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Wie lange, bis einige der Geheimnisse enträtselt waren? Vielleicht gar nicht mehr lange.

S. Ya. wünschte sich, dass sie beteiligt sein könnte, wie es ihre Kommilitonen waren. Wie ihr Mann. Sie wünschte sich noch mehr, keine Ahnung davon zu haben, welche Rolle er am dringendsten spielen wollte. Aber der Verdacht blieb. Wenn Robin ein Hitschi-Schiff veranlassen konnte, ihn zu jedem beliebigen Ziel im Universum zu fliegen, glaubte sie zu wissen, welches Ziel er ansteuern würde.

Semya Yagrodna Laworowna-Broadhead rief ihre Sekretärin: »Wie viel Zeit habe ich noch?«

Das Programm erschien und sagte: »Es ist jetzt fünf Uhr zweiundzwanzig. Doktor Liederman wird um sechs Uhr fünfundvierzig erwartet. Sie werden dann für den Eingriff vorbereitet, der um acht Uhr stattfinden soll. Sie haben etwas mehr als eineinviertel Stunden. Möchten Sie schlafen?«

S. Ya. lachte leise in sich hinein. Es belustigte sie immer wieder, wenn ihre eigenen Programme ihr Ratschläge gaben. Sie fühlte sich aber nicht gehalten, sie anzunehmen.

»Ist für heute und morgen ein Speiseplan aufgestellt worden?«, fragte sie.

»Njet, Gosposcha.«

Das war gleichzeitig eine Erleichterung und eine Enttäuschung. Robin hatte für heute wenigstens kein Essen verordnet, das dick machte – oder vielleicht war sein Vorschlag wegen der Operation überstimmt worden? »Such etwas aus«, ordnete sie an. Das Programm war durchaus in der Lage, Speisepläne aufzustellen. Es lag nur an Robin, dass sie sich beide mit solchen alltäglichen Dingen überhaupt befassten. Aber Robin war Robin, und zuzeiten betrieb er das Kochen als Steckenpferd, schnitt Zwiebeln für einen Salat papierdünn zurecht und stand stundenlang am Herd, um in einem Topf zu rühren. Manchmal war das, was er auf den Tisch brachte, grässlich, manchmal nicht; Essie war nicht kritisch, weil sie für das, was sie aß, wenig Interesse aufbrachte. Und auch deshalb, weil sie dankbar dafür war, sich mit solchen Dingen nicht befassen zu müssen; zumindest in dieser Hinsicht übertraf Robin ihren Vater. »Nein, warte«, sagte sie plötzlich. »Wenn Robin heimkommt, wird er Hunger haben. Servier ihm einen Imbiss – Krapfen und Kaffee wie in New Orleans. Wie im Café du Monde.«

»Da, Gosposcha.« Wie raffiniert du bist, dachte Essie und lächelte vor sich hin. Noch eine Stunde und zwölf Minuten.

Es konnte nicht schaden, wenn sie sich ausruhte.

Schläfrig war sie aber nicht.

Ich kann noch einmal ihr medizinisches Programm befragen, dachte sie. Aber sie wollte eigentlich gar nichts von den Dingen hören, die ihr jetzt wieder einmal bevorstanden. So große Stücke aus dem Körper eines anderen Menschen zu nehmen, um ihren eigenen zu ergänzen! Die Niere, ja. Man mochte sie verkaufen und noch etwas übrig haben. Als Studentin hatte Essie Genossinnen gekannt, die genau das getan hatten. Sie hätte es vielleicht sogar selbst getan, wenn sie noch eine Spur ärmer gewesen wäre. Aber obwohl sie nicht viel mehr von Anatomie verstand, als ihr Vater ihr beigebracht hatte, während sie zu seinen Füßen saß, wusste sie genug, um sicher zu sein, dass die Person oder die Personen, die ihr alle die anderen Gewebeteile und Organe gegeben hatten, nicht mehr genug besitzen würden, um weiterleben zu können. Ein unbehagliches Gefühl.

Beinahe so unbehaglich wie die Erkenntnis, dass sie selbst bei medizinischem Vollschutz von dieser begegnung mit Wilma Liedermans Messern nicht zurückkehren mochte.

Immer noch eine Stunde und elf Minuten.

Essie setzte sich wieder auf. Ob sie am Leben bleiben würde oder nicht, sie war als Ehefrau so pflichtgetreu, wie sie es als Tochter gewesen war, und wenn Robin wünschte, dass sie sich mit Gebetsfächern und Hitschi befasste, würde sie das tun. Sie sprach das Computer-Terminal an.

»Ich möchte das Albert-Einstein-Programm.«

Als Essie Broadhead sagte: »Ich möchte das Albert-Einstein-Programm«, löste sie eine große Anzahl von Ereignissen aus, von denen nur wenige für das bloße Auge sichtbar waren. Sie fanden nicht in der makroskopischen physikalischen Welt statt, sondern in einem Universum, das hauptsächlich aus Ladungen und Bahnen im Maßstab des Elektrons bestand. Die einzelnen Gebilde waren winzig klein. Das Gesamte bestand aus ungefähr sechzig Milliarden Gigabits Informationen.

