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»Ich habe Ihnen nichts zu sagen«, erklärte Meg, »gar nichts.« Sie trank den Gin aus und griff nach der Ginflasche.

Sandman nahm sie ihr ab. »Wie heißen Sie?«

»Das geht Sie gar nichts an. Geben Sie mir von dem verdammten Zeug!« Sie streckte die Hand nach der Flasche aus, aber Sandman hielt sie von ihr fort.

»Wie heißen Sie?«, fragte Sandman noch einmal und erntete einen Tritt gegen das Schienbein. Er schüttete etwas Gin ins Gras, worauf Meg ganz still wurde und ängstlich dreinschaute. »Ich nehme Sie mit nach London«, teilte Sandman ihr mit. »Sie haben zwei Möglichkeiten, dorthin zu kommen. Entweder Sie benehmen sich, dann wird es eine angenehme Fahrt, oder Sie sind weiter so rüde, dann bringe ich Sie ins Gefängnis.«

»Das können Sie gar nicht!«, schnaubte sie.

»Ich kann machen, was ich will!«, herrschte Sandman sie an und verblüffte sie mit seiner plötzlich aufflammenden Wut. »Ich habe einen Auftrag des Innenministers, Miss, und Sie unterschlagen Beweise in einem Mordfall! Gefängnis? Sie haben verdammtes Glück, wenn sie nur im Gefängnis landen und nicht am Galgen!«

Sie funkelte ihn eine Weile wütend an und zuckte dann die Achseln. »Ich heiße Hargood«, sagte sie säuerlich. »Margaret Hargood.«

Sandman schenkte ihr noch ein Glas Gin ein. »Woher stammen Sie, Miss Hargood?«

»Das kennen Sie ja doch nicht.«

»Was ich kenne, ist der Auftrag des Innenministers, den Mord an der Countess of Avebury zu untersuchen. Diesen Auftrag hat er mir gegeben, Miss Hargood, weil er fürchtet, dass sonst eine große Ungerechtigkeit geschieht.« Der Viscount Sidmouth würde sich wahrscheinlich erst Sorgen machen, dass einem Angehörigen der Unterschicht ein Unrecht geschehen könnte, wenn die Sonne im Westen aufginge, überlegte Sandman, aber das durfte er vor diesem einfältigen Mädchen natürlich nicht äußern, das gerade seinen zweiten Gin herunterkippte, als sei es kurz vor dem Verdursten. »Der Innenminister glaubt ebenso wie ich, dass Charles Corday Ihre Herrin nicht ermordet hat«, fuhr Sandman fort. »Und wir denken, dass Sie das bestätigen können.«

Meg hielt ihm wortlos ihr Glas hin.

»Sie waren da, nicht wahr«, fragte Sandman. »An dem Tag, als die Countess ermordet wurde?«

Sie hielt fordernd das Glas hoch, sagte aber immer noch nichts.

»Und Sie wissen, dass Charles Corday den Mord nicht begangen hat«, stellte Sandman fest.

Sie betrachtete einen Apfel, den der Wind ins Gras geweht hatte. Eine Wespe krabbelte über die schrumpelige Schale. Sie schrie, ließ das Glas fallen und schlug die Hände vors Gesicht. Sandman trat auf die Wespe und zermalmte dabei den Apfel. »Meg«, bat er.

»Ich habe nichts zu sagen.« Sie beobachtete ängstlich den Boden, als fürchte sie, die Wespe könne wieder auferstehen.

Sandman hob das Glas auf, füllte es und reichte es ihr.

»Wenn Sie mit mir zusammenarbeiten, Miss Hargood, werde ich dafür sorgen, dass Ihnen kein Leid geschieht«, sagte er förmlich.

»Ich weiß nichts darüber«, sagte sie. »Nichts über einen Mord.« Sie schaute Sandman trotzig und mit steinharten Augen an.

Sandman seufzte. »Wollen Sie einen Unschuldigen sterben lassen?« Das Mädchen rückte wortlos von ihm fort und starrte über die Hecke. Sandman spürte Wut in sich aufsteigen. Am liebsten hätte er sie geschlagen und schämte sich für die Intensität dieses Verlangens, das so stark war, dass er aufstand und hin und her lief. »Warum waren Sie im Haus des Marquess of Skavadale?«, fragte er, bekam aber keine Antwort. »Glauben Sie, dass der Marquess Sie beschützen will? Er will Sie hier haben, damit der Falsche hingerichtet wird, aber welchen Nutzen haben Sie noch für ihn, sobald Corday tot ist? Er wird Sie töten, damit Sie nicht mehr gegen ihn aussagen können.« Zumindest provozierte er damit eine Reaktion des Mädchens, und wenn sie sich auch nur umdrehte und ihn anstarrte. »Denk nach, Mädchen!«, sagte Sandman eindringlich. »Warum lässt der Marquess dich leben? Warum?«

»Sie haben keine Ahnung, oder?«, sagte Meg wütend.

