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»Eigentlich arbeite ich hier nicht wirklich, Flossie«, antwortete Sally.

Nun erkannte Sandman das Mädchen. Es war die Tänzerin, die sich Sacharissa Lasorda nannte und nun Sandman anschaute. Obwohl sie vollkommen nackt und er vollständig angezogen war, vermittelte sie ihm das Gefühl, fehl am Platz zu sein. Sie musterte ihn von oben bis unten und grinste Sally an. »Da hast du aber einen gut Aussehenden erwischt, was? Aber er lässt sich Zeit, nicht wahr?« Sie machte große Augen, als Berrigan hinter dem Paravent hervorkam. »Ihr macht einen Dreier?«, fragte sie, doch dann erkannte sie den Sergeant.

»Ich bin gar nicht hier, Flossie«, knurrte Berrigan, »also mach die Tür zu, wenn du gehst. Du hast mich nicht gesehen. Ich dachte, du wärst weg und hättest Höheres im Sinn?«

»Hat nicht geklappt, Sam«, sagte sie und schloss die Zimmertür von innen.

»Was ist mit Spofforth?«, erkundigte Sally sich.

»Heute Morgen abgehauen.« Sie schniefte. »Das Schwein! Dabei brauche ich die Kohle. Und hier kann ich immer nur ein paar Mäuse machen.« Sie setzte sich auf das Bett. »Und was machst du hier?«, fragte sie Berrigan.

»Was zum Teufel machst du hier?«, fragte er zurück.

»Wir schleichen uns hier rein, um uns ein bisschen auszuruhen«, sagte Flossie, »im Sommer kommt doch nie jemand hier rein.«

»Vergiss bloß nicht, dass wir gar nicht hier sind«, mahnte Berrigan. »Wir sind nicht hier, du hast uns nicht gesehen und stell uns keine Fragen.«

»Verdammt, entschuldige, dass ich geboren bin«, sagte Flossie und schaute Berrigan fest an.

»Mit wem solltest du jetzt zusammen sein?«, erkundigte sich Berrigan.

»Tollemere. Aber er ist betrunken und schnarcht.« Schniefend schaute sie Sally an. »Arbeitest du hier?«

»Nein.«

»Die Kohle ist gut«, sagte Flossie, streifte einen Schuh ab und massierte ihren Fuß. »Und was passiert, wenn ich jetzt runtergehe und ihnen sage, dass ihr hier seid?«

»Dann prügele ich dich windelweich, wenn ich dich das nächste Mal sehe«, drohte Berrigan.

»Sergeant!«, mahnte Sandman, obwohl ihm auffiel, dass Flossie von dieser Drohung erstaunlich unbeeindruckt blieb.

»Sie kriegt mit Sicherheit eine Tracht Prügel«, bekräftigte Berrigan seine Drohung.

»Du bläst dich doch nur auf, aber es steckt nichts dahinter«, sagte Flossie grinsend.

»Wir tun niemandem was«, versicherte Sally ernst, »wir versuchen nur, jemandem zu helfen.«

»Ich sage keinem, dass ihr hier seid«, versprach Flossie. »Warum sollte ich?«

»Wer ist heute Abend da?«, fragte Berrigan.

Sie rasselte eine Liste von Namen herunter, von denen keiner für Sandman von Interesse war, da sie weder den Marquess of Skavadale noch Lord Robin Holloway erwähnte. Flossie war sicher, dass keiner der beiden im Club war. »Gegen den Marquess habe ich nichts«, sagte sie, »der ist ein richtiger Gentleman, aber der verdammte Lord Robin ist ein Schwein.« Sie zog ihren Schuh wieder an, gähnte und stand auf. »Ich gehe jetzt besser und sorge dafür, dass Seine Lordschaft mich nicht vermisst. Er will sicher bald zu Abend essen.« Sie runzelte die Stirn. »Ich habe nichts gegen die Arbeit hier, es gibt Kohle, es ist bequem, aber ich hasse es, nackt am Esstisch zu sitzen. Es ist ein komisches Gefühl, wenn die Männer alle vollständig angezogen und wir splitterfasernackt sind.« Sie öffnete kopfschüttelnd die Tür. »Außerdem kleckere ich immer mit der verdammten Suppe.«

»Du hältst den Mund, Flossie?«, fragte Berrigan noch einmal besorgt.

Sie warf ihm einen Kuss zu. »Für dich tue ich doch alles, Sam.« Damit war sie verschwunden.

»Für dich tue ich alles, Sam?«, fragte Sally.

»Das meint sie nicht so«, sage Berrigan hastig.

»Mister Spofforth hatte Recht«, unterbrach Sandman sie.

»Womit?«, fragte Sally.

»Sie hat tatsächlich hübsche Beine.«

»Captain!« Sally war entsetzt.

»Ich habe schon bessere gesehen«, sagte Sergeant Berrigan galant, und Sandman stellte erfreut fest, dass Sally rot wurde.

