»Aber natürlich. Warum kommen Sie nicht her und erzählen mir alles?«
»Es wäre besser, wenn Sie hierher kämen. Ich brauche Ihre Hilfe. Ich habe ein… nun ja, ein Experiment vor.«
»Könnten Sie sich nicht ein bißchen deutlicher ausdrücken?«
»Lieber nicht. Ich will Ihnen nur noch sagen, daß wir dazu ins Connorsche Haus hinein müssen.«
»Ins Connorsche Haus? Ich komme sofort, Mrs. Howell!«
Er hatte eben aufgelegt, als Ruth Benton erschien, ein paar Minuten vor der verabredeten Zeit. Masters sah sofort, daß sie schwere Tage durchlebt hatte. Aus Kummer über einen Chef, der weiter nichts war als nett, bekommt eine Sekretärin nicht solche Ringe unter den Augen.
»Ich danke Ihnen für Ihr Kommen, Miss Benton«, sagte Masters. »Ich brauche Sie nur eine Minute. Wie ich Ihnen bereits am Telefon sagte, möchte ich lediglich, daß Sie sich die Waffe ansehen, mit der Mrs. Connor umgebracht worden ist.«
Die Mordwaffe lag in einer mit Papier ausgelegten Schachtel auf seinem Schreibtisch. Er nahm den Deckel ab und zeigte ihr die blutbefleckte Klinge. Ruth Benton schloß die Augen, dann schlug sie sie wieder auf.
»Ja«, sagte sie, »das ist Larrys Brieföffner. Er lag immer auf seinem Schreibtisch im Büro.«
»Sind Sie sicher?«
»Ganz sicher.«
»Wären Sie bereit, das zu beschwören?«
»Ja, natürlich. Aber warum? Bedeutet da, daß Larry seine Frau nicht umgebracht hat, oder daß er es doch tat?«
»Es könnte beweisen, daß er es nicht tat.«
»Aber wer war es denn?«
Masters erhob sich. »Vielen Dank für Ihr Kommen, Miss Benton.«
Das Mädchen erhob sich ebenfalls; sie nahm ihre Entlassung achselzuckend hin. »Wenn Larry der Mörder war, kann ich ihn nicht verurteilen. Aber wenn er unschuldig war, werde ich alles tun, was in meiner Macht steht, um Ihnen zu helfen, seine Unschuld zu beweisen.«
In Shady Acres parkte Masters vor dem Hause der Howells und ging durch den Garten zur Hintertür. Hier fand er Nancy Howell; sie saß in einem adretten, lavendelblauen Hauskleid auf der Terrasse und entstielte Erdbeeren, eine Arbeit, bei der ihre Hände aussahen, als seien sie in frisches Blut getaucht. Den Hut in der Hand, betrat er bescheiden das Haus, um sogleich an den Küchentisch gebeten zu werden. Die Einladung zu einer Tasse Kaffee versetzte ihn in höchstes Entzücken. Sie bedeutete, daß ihm vergeben war.
»Tut mir leid, daß ich etwas später komme, Mrs. Howell. Ich wurde aufgehalten. Oh, danke schön«, sagte Masters und nahm die Tasse Kaffee entgegen. »Ich hoffe, Sie haben nicht gewartet?«
»Das macht nichts, Leutnant«, sagte Nancy. »Es eilt nicht. Außerdem glaube ich, daß ich mich bei Ihnen entschuldigen muß, und damit hat man’s nie besonders eilig, nicht wahr?«
»Bitte, Mrs. Howell, lassen wir das doch. Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen.«
»Vielen Dank, Leutnant. Das ist sehr freundlich von Ihnen.«
Masters trank seinen Kaffee. Er hätte gerne Milch und Zucker gehabt, mochte aber nicht danach fragen. Außerdem war der Kaffee bitter; er hatte wahrscheinlich Gott weiß wie lange auf dem Herd gestanden. Trotzdem tat er, als genieße er ihn über alle Maßen.