»Ich sage dir, was ich weiß«, fuhr Sandman sie mit einer Wut an, die an Gewalttätigkeit grenzte. »Ich weiß, dass Sie einen Unschuldigen vor dem Galgen bewahren können, und ich weiß, dass Sie das nicht wollen, und das macht Sie zur Komplizin an einem Mord, Miss, dafür kann man Sie hinrichten.« Sandman wartete, aber sie schwieg. Er wusste, dass er gescheitert war. Sein Wutausbruch war ein Zeichen dieses Scheiterns, und er schämte sich dafür, aber wenn das Mädchen nicht aussagte, war Corday nicht zu retten. Allein durch ihr Schweigen konnte Meg ihn besiegen, und es kamen noch weitere ärgerliche Schwierigkeiten auf ihn zu. Er wollte Meg so schnell wie möglich nach London bringen, aber Mackeson bestand darauf, dass die Pferde zu erschöpft seien, um auch nur eine Meile zu fahren, und Sandman wusste, dass der Kutscher Recht hatte. Sie mussten also die Nacht im Dorf verbringen und die drei Gefangenen bewachen. Bewachen, durchfüttern, und die Pferde im Auge behalten. Meg brachten sie in die Kutsche, banden die Türen zu und verkeilten die Fenster. Sie schlief wohl eine Weile, weckte Sandman aber zwei Mal, indem sie schrie und an die Fenster schlug. Schließlich zerbrach ein Fenster und sie versuchte, herauszuklettern, aber Sandman hörte, wie sie mit einem Stöhnen und einem unterdrückten Schrei zurückplumpste. »Was ist passiert?«, fragte er Berrigan.

»Nichts, was Sie beunruhigen müsste«, antwortete der Sergeant. Berrigan, Sandman und Sally schliefen im Gras und bewachten Mackeson und Billy, die beide verwirrt, verängstigt und gehorsam waren und keine Kampfeslust mehr besaßen. Sie erinnerten Sandman an einen französischen Oberst, den seine Männer in den Bergen Galiziens gefangen genommen hatten, ein aufgeblasener Mann, der so lange über die Bedingungen seiner Gefangenschaft gejammert und geklagt hatte, bis Sandmans eigener Oberst ihn einfach freigelassen hatte. »Verschwinde«, hatte er ihm auf Französisch gesagt, »du bist frei.« Aber der Franzose hatte solche Angst vor den spanischen Bauern, dass er sie angefleht hatte, ihn wieder gefangen zu nehmen. Mackeson und Billy hätten ihren erschöpften Bewachern ohne Weiteres entwischen können, aber beide fürchteten sich zu sehr vor dem fremden Dorf, der dunklen Nacht und der beängstigenden Aussicht, sich allein nach London durchschlagen zu müssen.

»Und was passiert jetzt?«, fragte Berrigan Sandman im Lauf der kurzen Sommernacht.

»Wir bringen sie zum Innenminister und überlassen es ihm, sie auseinander zu nehmen«, antwortete Sandman müde.

Es würde nichts nützen, dachte er, aber was blieb ihm anderes übrig? Irgendwo bellte ein Hund in der Dunkelheit, und Sandman schlief ein, während Berrigan Wache hielt.

9

Im Morgengrauen ging der Haupteingang des Gefängnisses Newgate zum Old Bailey auf, und die ersten Teile des Galgengerüsts wurden herausgetragen. Zuerst brachte man die Absperrung, die den fertigen Galgen umgeben würde, und stellte ihn mitten auf der Straße auf, um die wenigen Kutschen, die an einem frühen Sonntagmorgen zwischen Ludgate Hill und Newgate Street unterwegs waren, umzuleiten. William Brown, der Verwalter von Newgate, trat an den Haupteingang, gähnte, kratzte sich den kahlen Kopf, zündete sich eine Pfeife an und ging einen Schritt beiseite, als die Träger die schweren Balken brachten, die das Ständerwerk des Galgenpodests bildeten. »Es wird ein herrlicher Tag, Mister Pickering«, sagte er zu dem Vorarbeiter.

»Es wird heiß, Sir.«

»Auf der anderen Straßenseite gibt es reichlich Bier.«

»Gott sei Dank, Sir«, sagte Pickering und schaute an der Gefängnisfassade hinauf. Unmittelbar über der Schuldnerpforte gab es ein Fenster, auf das er nun mit dem Kopf deutete. »Sir, ich habe mir überlegt, dass wir uns eine Menge Arbeit ersparen könnten, wenn wir unter dem Fenster eine Plattform bauen würden, die ständig da bleiben könnte, verstehen Sie? Eine Falltür und ein Balken darüber, dann brauchten wir nicht jedes Mal das Gerüst aufzubauen.«