»Nur aus Interesse«, fragte Sandman, als er zur Tür ging, »was kostet die Mitgliedschaft hier?« Er öffnete die Tür einen Spalt und lauerte hinaus, aber der Korridor war leer.

»Zweitausend für den Beitritt, wenn man dazu eingeladen wird, und dann hundert im Jahr«, antwortete Berrigan.

Die Privilegien des Wohlstands, dachte Sandman. Wenn die Countess of Avebury eines oder gar zwei oder drei der Mitglieder erpresst haben sollte, war es da nicht wahrscheinlich, dass sie sie getötet haben, um ihren Platz in diesem hedonistischen Haus nicht zu verlieren? Er schaute zum Fenster. Draußen war es inzwischen dunkel, aber es war eine helle Sommernacht in einer von Gaslaternen erleuchteten Stadt. »Sollen wir unseren Kutscher suchen?«, fragte er Berrigan.

Sie gingen die Dienstbotentreppe hinunter und überquerten den Hof. Die Kutsche schimmerte immer noch nass auf dem Pflaster, aber die Eimer waren verschwunden. Pferde stampften im Stall, als Berrigan zum Nebeneingang der Remise ging. Er lauschte ein Weilchen und hob dann zwei Finger, um zu zeigen, dass sich nach seiner Ansicht zwei Männer hinter der Tür befanden. Sandman zog seine Pistole aus der Jackentasche. Er beschloss, den Hahn nicht zu spannen, weil er nicht wollte, dass sich versehentlich ein Schuss löste, aber er überprüfte, ob die Waffe geladen war, schob Berrigan beiseite, öffnete die Tür und ging hinein.

Der Raum diente zugleich als Küche, Sattelraum und Abstellkammer. Über einem Feuer brodelte ein Topf Wasser, auf dem Kaminsims brannten zwei Kerzen und weitere standen auf einem Tisch, an dem zwei Männer mit Bierkrügen saßen und Sandman anstarrten, als er hereinkam. Der Altere öffnete verwundert den Mund und ließ seine Tonpfeife fallen, die an der Tischkante zerbrach. Nach Sandman kam Sally herein und zuletzt Berrigan, der die Tür schloss.

»Machen Sie mich bekannt«, sagte Sandman. Er richtete die Pistole nicht auf die Männer, aber sie war deutlich zu sehen, und beide konnten den Blick nicht von der Waffe wenden.

»Der Junge ist der Stallknecht«, sagte Berrigan, »er heißt Billy, und der, dem der Kiefer bis auf den Schoß geklappt ist, heißt Mister Michael Mackeson. Er ist einer der beiden Kutscher. Wo ist Percy, Mack?«

»Sam?«, fragte Mackeson verdutzt. Er war untersetzt, hatte ein rotes Gesicht und einen gut gewichsten Schnurrbart. Sein schwarzes Haar war an den Schläfen leicht ergraut. Er war gut gekleidet, was er sich zweifellos leisten konnte, da gute Kutscher überaus großzügig entlohnt wurden. Sandman hatte von einem Kutscher gehört, der zweihundert Pfund im Jahr verdiente. Alle Kutscher galten als mit einem so beneidenswerten Geschick begabt, dass jeder junge Mann sein wollte wie sie. Junge Adelige trugen Kutschermäntel und lernten, mit einer Hand die Peitsche und mit der anderen die Zügel zu halten, und so viele Aristokraten hegten den Wunsch, Kutscher zu werden, dass niemand sicher sein konnte, ob eine Kutsche von einem Herzog oder einer bezahlten Kraft gelenkt wurde. Trotz seiner gehobenen Stellung starrte Mackeson Berrigan, der ebenso bewaffnet war wie Sandman, nun mit offenem Mund an.

»Wo ist Percy?«, wiederholte Berrigan.

»Er bringt Lord Lucy nach Weybridge«, antwortete Mackeson.

»Hoffen wir, dass du der bist, den wir suchen«, sagte Berrigan. »Und du bleibst hier, Billy«, fuhr er den Stallknecht an, der eine schäbige gelb-schwarze Livree des Seraphim Clubs trug, »wenn du dir keinen gebrochenen Schädel einhandeln willst.« Der Stallknecht, der von der Bank hatte aufstehen wollen, setzte sich wieder.

Ohne es zu merken, war Sandman wütend geworden. Vielleicht kannte der schnurrbärtige Kutscher die Antwort, nach der Sandman suchte, und die Vorstellung, dass er der Wahrheit so nah war, sie vielleicht aber doch nicht aufdecken würde, entflammte seinen Zorn. Noch hatte er diesen Zorn im Griff, aber er war deutlich aus seinem barschen Ton herauszuhören, der Mackeson zusammenzucken ließ. »Vor einigen Wochen hat ein Kutscher aus diesem Club eine Zofe im Haus der Countess of Avebury abgeholt. Waren Sie das?«