»So«, sagte Masters. »Und nun zu Ihrem Experiment, Mrs. Howell. Sie sagten, wir müßten ins Haus der Connors gehen?«
»Sie haben doch den Schlüssel, nicht wahr? Ich möchte, daß Sie mit mir kommen.«
»Warum wollen Sie denn unbedingt hinein?«
»Ich möchte das Licht in Lilas Schlafzimmer kontrollieren. Ich will sehen, ob es funktioniert.«
Masters kniff die Augen zusammen. »Könnten Sie mir das ein bißchen näher erklären?«
»Mir ist eingefallen, daß in der Nacht, als Lila ermordet wurde, das Licht in ihrem Zimmer brannte. Ich meine, nachdem Larry weggefahren war. Ich kann mich deutlich daran erinnern. Aber am nächsten Tag, als wir Lila fanden, war das Licht aus.«
»Was Sie nicht sagen!« Masters betrachtete sie mit Respekt und Bewunderung. Das konnte der Beweis für einen wichtigen Komplex seiner Theorie sein. »Und Sie nehmen an, daß Lila das Licht ausgemacht hat?«
»Oder jemand anders. Auf jeden Fall beweist das, daß nach Larrys Fortgang noch jemand im Haus gewesen ist – und diese Tatsache sollte einiges dazu beitragen, Larrys Namen reinzuwaschen.«
»Wenn nicht ganz einfach die Birne ausgebrannt ist.«
»Natürlich. Und darum möchte ich die Birne kontrollieren.«
»Das wird nicht nötig sein, Mrs. Howell. Die Birne ist nicht ausgebrannt. Wir haben die Lampe inzwischen benutzt.«
»Auch die Nachttischlampe?«
»Die Nachttischlampe? Nein… Wäre es denn möglich, daß Sie das Licht der Nachttischlampe gesehen haben?«
»Das bezweifle ich. Aber wir wollen keine Möglichkeit auslassen, nicht wahr, Leutnant?«
»Da haben Sie recht Kommen Sie, wir gehen ‘rüber und sehen nach.«
Sie betraten das Connorsche Haus durch die Vordertür und gingen direkt in Lilas Schlafzimmer hinauf. Masters, der vorausgegangen war, trat zur Seite.
»Es war Ihre Idee, Mrs. Howell«, sagte er freundlich. »Probieren Sie die Lampen aus.«
Das Zimmer lag voller Schatten, und nur zögernd schritt Nancy auf das Doppelbett zu. Die Nachttischlampe brannte auf Anhieb. Sie knipste sie wieder aus, während Masters den Schalter der Deckenbeleuchtung betätigte.
»Das klärt die Sache«, sagte Nancy. »Keine Birne ausgebrannt, und es war unzweifelhaft die Deckenbeleuchtung, die ich gesehen habe. Der Schein der Nachttischlampe fällt fast ausschließlich aufs Bett und ist außerdem schwächer.«
»Sie haben da einen äußerst wichtigen Beweis erbracht.« Masters sah sich im Zimmer um. »Übrigens, da wir schon einmal hier sind: Es gibt da noch etwas, das ich suchen möchte. Würden Sie so lange auf mich warten?«
»Was ist es denn, Leutnant?«
»Einen Schlüssel. Der Schlüssel zur Hintertür. Lilas Schlüssel war in ihrer Handtasche, aber der von ihrem Mann ist verschwunden.«
»Eine seltsame Sache«, sagte Nancy. »Soll ich Ihnen suchen helfen, Leutnant? Ich warte nämlich nicht gerne. Es fängt mich dann immer an den unmöglichsten Stellen an zu jucken.«
»Na ja«, sagte Masters zweifelnd. »Es ist zwar gegen die Vorschriften…«
»Gegen wessen Vorschriften? Die von diesem tattrigen, alten Polizeichef?« fragte Nancy verächtlich. »Oder – «, und Masters erschauerte unter dem herrlichen Feuer, das in ihre Augen trat – »zähle ich noch immer zu den Verdächtigen, Leutnant Masters?«
»Nein, o nein!« beeilte er sich ihr zu versichern. »Suchen Sie nur, wenn Sie wollen.«
Fast eine Stunde lang durchsuchten sie das Haus, sahen in jeden erdenklichen Winkel, in dem der Schlüssel, verlegt, verloren oder versteckt, liegen konnte, doch sie fanden ihn nicht. Mit leeren Händen standen sie schließlich wieder da, wo sie angefangen hatten, und Nancy ließ sich entmutigt auf Lilas elegante Chaiselongue sinken. Doch Masters suchte noch einmal das Zimmer ab und verschwand im Bad. Als er wieder herauskam, war seine Miene undurchdringlich.
»Wenn Sie mich fragen«, sagte Nancy, »so ist dies reine Zeitverschwendung. Ich sagte Ihnen ja, die Hintertür war unverschlossen, als ich sie am Sonntagnachmittag probierte. Ich verstehe nicht, warum Sie immer noch glauben, daß sie vorher verschlossen war.«
»Ist es denn logisch, daß die Connors ihre Hintertür unverschlossen hielten? Sogar bei Nacht?«
»Nein, aber in jener Nacht haben sie vielleicht vergessen abzuschließen. Sie hatten ja schließlich eine ganze Menge Bier getrunken und sich dann noch gezankt. Ein alkoholisierter Krach kann Eheleute dazu bringen, sich ins Bett zu legen und dabei zu vergessen, die Schuhe auszuziehen. Was ist dagegen so Unwichtiges wie das Abschließen der Hintertür?«
»Nein, Mrs. Howell, darauf kann sich der Mörder nicht verlassen haben. Er mußte trotzdem den Hintertürschlüssel mitbringen für den Fall, daß die Tür verschlossen war.«