seinem Gewicht. Er schob die kleine Öse im Seil über einen der schwarzen Metzgerhaken und stieg mit rotem Gesicht und schwer atmend herunter. »Ich brauche unbedingt einen Gehilfen«, knurrte er. »Das ist ungerecht. Man hat immer einen Gehilfen. Zappele nicht nun, Fräulein! Geh wie ein Christenmensch!« Er schaute dem Mädchen in die Augen, als er ihm die Schlinge um den Hals legte, den Knoten unter dem linken Ohr anzog und kurz an dem Strick ruckte, wie um sich zu vergewissern, ob er das Gewicht aushalten würde. Bei diesem Ruck stöhnte das Mädchen und schrie, weil Botting ihm ins Haar griff. »Sei still, Mädchen!«, schnaubte er und zog den weißen Baumwollsack über das Gesicht.

Sie schrie: »Ich will sehen!«

Sir Henry schloss die Augen.

»Denn tausend Jahre sind in deinen Augen wie ein Tag.« Der Ordinarius erhob die Stimme, um das Toben der Menge zu übertönen. Der zweite Gefangene, der Straßenräuber, kam nun auf das Podest. Botting stellte ihn neben das Mädchen, stülpte den Sack auf seinen Kopf und stieg auf die Leiter, um den Strick einzuhängen. »0 lehre uns, unsere Tage zu zählen«, psalmodierte Reverend Cotton, »auf dass wir unsere Herzen der Weisheit öffnen.«

»Amen«, sagte Sir Henry inbrünstig, allzu inbrünstig.

»Hier«, Logan stieß Sir Henry, der die Augen immer noch geschlossen hielt, in die Seite und reichte ihm ein Flakon. »Guter Brandy. Geschmuggelt.«

Der Straßenräuber hatte Blumen im Knopfloch. Er verneigte sich vor der Menge, die ihm zujubelte, aber sein Mut war gespielt, wie Sir Henry an seinen zitternden Beinen und dem Zucken seiner gefesselten Hände sah. »Kopf hoch, Schätzchen«, sagte er zu dem Mädchen an seiner Seite.

In der Menge waren auch Kinder. Ein Mädchen, das kaum älter als sechs Jahre sein mochte, saß auf den Schultern seines Vaters und lutschte Daumen. Die Menge johlte bei jedem Gefangenen, der erschien. Eine Gruppe Matrosen mit langen Rollen Kautabak rief Botting zu, er solle dem Mädchen das Kleid herunterziehen. »Zeig uns ihre Titten, Jemmy! Na los, raus damit!«

»Bald ist es vorbei«, sagte der Straßenräuber zu dem Mädchen, »du und ich sind gleich bei den Engeln, Mädchen.«

»Ich habe nichts gestohlen!«, jammerte das Mädchen.

»Gesteht eure Schuld! Beichtet eure Sünden!«, drängte Reverend Cotton die vier Gefangenen, die nun alle auf der Falltür standen. Das Mädchen war am weitesten von Sir Henry entfernt. Es zitterte. Alle vier hatten Baumwollsäcke über dem Gesicht und eine Schlinge um den Hals. »Tretet reinen Herzens vor Gott!«, drängte der Ordinarius. »Erleichtert euer Gewissen, tretet in Demut vor Gott!«

»Na los, Jemmy! Zieh der Frau das Kleid aus!«

Die Menge grölte um Ruhe in der Hoffnung auf ein paar letzte Worte.

»Fahr zur Hölle, du fettes Schwein«, knurrte einer der Mörder den Ordinarius an.

»Wir sehen uns in der Hölle wieder!«, rief der Straßenräuber dem Priester zu.

»Nun, Botting!« Der Sheriff wollte die Sache schnell erledigt wissen, und Botting schlurfte ans hintere Ende des Galgenpodests und zog einen hölzernen Spund von der Dicke eines Nudelholzes aus einem der Bretter. Sir Henry verkrampfte sich, aber nichts geschah.

»Der Spund ist nur eine Sperrvorrichtung«, erklärte Logan leise. »Er muss nach unten gehen, um die Falltür zu öffnen.«

Sir Henry schwieg. Er schrumpfte in sich zusammen, als Botting ihn auf dem Weg zur Treppe im hinteren Teil des Pavillons streifte. Nur die vier Verurteilten und der Ordinarius standen nun noch in der Sonne. Reverend Cotton hielt sich zwischen den Särgen in sicherem Abstand zur Falltür. »Denn wenn du zürnst, sind all unsere Tage dahin«, psalmodierte er, »wir vollenden unsere Jahre als wären sie ein Märchen.«

»Cotton, du fettes Schwein!«, rief der Straßenräuber. Das Mädchen schwankte, Sir Henry sah, dass sein Mund sich unter der dünnen Baumwolle, die sein Gesicht verdeckte, öffnete und schloss. Der Henker war unter dem Podest verschwunden und kletterte in dem Gebälk, auf dem das Gerüst ruhte, zu einem Seil, mit dem er den Balken unter der Falltür wegziehen würde.

»Wende dich zu uns, o Herr!« Reverend Cotton erhob eine Hand und die Stimme gen Himmel. »Und erbarme dich deiner Diener!«

Botting zerrte an dem Seil, und der Balken gab nach, rutschte aber nicht vollständig heraus. Sir Henry, der gar nicht merkte, dass er den Atem anhielt, sah die Falltür rucken. Das Mädchen schluchzte, seine Beine gaben nach und es brach auf der immer noch geschlossenen Falltür zusammen. Ein Aufschrei ging durch die Menge, erstarb jedoch, als sie merkten, dass nichts geschehen war. Botting zog mit aller Kraft an dem Seil, der Balken gab nach, die Falltür klappte nach unten und ließ die vier Verurteilten in die Tiefe fallen. Sie stürzten lediglich fünf oder sechs Fuß tief, was keinen von ihnen tötete. »Als sie noch den Wagen in Tyburn benutzten, ging es schneller«, sagte Logan und beugte sich vor. »Aber so dauert der Morris länger.«

Sir Henry brauchte nicht zu fragen, was Logan meinte. Die vier zuckten und wanden sich. Sie führten den Morris-Tanz am Galgen auf, die Kapriolen am Strang, die die Gehängten in ihrem Todeskampf vollführten. Botting sprang unten im Inneren des Galgengerüsts beiseite, als das Mädchen seine Eingeweide entleerte. Sir Henry sah von alledem nichts, denn er hatte die Augen geschlossen und öffnete sie auch nicht, als die Menge sich heiser schrie, weil Botting dem Straßenräuber über seine gefesselten Ellbogen auf die Schultern kletterte wie eine schwarze Kröte, um sein Sterben zu beschleunigen. Dafür hatte der Straßenräuber Botting schließlich bezahlt, und der Henker hielt seinen Teil der Abmachung ein.