»Gütiger Gott«, sagte Lord Alexander matt und starrte den Hang hinauf, »lieber, gütiger Gott.«
»Ich habe unbesonnen gesprochen«, sagte Lord Christopher zu seiner Entschuldigung, »aber ich verstehe einfach nicht, wieso Sie überhaupt nach Carne Manor fahren mussten.«
»Hast du diesen Schlag gesehen?«, fragte Lord Alexander.
»Wieso waren Sie auf Carne Manor?«, wiederholte Lord Christopher wütend.
»Ich habe Ihnen gesagt, wieso«, erklärte Sandman. »Um festzustellen, ob Dienstboten Ihrer Stiefmutter dort sind.«
»Natürlich sind sie nicht dort«, sagte Lord Christopher.
»Bei unserem letzten Gespräch hielten Sie es für möglich.«
»Weil ich nicht richtig darüber nachgedacht habe. Diese Dienstboten müssen genau gewusst haben, was meine Stiefmutter in London trieb, und mein Vater dürfte kaum wollen, dass sie diese Geschichten in Wiltshire herumtratschen.«
»Stimmt«, räumte Sandman ein. »Meine Reise war also vergebens.«
»Aber die gute Nachricht ist, dass Mister William Brown dir und mir erlaubt, am Montag zu kommen, Rider«, schaltete sich Lord Alexander ein. »Ist das nicht großartig?«
»Mister Brown?«, fragte Sandman.
»Der Gefängnisverwalter von Newgate. Ich hätte gedacht, ein Mann in deiner Position wüsste das.« Lord Alexander wandte sich an den verständnislosen Lord Christopher. »Kit, mir ist eingefallen, dass Rider als offizieller Ermittler des Innenministeriums sicher auch einer Hinrichtung beiwohnen sollte. Er muss schließlich genau wissen, welche grauenhafte Brutalität Menschen wie Corday erwartet. Also habe ich an den Gefängnisverwalter geschrieben, und er hat Rider und mich ganz artig zum Frühstück eingeladen. Scharfe Nierchen! Richtig scharf gewürzte Nierchen habe ich schon immer gern gemocht.«
Sandman kam vom Spielfeld. »Ich habe nicht vor, mir eine Hinrichtung anzusehen«, sagte er.
»Was du willst, spielt keine Rolle«, tat Lord Alexander seinen Einwand leichthin ab, »hier geht es um eine Pflicht.«
»Ich bin nicht verpflichtet, mir eine Hinrichtung anzusehen«, beharrte Sandman.
»Aber natürlich bist du das«, sagte Lord Alexander. »Ich gestehe, dass ich gespannt darauf bin. Ich billige den Galgen zwar nicht, entdecke aber dennoch eine gewisse Neugier in mir. Es wird sicher eine lehrreiche Erfahrung, Rider, wenn schon sonst nichts.«
»Lehrreicher Unfug!« Sandman ging wieder auf seinen Platz und nahm einen gut geworfenen Ball mit gestrecktem Schläger. »Ich gehe nicht hin, Alexander, das ist mein letztes Wort. Nein! Die Antwort lautet nein!«
»Ich würde gern mitgehen«, sagte Lord Christopher kleinlaut.
»Rider!«, wies Lord Alexander seinen Freund zurecht.
»Nein!«, wiederholte Sandman. »Den wahren Mörder bringe ich gern an den Galgen, aber den Zirkus in Newgate schaue ich mir nicht an.« Er winkte Hughes ab. »Ich habe lange genug geübt.« Er strich mit der Hand über den Schläger. »Hast du Leinöl, Alexander?«
»Den wahren Mörder?«, fragte Lord Christopher. »Wissen Sie, wer es war?«
»Ich hoffe, es heute Abend zu erfahren«, antwortete Sandman. »Wenn ich nach deiner Kutsche schicke, weißt du, dass ich meinen Zeugen gefunden habe, Alexander. Wenn nicht? Schade.«
»Zeuge?«, fragte Lord Christopher.
»Wenn Rider so verstockt ist, solltest du vielleicht am Montag mit mir zu den scharfen Nierchen des Gefängnisverwalters kommen«, schlug Lord Alexander Lord Christopher vor. Er hantierte mit der Zunderbüchse herum, um sich eine neue Pfeife anzuzünden. »Ich habe überlegt, du solltest wirklich dem Club hier beitreten, Rider. Wir brauchen Mitglieder.«
»Das kann ich mir denken. Wer will schon in einen Club, der auf der Nachbildung einer Alpenwiese spielt?«
»Der Platz ist völlig in Ordnung«, sagte Lord Alexander gereizt.