In Akademogorsk hatten die Professoren die junge S. Ya. in der damaligen Computerlogik von Ionenoptik und Magnetbläschen ausgebildet. Sie hatte gelernt, ihre Computer zu vielen staunenswerten Leistungen zu bewegen. Sie konnten Primzahlen mit Millionen Stellen finden oder die Gezeiten in einem Watt auf tausend Jahre berechnen. Sie konnten aus Kindergekritzel zum Thema »Haus« oder »Papi« einen Bauplan oder den Dummy eines Menschen entwerfen. Sie konnten das Haus drehen, eine Sonnenveranda anfügen, es mit Stein umkleiden oder mit Efeu umranken. Sie konnten einen Bart abschaben, eine Perücke hinzutun, den Mann für Segelfahrten oder Golfspiel, eine Aufsichtsratssitzung oder eine Cocktailbar einkleiden. Für die neunzehnjährige Semya waren das wunderbare Programme gewesen. Sie fand sie aufregend. Aber seitdem war sie erwachsen geworden. Im Vergleich mit den Programmen, die sie jetzt schrieb, ihr Sekretariatsprogramm oder »Albert Einstein«, waren die frühen Programme langsame und stolpernde Karikaturen gewesen. Sie hatten nicht den Vorteil von Schaltungen besessen, die der Hitschi-Technologie entstammten, oder eines zirkulierenden Gedächtnisspeichers von 6 x 1019 Bits.

Natürlich benutzte selbst Albert nicht die ganze Zeit alle sechzig Milliarden Gigabits. Zum einen wurden sie nicht alle gemeinsam genutzt. Selbst die gemeinsam genutzten Speicher waren besetzt von zehntausenden von Programmen, die so vielseitig und kompliziert waren wie Albert, und von -zig Millionen schwächeren. Das Programm mit dem Namen »Albert Einstein« glitt zwischen den tausenden und Millionen dahin, ohne sie zu stören oder von ihnen gestört zu werden. Verkehrssignale hielten ihn vor besetzten Schaltungen zurück. Führungspunkte geleiteten ihn zu Nebenwegen und Bibliotheken, die er brauchte, um seine Funktionen erfüllen zu können. Seine Bahn war nie eine gerade. Es war ein Baum von verzweigten Entscheidungspunkten, ein Blitzstrahl von Zickzackwendungen und Umkehrungen. Es war auch nicht eigentlich eine »Bahn«; Albert bewegte sich nie. Er war nie an einer bestimmten Stelle, von der aus er sich hätte bewegen müssen. Man kann zumindest darüber streiten, ob Albert überhaupt etwas »war«. Er hatte keine fortwährende Existenz. Wenn Robin Broadhead mit ihm fertig war und ihn abschaltete, hörte er auf zu existieren, und seine Unterprogramme wandten sich anderen Aufgaben zu. Wurde er wieder eingeschaltet, dann erzeugte er sich aus den jeweils untätigen Schaltungen neu, dem Programm zufolge, das S. Ya. geschrieben hatte. Er war nicht mehr als eine Gleichung und somit nicht weniger als Gott.

»Ich möchte …«, hatte S. Ya. Laworowna-Broadhead gesagt.

Bevor ihre Stimme den ersten Vokal halb ausgesprochen hatte, forderte das Akustikgatter im Empfänger des Monitors ihr Sekretariatsprogramm an. Die Sekretärin erschien nicht. Sie las die erste Spur des Namens, der folgte …

»… das Albert-Einstein-…«

… verglich sie mit ihrem Befehlsspeicher, nahm eine Wahrscheinlichkeitseinschätzung des Restes vor und erteilte eine Anweisung. Das war nicht alles, was die Sekretärin tat. Vorher hatte sie die Stimme von S. Ya. erkannt und bestätigt, dass es die einer autorisierten Person war – und zwar jener Person, die ihr Programm geschrieben hatte. Sie überprüfte ihren Speicher auf nicht weitergegebene Mitteilungen, fand mehrere und wog ihre Bedeutung ab. Sie tastete rasch Essies Telemetrie-Ergebnisse ab, um ihre körperliche Verfassung zu überprüfen, holte die Erinnerung an die früheren chirurgischen Eingriffe zurück, wog sie gegen die Mitteilungen und die jetzige Anweisung ab und entschied, dass die Mitteilungen nicht übermittelt zu werden brauchten und von Essies Surrogat erledigt werden konnten. Dies alles nahm nur ganz wenig Zeit in Anspruch und beschäftigte nur einen winzigen Teil des vollen Programms der Sekretärin. Sie brauchte sich zum Beispiel nicht ins Gedächtnis zu rufen, wie sie aussehen oder wie ihre Stimme klingen sollte. Also machte sie sich diese Mühe auch nicht.