»Zeuge?«, fragte Lord Christopher noch einmal dazwischen.
»Ich verlasse mich darauf, dass du nach der Kutsche schickst!«, donnerte Lord Alexander. »Ich will, dass diesem verdammten Sidmouth eine Abfuhr erteilt wird. Sorge dafür, dass er das Gnadengesuch bewilligt, Rider. Ich warte im Wheatsheaf auf deine Nachricht.«
»Ich warte mit dir«, sagte Lord Christopher und erntete eine wütende Miene von Lord Alexander. Sandman, der den Zorn ebenfalls hatte aufflackern sehen, wusste, dass Alexander keinen Rivalen um Sallys Aufmerksamkeit haben wollte. Aber Lord Christopher fasste es wohl als Kränkung auf, denn er machte eine finstere Miene.
Lord Alexander musterte die drei Gärtner, die immer noch auf ihre Sensen gestützt dastanden und Sandmans Schlag diskutierten, mit dem er den Ball wie eine Kanonenkugel zwischen ihnen hindurch geschossen hatte. »Ich finde schon lange, dass sich ein Vermögen mit einer Erfindung machen ließe, die selbsttätig Gras mäht.«
»Das nennt man Schafe«, sagte Sandman, »gemeinhin auch Wollvogel genannt.«
»Ein Gerät, das keinen Dung hinterlässt«, erklärte Lord Alexander bissig und lächelte Lord Christopher an. »Selbstverständlich musst du den Abend mit mir verbringen, lieber Freund. Vielleicht kannst du mir diesen Kant erklären? Jemand hat mir sein neuestes Buch geschickt, hast du es schon gesehen? Das dachte ich mir. Er scheint mir recht fundiert, aber war er nicht Preuße? Vermutlich war das nicht seine Schuld. Aber komm doch vorher mit zum Tee. Rider? Kommst du ebenfalls mit zum Tee? Aber sicher. Ich möchte, dass du Lord Frederick kennen lernst. Du weißt, dass er jetzt Sekretär unseres Clubs ist? Du solltest wirklich mitkommen. Du wolltest doch auch Leinöl für deinen Schläger haben? Sie machen hier einen ganz annehmbaren Tee.«
Also ging Sandman mit zu einem hochherrschaftlichen Tee.
Abends war der Himmel bewölkt, und da kein Wind ging, hing der Rauch der Kohlenfeuer reglos über den Dächern und Türmen und machte den Himmel noch dunkler. Auf den Straßen um den St. James’ Square war es ruhig, da es in diesem Viertel keine Geschäfte gab und die Besitzer vieler Häuser auf dem Land waren. Als Sandman sah, dass ein Nachtwächter ihn bemerkte, ging er zu dem Mann hinüber, wünschte ihm einen guten Abend und fragte, in welchem Regiment er gedient habe. Sie vertrieben sich die Zeit mit Erinnerungen an Salamanca, die Sandman für die schönste Stadt hielt, die er je gesehen hatte. Ein Laternenanzünder machte seine Runde mit der Leiter, und nacheinander gingen die neuen Gaslaternen an, brannten ein Weilchen mit bläulicher Flamme, bis sie weißliches Licht verbreiteten. »Manche der Häuser hier bekommen Gas«, sagte der Nachtwächter. »Drinnen.«
»Drinnen?«
»Das geht nicht gut, wenn Sie mich fragen. Ist doch nicht natürlich, oder?« Der Nachtwächter schaute zu der nächststehenden zischenden Laterne hinauf. »Es wird Feuer und Rauchsäulen geben, Sir, wie es schon in der Heiligen Schrift steht, Feuer und Rauchsäulen. Es wird Brennen wie im Höllenfeuer, Sir.«
Weitere apokalyptische Prophezeiungen blieben Sandman erspart, da eine Droschke in die Straße bog und das Hufgeklapper laut von den Hauswänden widerhallte. Die Droschke hielt nicht weit von Sandman entfernt, der Wagenschlag ging auf, und Sergeant Berrigan stieg aus. Er warf dem Kutscher eine Münze zu und hielt Sally die Tür auf.